Wettlauf um Erinnerung
Die amerikanische Schriftstellerin Patricia McCormick ist mit realistischen Jugendromanen bekannt geworden, mit Romanen über harte Themen. Jetzt gibt es ein neues Jugendbuch von Patricia McCormick bei uns, der deutsche Titel ist "Versehrt" und spielt im Irakkrieg.
Wie in ihren früheren Jugendromanen erzählt Patricia McCormick in "Versehrt" eine fast dokumentarisch realistische, spannende und auch harte Geschichte. Der Roman spielt im Irakkrieg, in Bagdad, wo sich der 18-jährige Soldat Matt Duffy im Krankenhaus wieder findet. Er war in eine schlimme Schießerei verwickelt, Terroristen und ein irakischer Junge kamen zu Tode. Doch Matt kann sich an kaum etwas erinnern, die Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma.
Ganz langsam kehren Matts Erinnerungen an den hochgefährlichen Einsatz zurück. Immer neue Erinnerungsfetzen tauchen wie Puzzleteile in seinem schmerzenden Kopf auf. Vieles deutet darauf hin, dass er schuldig ist, am Tod des kleinen Ali, mit dem er sich angefreundet hatte. Ein "klassischer Kollateralschaden" liege vor, beruhigt man Matt, doch der wird immer unruhiger: Warum erzählt ihm Justin, sein bester Freund und Kumpan nicht genau, was passiert ist? Warum kehren die Vorgesetzten den Fall unter den Teppich? Was ist wirklich geschehen?
Patricia McCormick inszeniert ein konzentriertes Kammerspiel. Es beginnt im Krankenhaus, greift zurück in die Vorgeschichte um Alis Tod, geht weiter im Camp und endet mit einem Bombenanschlag und dem Tod zweier sehr guter Freunde von Matt. Mit wenigen Strichen zeichnet sie die Menschen um Matt herum. Die traumatisierten Soldaten im Krankenzimmer, die mal zynischen, dann zugewandten Kameraden im Camp, undurchschaubare Vorgesetzte und die fremdartigen Iraker, denen die Soldaten auf ihren Patrouillen begegnen. Und Ali, den Waisenjungen, der so gut Fußball spielte und dem eine Schlüsselrolle zukommt in Matts Erinnerungen.
Matt ist tief "versehrt", nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Aus seiner ganz subjektiven Sicht ist der Roman erzählt, als Leser erlebt man unmittelbar mit, was in ihm vorgeht: wie sich seine anfänglichen Sprachstörungen anfühlen, wie einsam und orientierungslos er ohne seine Erinnerungen ist, wie das Gedächtnis langsam zurückkehrt und die Indizien sich zu einer schmerzhaften Gewissheit zusammensetzen. Durch einen grauen Schleier hindurch kämpft Matt sich in Richtung Wahrheit – und die sieht noch einmal ganz anders aus, als er glaubte.
Wieder hat Patricia McCormick einen packenden Roman geschrieben. Eine dramatische Geschichte, die doppelt spannend ist: psychologisch und in ihren Action-Szenen. Die nüchterne, kühle Sprache und der präzise, klare Stil erhöhen die Eindringlichkeit. In kurzen, kleinen Szenen erlebt der Leser existenzielle Situationen mit, die völlig ohne Pathos auskommen: Ein weinender Kamerad in der Nacht, ein Soldat, der seinen Orden zurückgibt, ein kurzes Telefonat mit der Schwester zu Hause, ein bettelndes irakisches Mädchen - sie erzählen mehr über Terror und Traumata als lange Reportagen.
"Versehrt" ist ein starker, mutiger und sehr gut recherchierter Jugendroman über den Schrecken des Krieges und die Sehnsucht nach Frieden. Ein großartiges, weil bescheidenes Buch voller leiser Gesten und Bilder – und mit einem ganz kleinen Hoffnungsschimmer am Schluss.
Besprochen von Sylvia Schwab
Patricia McCormick: Versehrt
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Fischer Verlag, Frankfurt 2011
192 Seiten, 13,95 Euro
Ganz langsam kehren Matts Erinnerungen an den hochgefährlichen Einsatz zurück. Immer neue Erinnerungsfetzen tauchen wie Puzzleteile in seinem schmerzenden Kopf auf. Vieles deutet darauf hin, dass er schuldig ist, am Tod des kleinen Ali, mit dem er sich angefreundet hatte. Ein "klassischer Kollateralschaden" liege vor, beruhigt man Matt, doch der wird immer unruhiger: Warum erzählt ihm Justin, sein bester Freund und Kumpan nicht genau, was passiert ist? Warum kehren die Vorgesetzten den Fall unter den Teppich? Was ist wirklich geschehen?
Patricia McCormick inszeniert ein konzentriertes Kammerspiel. Es beginnt im Krankenhaus, greift zurück in die Vorgeschichte um Alis Tod, geht weiter im Camp und endet mit einem Bombenanschlag und dem Tod zweier sehr guter Freunde von Matt. Mit wenigen Strichen zeichnet sie die Menschen um Matt herum. Die traumatisierten Soldaten im Krankenzimmer, die mal zynischen, dann zugewandten Kameraden im Camp, undurchschaubare Vorgesetzte und die fremdartigen Iraker, denen die Soldaten auf ihren Patrouillen begegnen. Und Ali, den Waisenjungen, der so gut Fußball spielte und dem eine Schlüsselrolle zukommt in Matts Erinnerungen.
Matt ist tief "versehrt", nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Aus seiner ganz subjektiven Sicht ist der Roman erzählt, als Leser erlebt man unmittelbar mit, was in ihm vorgeht: wie sich seine anfänglichen Sprachstörungen anfühlen, wie einsam und orientierungslos er ohne seine Erinnerungen ist, wie das Gedächtnis langsam zurückkehrt und die Indizien sich zu einer schmerzhaften Gewissheit zusammensetzen. Durch einen grauen Schleier hindurch kämpft Matt sich in Richtung Wahrheit – und die sieht noch einmal ganz anders aus, als er glaubte.
Wieder hat Patricia McCormick einen packenden Roman geschrieben. Eine dramatische Geschichte, die doppelt spannend ist: psychologisch und in ihren Action-Szenen. Die nüchterne, kühle Sprache und der präzise, klare Stil erhöhen die Eindringlichkeit. In kurzen, kleinen Szenen erlebt der Leser existenzielle Situationen mit, die völlig ohne Pathos auskommen: Ein weinender Kamerad in der Nacht, ein Soldat, der seinen Orden zurückgibt, ein kurzes Telefonat mit der Schwester zu Hause, ein bettelndes irakisches Mädchen - sie erzählen mehr über Terror und Traumata als lange Reportagen.
"Versehrt" ist ein starker, mutiger und sehr gut recherchierter Jugendroman über den Schrecken des Krieges und die Sehnsucht nach Frieden. Ein großartiges, weil bescheidenes Buch voller leiser Gesten und Bilder – und mit einem ganz kleinen Hoffnungsschimmer am Schluss.
Besprochen von Sylvia Schwab
Patricia McCormick: Versehrt
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Fischer Verlag, Frankfurt 2011
192 Seiten, 13,95 Euro