Wetteifernde Männer im Haifischbecken

22.09.2011
Paul Ingendaay lebt als Kulturkorrespondent der "FAZ" in Madrid. Sein neues Buch "Die romantischen Jahre" ist eine Fortsetzung des Romans "Warum du mich verlassen hast", für den er 2006 den dem "Aspekte"-Literaturpreis erhielt.
Ja, diesen Marko Theunissen kennen wir. Damals, 2006, begleiteten wir ihn ein paar Jahre lang, als er das niederrheinische Internat Collegium Aureum besuchte, wo man über Gott und die Mädchen diskutierte, im Speisesaal "kranke Fleischwurst" herunterwürgte und Erzieher, die "Nietenhosen" für ein nordamerikanisches Übel hielten, ihren pädagogischen Eros auslebten. Paul Ingendaay, der Literaturkritiker und FAZ-Spanien-Korrespondent, schrieb dieses "Warum du mich verlassen hast" betitelte Buch, erntete dafür viel Lob – und den "Aspekte"-Literaturpreis.

Mit "Die romantischen Jahre" schreibt Ingendaay Marko Theunissens Geschichte fort – kein leichtes Unterfangen, wenn man nicht mehr auf den unzerstörbaren Charme und Anekdotenreichtum einer Internatsszenerie bauen kann und stattdessen seinen Helden ins gesetzte Erwachsenenleben schicken möchte. Und in der Tat: Aus den hochfahrenden Plänen des – wie sein Autor – 1961 geborenen Marko ist nicht viel geworden.

37 Jahre zählt er inzwischen; sein Literaturstudium hat er abgebrochen und sich zur Überraschung seiner Freunde und seiner Familie zum Versicherungsvertreter ausbilden lassen. Seit fünf Jahren betreibt er leidlich zufrieden eine kleine Agentur in der nahe Krefeld gelegenen Gemeinde Kleinhoek, wo selbst Fuchs und Hase selten zum gute-Nacht-sagen vorbeischauen, und verkauft der Landbevölkerung unentbehrliche Kfz- und Lebensversicherungen.

Dem "Ausschluss von Risiko" diene, so lernt Marko früh, das Versicherungswesen, doch in seinem Privatleben gelingt es ihm nicht, alle Unwägbarkeiten zu meiden. Seine Affäre mit der Frau eines Kunden bringt ihn ebenso in Nöte wie die Auseinandersetzung mit einem fiesen, zur Erpressung neigenden Kollegen, der ungeniert in Markos Kundendatei wildert. In einem wahrhaftigen Haifischbecken, so erfährt der Leser, tummeln sich diese um jeden Abschluss und um jede Bonuszahlung wetteifernden Männer, und so nimmt es nicht wunder, dass zu Markos Lieblingsfilmen Billy Wilders "Frau ohne Gewissen" zählt, in dem die famose Barbara Stanwyck einen Versicherungsvertreter zum Mord anstiftet.

Von all diesen Dingen erzählt Ingendaay sprachlich brillant und mit ausgeprägtem Sinn für komische Alltagsbegebenheiten, die – wenn beispielsweise Bauer Hübbers im Gespräch mit Marko so tut, als sei seine Frau noch am Leben – ihre abgründigen Seiten nicht verbergen. Als romantischer "Nostalgiker" erinnert sich Marko überdies nur all zu gern an seine Internatszeit und an legendäre Südfrankreich-Urlaube, damals, Ende der Siebzigerjahre, als noch alle Lebenstüren offen zu stehen schienen. Diese Detailfreude gibt den "Romantischen Jahren" – ein Vorwurf, den man auch schon dem Vorgängerroman machen konnte – eine deutliche Überlänge.

Eine Straffung hätte dem Roman gut getan, keine Frage, doch auch so läuft Paul Ingendaay über weite Strecken zu guter erzählerischer Form auf und lässt eine komplexe Familienfeier – Markos von Senilität bedrohter Vater möchte seinen 75. Geburtstag unbedingt im Beisein seiner geschiedenen Frau und seiner widerspenstigen Tochter Sonja feiern – zu einem denkwürdigen Finale werden.

Besprochen von Rainer Moritz

Paul Ingendaay: "Die romantischen Jahre"
Piper Verlag, München 2011
468 Seiten, 19,99 Euro
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