Westverschiebung und Zwangsumsiedlungen

Von Winfried Sträter · 30.11.2005
Die Bundesregierung plant ein Zentrum gegen Vertreibung und stößt damit auf Widerstand in Polen. Die Befürchtungen in Warschau: Durch die Konzentration auf das Schicksal deutscher Vertriebener könnte die Vertreibung von mehr als zwei Millionen Polen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Blickfeld geraten.
Im Herbst 1943 zeichnet sich die Niederlage Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg ab. Die Alliierten entwerfen Pläne für die Nachkriegsordnung. Roosevelt, Stalin und Churchill treffen sich gegen Ende des Jahres in Teheran. Stalin will den sowjetischen Einfluss nach Westen ausdehnen und schlägt vor, dass Polen nach Westen verschoben wird.

Im Februar 1945 treffen sich die "großen Drei" erneut – dieses Mal in Jalta. Nun beschließen sie die Westverschiebung Polens bis an die Oder-Neiße-Grenze. Für den Landgewinn im Westen müssen die Polen allerdings im Osten erheblich größere Gebiete an die Sowjetunion abtreten. Die neue sowjetisch-polnische Grenze soll entlang der so genannten "Curzon-Line" verlaufen – einer Linie, die schon nach dem Ersten Weltkrieg vorgeschlagen worden war. Die ostpolnischen Gebiete, in denen von der Landbevölkerung mehrheitlich russisch gesprochen wurde, sollten von Polen abgetrennt werden.

Die Potsdamer Konferenz bestätigt diese Westverschiebung Polens, und am 16. August 1945 wird sie in einem polnisch-sowjetischen Vertrag festgelegt. Die Folge: aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten werden über zwei Millionen Polen zwangsumgesiedelt.

Etwa zwei Drittel von ihnen landen in den neuen polnischen Westgebieten, aus denen die Deutschen vertrieben werden. Hinzu kommen weitere 1,6 Millionen Polen, die aus der ehemaligen Sowjetunion umgesiedelt werden.

Vor diesem Hintergrund war die Vertreibung der Deutschen nur Teil der Vertreibungen, die durch die von der Sowjetunion durchgesetzte Westverschiebung Polens ausgelöst wurde. Die Polen, die nun im Westen angesiedelt wurden, konnten sich ihrer neuen Heimat allerdings nicht sicher sein, denn das Potsdamer Abkommen erklärte die Oder-Neiße-Grenze als "provisorisch", während im Osten der polnisch-sowjetische Grenzvertrag dauerhaft gültig war. Das hieß für die Zwangsumgesiedelten: Ihre alte Heimat hatten sie definitiv verloren. Ob sie aber in ihrer neuen Heimat bleiben konnten, das war noch nicht endgültig geklärt – bis 1990.