Westöstlicher Funkenflug
Kunstwerke der westlichen Moderne treffen im Kunstmuseum Wolfsburg auf Objekte der traditionellen japanischen Kunst. Die Ausstellung zeigt unter anderem einen Vergleich von Bauhaus und Teehaus.
Ganz einfach "Haken" nannte Paul Klee einige schwarze Elemente, die er 1938 wie kalligraphische Zeichen auf eine kleinformatige Leinwand malte. Vor dieser Miniatur der Moderne steht im Wolfsburger Kunstmuseum in einem schlichten weißen Kubus die ebenso zierliche japanische Schale aus dem 18. Jahrhundert: Eigentlich nur eine Collage grauer Scherben, von feinen Rissen überzogen, die Bruchstellen durch Goldlack bewußt hervorgehoben.
Denn solche Gebrauchsspuren sind es, die japanisches Kulturgut adeln, die schlichte Alltagsdinge in den Rang künstlerischer Kompositionen erheben. Die Ähnlichkeit zwischen Klees Gemälde und dem Zufallsmuster auf der Teeschale springt ins Auge. Spürbar wird jene Faszination, die Kuratorin Annelie Lütgens bei ihrem Japan-Besuch erfaßt hat:
"Ein Kunstbegriff, der keinen Unterschied macht zwischen 'high' und 'low', also zwischen einer Zen-Tuschmalerei und der Schale eines Keramikers, das ist für uns ein ganz wichtiger Anfangspunkt gewesen."
Nicht dem Exotismus fremder Kulturen, sondern einer eigenartigen Übereinstimmung ist die Wolfsburger Schau gewidmet: Der "erfüllten Leere", wie man sie hierzulande aus dem Bauhaus kennt, mit funktional reduziertem Design oder den von allem überflüssigen Dekor befreiten Bauten eines Gropius oder Mies van der Rohe:
"Wir wollten uns ja nicht mit dem Japonismus und dem Jugendstil und der Arts-and-crafts-Bewegung beschäftigen, sondern mit der Moderne beginnen und hatten dieses wunderbare Bonmot von Adolf Loos im Kopf: Moderne Architektur ist japanische Kultur und europäische Tradition."
Das Wörtchen "und" allerdings kaschiert so manches, läßt auch im Titel "Japan und der Westen" einiges im Unklaren. Und genau dem hilft Museumsdirektor Markus Brüderlin ab, mit den ureigensten Mitteln des Ausstellungsmachers:
"Anstelle des Wörtchens 'und' ist die Evidenz getreten. Das Prinzip, das alles zusammenbindet, ist die Analogie. Ein Wirkungsmechanismus zwischen zwei Dingen, der nicht rational erklärt werden kann: Man bringt Dinge in die Nähe und plötzlich springt ein Funke über, wo man eine Art von Aha-Erlebnis, durchaus Erkenntnis - benutzen wir doch das Wort - haben kann."
Zu den in diesem Sinne "fruchtbaren", also spannungsreichen und funkenschlagenden Paarungen zählt das Aufeinandertreffen von Rainer Ruthenbecks weißem Stoffdreieck mit einer hölzernen Buddhafigur: beide Objekte auf ihre Art stilisierte Konzentrate geistig-spiritueller Exerzitien.
Auch der Dialog von Barnett Newmans ins Unendliche strebenden Farbfeldern mit einer blitzenden Samuraiklinge. Was dem modernen Maler die "Zipps" - allerschmalste Vertikalstreifen, mit denen die Farben fast unmerklich getrennt werden - das war dem Waffenschmied der "Hamon", jene metallisch schillernde Linie, in der Eisen und Stahlklinge ineinander übergehen. Ein Spiegel verborgener Korrespondenzen, erklärt Markus Brüderlin:
"Was die Wissenschaft verfolgt in Hirnforschung oder Neurologie, da kommt sie an die Grenzen des verstandesmäßig Erschließbaren. Und die Künstler haben das von Anfang an gespürt, auch die Rationalisten der Moderne haben das von Anfang an gespürt, dass ein Schlüsselbegriff für die globale Welt eine Art Synthese ist zwischen der westlichen Aufklärung und der östlichen Spiritualität."
Anschaulich wird diese Berührung der Kulturen, wenn neben einem nachgebauten Teehaus Geschirr und Vasen zu sehen sind. Sie könnten aus dem Bauhaus stammen: das schlichte Gefäß als moderne Metapher der möglichst rational umschlossenen Leere. Zugleich aber verweisen die einfachen Formen auf eine typisch japanische Alltagsästhetik. So tun sich Fragen auf - und Kuratorin Annelie Lütgens bestärkt den Betrachter in seinem Zweifel:
"Die Bauhaus-Keramiker sind sozusagen zu einer Moderne aus einer ganz einfachen handwerklichen Tradition gekommen. Und wenn sie nicht genau auf die Labels gucken, ist es ganz, ganz schwer das zu unterscheiden. Da versuchen wir also die Dinge zu durchmischen und einfach mal zu so etwas zu kommen wie Äquivalenzen, also Dinge einfach einmal gleichwertig nebeneinander zu sehen."
Agnes Martins Farbbänder - ganz langsam aus einem gebrochenen Weiß hervortretende Pastellstreifen - werden verstärkt durch die zarte Aura einer fast transparenten Jade-Schale. Beide Objekte wirken wie die metaphysische Verkörperung jenes sprichwörtlichen "Lob des Schattens", das der Philosoph Tanizaki Jun'ichiro zum Titel eines Essays über japanische Ästhetik machte.
Auf diese Überlegungen, aber auch auf das westöstliche Denken Martin Heideggers, von Roland Barthes oder Michel Foucault stützt sich Brüderlin bei seiner ebenso überraschenden wie längst überfälligen Interpretation der "Migration der Formen". Denn im Gegensatz zur Weltkunstschau der documenta beläßt man es in Wolfsburg nicht beim bloßen Jonglieren mit Ähnlichkeiten und Analogien:
"Die Intuition ist ein Teil des Zusammenstellens von solch verschiedenen Objekten aus verschiedenen Kulturen, aber man kann nicht dabei stehenbleiben. Natürlich gibt es 'die Objektivität' in dem Sinne nicht, aber als Kurator ist man schlussendlich einfach verpflichtet, analytisch in der Tendenz zu arbeiten. Die Subjektivität ist den Künstlern vorbehalten."
Service:
Die Ausstellung "Japan und der Westen: Die erfüllte Leere" ist bis zum 13. Januar 2008 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.
Denn solche Gebrauchsspuren sind es, die japanisches Kulturgut adeln, die schlichte Alltagsdinge in den Rang künstlerischer Kompositionen erheben. Die Ähnlichkeit zwischen Klees Gemälde und dem Zufallsmuster auf der Teeschale springt ins Auge. Spürbar wird jene Faszination, die Kuratorin Annelie Lütgens bei ihrem Japan-Besuch erfaßt hat:
"Ein Kunstbegriff, der keinen Unterschied macht zwischen 'high' und 'low', also zwischen einer Zen-Tuschmalerei und der Schale eines Keramikers, das ist für uns ein ganz wichtiger Anfangspunkt gewesen."
Nicht dem Exotismus fremder Kulturen, sondern einer eigenartigen Übereinstimmung ist die Wolfsburger Schau gewidmet: Der "erfüllten Leere", wie man sie hierzulande aus dem Bauhaus kennt, mit funktional reduziertem Design oder den von allem überflüssigen Dekor befreiten Bauten eines Gropius oder Mies van der Rohe:
"Wir wollten uns ja nicht mit dem Japonismus und dem Jugendstil und der Arts-and-crafts-Bewegung beschäftigen, sondern mit der Moderne beginnen und hatten dieses wunderbare Bonmot von Adolf Loos im Kopf: Moderne Architektur ist japanische Kultur und europäische Tradition."
Das Wörtchen "und" allerdings kaschiert so manches, läßt auch im Titel "Japan und der Westen" einiges im Unklaren. Und genau dem hilft Museumsdirektor Markus Brüderlin ab, mit den ureigensten Mitteln des Ausstellungsmachers:
"Anstelle des Wörtchens 'und' ist die Evidenz getreten. Das Prinzip, das alles zusammenbindet, ist die Analogie. Ein Wirkungsmechanismus zwischen zwei Dingen, der nicht rational erklärt werden kann: Man bringt Dinge in die Nähe und plötzlich springt ein Funke über, wo man eine Art von Aha-Erlebnis, durchaus Erkenntnis - benutzen wir doch das Wort - haben kann."
Zu den in diesem Sinne "fruchtbaren", also spannungsreichen und funkenschlagenden Paarungen zählt das Aufeinandertreffen von Rainer Ruthenbecks weißem Stoffdreieck mit einer hölzernen Buddhafigur: beide Objekte auf ihre Art stilisierte Konzentrate geistig-spiritueller Exerzitien.
Auch der Dialog von Barnett Newmans ins Unendliche strebenden Farbfeldern mit einer blitzenden Samuraiklinge. Was dem modernen Maler die "Zipps" - allerschmalste Vertikalstreifen, mit denen die Farben fast unmerklich getrennt werden - das war dem Waffenschmied der "Hamon", jene metallisch schillernde Linie, in der Eisen und Stahlklinge ineinander übergehen. Ein Spiegel verborgener Korrespondenzen, erklärt Markus Brüderlin:
"Was die Wissenschaft verfolgt in Hirnforschung oder Neurologie, da kommt sie an die Grenzen des verstandesmäßig Erschließbaren. Und die Künstler haben das von Anfang an gespürt, auch die Rationalisten der Moderne haben das von Anfang an gespürt, dass ein Schlüsselbegriff für die globale Welt eine Art Synthese ist zwischen der westlichen Aufklärung und der östlichen Spiritualität."
Anschaulich wird diese Berührung der Kulturen, wenn neben einem nachgebauten Teehaus Geschirr und Vasen zu sehen sind. Sie könnten aus dem Bauhaus stammen: das schlichte Gefäß als moderne Metapher der möglichst rational umschlossenen Leere. Zugleich aber verweisen die einfachen Formen auf eine typisch japanische Alltagsästhetik. So tun sich Fragen auf - und Kuratorin Annelie Lütgens bestärkt den Betrachter in seinem Zweifel:
"Die Bauhaus-Keramiker sind sozusagen zu einer Moderne aus einer ganz einfachen handwerklichen Tradition gekommen. Und wenn sie nicht genau auf die Labels gucken, ist es ganz, ganz schwer das zu unterscheiden. Da versuchen wir also die Dinge zu durchmischen und einfach mal zu so etwas zu kommen wie Äquivalenzen, also Dinge einfach einmal gleichwertig nebeneinander zu sehen."
Agnes Martins Farbbänder - ganz langsam aus einem gebrochenen Weiß hervortretende Pastellstreifen - werden verstärkt durch die zarte Aura einer fast transparenten Jade-Schale. Beide Objekte wirken wie die metaphysische Verkörperung jenes sprichwörtlichen "Lob des Schattens", das der Philosoph Tanizaki Jun'ichiro zum Titel eines Essays über japanische Ästhetik machte.
Auf diese Überlegungen, aber auch auf das westöstliche Denken Martin Heideggers, von Roland Barthes oder Michel Foucault stützt sich Brüderlin bei seiner ebenso überraschenden wie längst überfälligen Interpretation der "Migration der Formen". Denn im Gegensatz zur Weltkunstschau der documenta beläßt man es in Wolfsburg nicht beim bloßen Jonglieren mit Ähnlichkeiten und Analogien:
"Die Intuition ist ein Teil des Zusammenstellens von solch verschiedenen Objekten aus verschiedenen Kulturen, aber man kann nicht dabei stehenbleiben. Natürlich gibt es 'die Objektivität' in dem Sinne nicht, aber als Kurator ist man schlussendlich einfach verpflichtet, analytisch in der Tendenz zu arbeiten. Die Subjektivität ist den Künstlern vorbehalten."
Service:
Die Ausstellung "Japan und der Westen: Die erfüllte Leere" ist bis zum 13. Januar 2008 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.