Zum Mord am Journalisten Jan Kuciak

Kampf gegen organisierte Kriminalität "gleicht einem Hase-Igel-Spiel"

Mehrere Dutzend Grabkerzen stehen erleuchtet vor einem Foto des ermordeten Journalisten Jan Kuciak
Der Mord an dem slowakischen Journalisten Jan Kuciak hat viele Menschen erschüttert. © imago / Kamil Kosun
Arndt Sinn im Gespräch mit Katrin Heise  · 03.03.2018
Nach dem Mord an dem slowakischen Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten wird auch über das Ausmaß der organisierten Kriminalität in der EU neu diskutiert. Der Strafrechtler Arndt Sinn fordert bessere Polizeiarbeit und gemeinsame Ermittlungsteams.
Der 27-jährige Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova waren in der Nacht zum Montag (26.2.) in ihrem Haus im Dorf Velka Maca in der Westslowakei tot aufgefunden worden. Unbekannte Täter hatten das Paar durch Schüsse in Kopf und Brust im Stil einer Hinrichtung getötet.
Am Donnerstag nahm die Polizei sieben Menschen fest. Im Visier der Ermittlungen stünden italienische Geschäftsleute, die angeblich Verbindungen zur Mafia haben, hieß es. Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftemacherei recherchiert und war auf Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Regierungsmitarbeitern gestoßen. Seine unvollendete letzte Reportage dazu wurde nach seinem Tod in mehreren slowakischen Medien und inzwischen auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht.

Mehr Dynamik für die Strafverfolgung

Der Strafrechtler Arndt Sinn, Direktor des Zentrums für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien an der Universität Osnabrück fordert eine stärkere Zusammenarbeit in der EU, um die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. "Die organisierte Kriminalität in Europa ist hochprofessionalisiert, sie ist multinational aufgestellt, sie ist in mehreren Tätigkeitsbereichen tätig ", sagte Sinn im Deutschlandfunk Kultur. "Das ist eben ein großes Problem für die Strafverfolgung, das sie eher statisch agieren kann und diese Dynamik gar nicht nachvollziehen kann." Deshalb gleiche es einem Hase-Igel-Spiel. Das werde sich nicht ändern, aber der Abstand zwischen Hase und Igel, also den Kriminellen und den Strafverfolgungsbehörden dürfe nicht zu groß werden.

Engere Zusammenarbeit der Behörden in der EU

"Der Professionalisierung der Tätergruppierung, der muss natürlich eine Professionalisierung auch der nationalen Strafverfolgungsbehörden entgegen gehalten werden." Es müssten in der EU mehr Daten ausgetauscht werden und gemeinsame Ermittlungsteams gebildet werden. Nicht alle Länder machten da bislang mit, kritisierte Sinn. Der Strafrechtler bemängelte auch, dass die Terrorismusbekämpfung in der EU ausgebaut worden sei, indem die Ressourcen von der Verfolgung des organisierten Verbrechens weg verlagert seien. "Das können wir uns nicht leisten."

(mw)

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: "Italienische Spur" nennen die Ermittler in der [Slowakei] zurzeit die Verbindung, die sie im Mordfall Jan Kuciak verfolgen, Verstrickungen zwischen organisierter Kriminalität, also der Mafia, und der Politik. Erste Regierungsrücktritte hat es ja gegeben in Slowenien, und da es sich um Subventionsbetrug handelt oder darum geht, erfolgte auch eine Reaktion aus Brüssel. EU-Haushaltskommissar Oettinger hat nämlich angekündigt, die Geldströme zwischen der EU und der Slowakei untersuchen zu lassen. Professor Arndt Sinn ist Direktor des Zentrums für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien an der Uni Osnabrück und er beschäftigt sich seit Jahren mit dem organisierten Verbrechen. Er berät zurzeit das Justizministerium in Taiwan und deswegen konnte ich ihn nur vor der Sendung erreichen. Ich habe ihn gefragt, was er sich verspricht von Oettingers Ankündigung, die Finanzströme zwischen EU und der Slowakei untersuchen zu lassen!
Arndt Sinn: Natürlich in erster Linie, einmal Licht ins Dunkle zu bringen. Wir wissen ja über den Fall im Moment nur das, was der Ermordete uns hinterlassen hat. Und dies aufzuklären und die Verbindungen möglicherweise zum organisierten Verbrechen zu erhellen, das ist natürlich die große Herausforderung. Und hier gilt natürlich auch der Grundsatz: Folge dem Geld! Follow the money! Und das hat schon immer auch Erfolge gebracht, wenn man denn die geeigneten Akteure, die an solchen Aktionen mitwirken müssen, also Polizei, Zoll, grenzüberschreitende Zusammenhang, Joint Investigation Teams und, und, und … denn auch erfolgreich durchgeführt werden wollen.

"Es gibt Subventionsbetrügereien"

Heise: Dass organisierte Kriminalität die Möglichkeiten der EU nutzt, ist ja eigentlich ein offenes Geheimnis, das ist ja Gegenstand von diversen Krimis eigentlich auch immer. Welche spezifischen Spielräume gibt es da? Oder gibt es da neue Entwicklungen?
Sinn: Na ja, es war schon immer so, dass dort, wo Geld liegt, es die Kriminellen angezogen hat und das natürlich auch ein attraktiver Markt für organisierte Kriminalität ist. Und wenn dazu noch ein undurchsichtiges System hinzukommt, bei dem viele Akteure eine Rolle spielen, dann ist das natürlich auch mit einem niedrigen Entdeckungsrisiko verbunden und damit einer hohen Erfolgsquote. Konkret angesprochen sind also diese Mehrwertsteuerbetrügereien, die durch sogenannte Umsatzsteuerkarusselle durchgeführt werden. Und wir kennen das natürlich aus dem Bereich des Emissionsschutzhandels und das hat man dann durch das sogenannte Reverse-Charge-Verfahren in den Griff bekommen. Aber natürlich gibt es heute immer noch diese Umsatzsteuerkarusselle, es gibt Subventionsbetrügereien. Und das ist der aktuelle Stand und der war immer schon groß, diese Gefährdung, durch organisierte Kriminalität, und der ist immer noch groß.
Heise: Wie funktioniert so ein Karussell?
Sinn: Na ja, das Karussell funktioniert so, dass man sich die Mehrwertsteuer erstatten lässt, obwohl die Waren tatsächlich nicht ausgetauscht wurden. Also Karussell, die werden im Kreis gedreht zwischen Personen, die eingeweiht sind in diese Karussellgeschäfte. Und dann verschwindet letztendlich derjenige, der die Mehrwertsteuer sich aus dem EU-System erstatten lässt, und die EU bleibt auf diesen Schäden dann sitzen.

"Sie brauchen alle EU-Mitgliedsstaaten"

Heise: Und ist, wie ich Ihren Worten entnehme, landläufig bekannt. Aber ich frage mich: Warum kann trotz des Wissens die organisierte Kriminalität in der EU und in Deutschland in so rasanter Weise an Boden gewinnen?
Sinn: Na ja, an Boden gewinnen… Sie hat diesen Boden schon immer gehabt, weil das System der Mehrwertsteuererstattung eben so ausgestaltet ist, dass derjenige, der also Waren empfängt, der bekommt die Umsatzsteuer und der kann die sich dann zurückerstatten lassen. Also er muss für die Ware Geld bezahlen, die Umsatzsteuer bezahlen und kann sie sich dann zurückerstatten lassen. Und wenn man das umdrehen würde mit einem Reverse-Charge-Verfahren, also die Erstattungen eben umdrehen würde, dann würde das eben nicht mehr funktionieren.
Wir wissen, dass unser ehemalige Finanzminister Schäuble einen Vorstoß gemacht hat vor einigen Jahren, das Reverse-Charge-Verfahren auf EU-Ebene einzuführen. Damit ist er damals gescheitert und das hat man dann auch nicht wieder aufgegriffen. Ich bin mir aber sicher, dass im Ressort Oettinger dort schon Ideen vorliegen, auch vor diesem Fall, den wir jetzt diskutieren, um diese Probleme in den Griff zu kriegen. Das heißt, die EU ist wach, die Nationalstaaten sind wach, aber wenn Sie auf EU-Ebene etwas umsetzen wollen, dann brauchen Sie eben alle Mitgliedsstaaten dabei. Und das ist eben schwierig genug, weil nicht alle mitziehen.
Heise: Ihren Worten entnehme ich, dass die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union eben nicht auf der Höhe der Zeit ist, was die organisierte Kriminalität anbetrifft?
Sinn: Na ja, wir haben mit Europol natürlich eine Agentur in Europa, die erst mal Daten sammelt und auch sehr gute Arbeit leistet bei der Unterstützung der Mitgliedsstaaten zur Verfolgung und grenzüberschreitenden Koordination von Joint Investigation Teams. Das haben wir geschafft, Europol ist ein nennenswerter Gewinn in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Aber Europol lebt natürlich nur von den Daten und von den Informationen, die die Mitgliedsstaaten einspeisen. Und es gilt auch bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität: Wissen ist Macht. Und nur wenn Sie dieses Wissen haben, dann können Sie effektiv verfolgen.

"Es müssen gemeinsame Ermittlungsteams gebildet werden"

Heise: Wenn ich mir das jetzt mal vorstelle: Also es kommt darauf an, dass alle an einem Strang ziehen, dass alle dieses Wissen haben, dass alle das Wissen umsetzen wollen. Was würden Sie denn empfehlen … Ich meine, da hinkt man ja immer dem organisierten Verbrechen hinterher, zumal die sich natürlich die technischen Neuerungen sofort zunutze machen!
Sinn: Selbstverständlich, die organisierte Kriminalität in Europa ist hoch professionalisiert, sie ist multinational aufgestellt, sie ist in mehreren Tätigkeitsbereichen tätig. Und das ist eben ein großes Problem für die Strafverfolgung, dass sie eher statisch agieren kann und diese Dynamik gar nicht nachvollziehen kann und deshalb das eben einem Hase-und-Igel-Spiel gleicht. Das wird sich auch nie ändern. Aber der Abstand zwischen Hase und Igel, sprich zwischen den Kriminellen und den Strafverfolgern darf nicht zu groß werden. Folge: Die Professionalisierung der Tätergruppierung, der muss natürlich eine Professionalisierung auch der nationalen Strafverfolgungsbehörden entgegengehalten werden, sprich also Einsatz von technischen Mitteln muss hier kommen.
Es müssen überhaupt Daten ausgetauscht werden. Es müssen auch gemeinsame Ermittlungsteams gebildet werden. Da gibt es Rechtsgrundlagen in der EU, aber nicht alle Staaten sind bereit, in gemeinsamen Ermittlungsteams mitzuwirken. Und da brauchen wir durchaus noch eine Awareness und auch eine Priorisierung in Richtung dieser Aktionen. Wir müssen weiterhin sehen: Seit 09/11 hat eine deutliche Priorisierung und ein Ressourcenumzug von OK-Verfolgung hin zu Terrorismusverfolgung stattgefunden. Das können wir uns nicht leisten. Natürlich wollen unsere Bürger in Sicherheit leben und vor terroristischen Anschlägen geschützt sein, das ist richtig. Aber wir werden langfristig die Schäden, die durch organisierte Kriminalität auf unsere Gesellschaft zukommen, nicht verhindern oder einschränken, wenn wir nicht hinreichend Ressourcen schaffen für diese Ermittlungen.

"Das hat man damals nicht ernst genommen"

Heise: Zumal organisierte Kriminalität und Terrorismus ja durchaus auch Koalitionen eingehen.
Sinn: So ist es. Wir haben das bei Europol vor mehr als einem Jahrzehnt in dem Serious and Organized Crime Thread Assessment 2013 beraten haben, ich wirke mit in diesem Beraterteam, haben wir das damals diskutiert, diese hybriden Gruppierungen. Das hat man damals nicht ernst genommen. Bei Europol wohl, aber einige der Mitgliedsstaaten haben das nicht ernst genommen.
Und jetzt finden Sie in diesem neuen Bericht aus 2017 endlich ein Kapitel über hybride Gruppierungen, sprich also dem Zusammenwirken von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Und diese müssen wir beachten und das muss auch in der deutschen Sicherheitsarchitektur abgebildet werden. Ich darf ergänzen, dass endlich in diesem Koalitionsvertrag, der vielleicht irgendwann auch mal dann in Geltung gesetzt wird, drinsteht, dass es eine Erneuerung des periodischen Sicherheitsberichtes geben muss. Das ist unsere Sicherheitsarchitektur.
Heise: Wünschen Sie sich, dass da mehr Druck von der Bevölkerung ausgeübt wird? Und um den auszuüben, muss man ja Informationen haben. Da sind wir dann wieder beim Ausgangspunkt unseres Interviews, nämlich dem Journalisten Jan Kuciak, der genau diese Aufklärung betrieben hat und jetzt aber mit seinem Leben bezahlt hat. Was wünschen Sie sich von den Medien in dieser Hinsicht?
Sinn: Natürlich genau das, was jetzt passiert, dass man diese Fälle aufgreift, dass man Journalismus betreibt, der auf Fakten beruht, dass man nicht das Gespenst schon an die Wand malt, bevor man irgendwelche Fakten hat, dass es eine seriöse Berichterstattung gibt. Denn was man natürlich nicht brauchen kann an so einer Stelle, ist eine Überhöhung eines bestimmten Vorfalls – und damit meine ich nicht den, über den wir jetzt sprechen – und dann kommt am Ende nichts raus und man hat viele Ressourcen, nicht nur mediale Ressourcen vergeudet, sondern auch Polizeiressourcen vergeudet und die organisierte Kriminalität freut sich, weil sie eine ganz andere Straße genommen hat.
Das darf definitiv nicht passieren, und die Medien haben eine ganz wichtige Rolle, nicht nur der Informationsgewinnung, in der Beschaffung, in der investigativen Recherche, sondern eben auch bei der Seriosität dieser Fakten mitzuwirken. Nicht alles, was kriminell ist, ist organisierte Kriminalität. Wir brauchen die Ressourcen zur OK-Verfolgung eben dort, wo sie gebraucht werden, und nicht für jeden kleinen Handtaschendiebstahl.
Heise: Wünscht sich Professor Arndt Sinn, Direktor des Zentrums für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien in Osnabrück. Danke schön für dieses Gespräch!
Sinn: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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