Westerwelle: Verschärftes Versammlungsrecht ist dilettantisch

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, hält Klagen von Neonazis gegen die geplante Einschränkung der Versammlungsfreiheit für aussichtsreich. Das Gesetz, das heute im Bundestag beschlossen werden soll, sei "dilettantisch", sagte Westerwelle im Deutschlandradio Kultur. Daher hätten Klagen von Betroffenen vor dem Bundesverfassungsgericht "eine sehr große Chance auf Erfolg".
Sagenschneider: ...haben sich Rot-Grün weitgehend verständigt, wie man das Versammlungsrecht ändern will, und heute schon soll im Bundestag darüber entschieden werden. In erster Linie geht es darum, künftig besser gegen Neonazi-Aufmärsche vorgehen zu können. Demonstrieren darf jeder, die Frage ist nur wo. Künftig sollen Demonstrationen an Gedenkstätten von überregionaler Bedeutung wie zum Beispiel dem Holocaust-Mahnmal in Berlin verboten werden können, wenn zu befürchten ist, dass die Würde von NS-Opfern verletzt wird. Auf welche Orte genau das neue Gesetz angewendet werden soll, das ist - mit Ausnahme des Holocaust-Mahnmals - Entscheidung der Länder, und die denken noch darüber nach. Also, alle wollen das Versammlungsrecht ändern, nur die FDP nicht. Guido Westerwelle ist Parteichef der Liberalen, Guten Morgen, Herr Westerwelle. Bleibt es dabei, die FDP wird heute gegen die Gesetzesänderung stimmen?

Westerwelle: Wir werden heute gegen diese Einschränkung des Versammlungsrechtes stimmen, denn Neonazi-Demonstrationen, die widerlich sind und die vor allen Dingen auch das kulturelle Erbe oder das Gedenken an die Opfer beschmutzen, können bereits heute mit dem geltenden Versammlungsrecht verhindert werden. Es muss nur angewendet werden und dazu fehlt es leider oft genug an Mut. Wir sind der Überzeugung, dass man den Rechtsextremismus politisch bekämpfen muss. Man kann den Rechtsextremismus nicht dadurch bekämpfen, dass man die Versammlungsfreiheit für alle friedliebenden Bürger einschränkt.

Sagenschneider: Ihre Position ist ja in diesen Tagen eine Minderheitsposition, was nicht immer so war, denn so lange ist es nicht her, dass Rot-Grün ebenfalls keine Änderung wollte. Wie erklären Sie sich das? Ist das wirklich nur die Angst davor, dass am 8. Mai, also 60. Jahrestag des Kriegsendes, Neonazis durchs Brandenburger Tor marschieren?

Westerwelle: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass wir bei unserer Position in all den Jahren geblieben sind. Das ist auch nicht das erste Mal, dass wir in einer Minderheitenposition plötzlich sind beim Thema Bürgerrechte und Versammlungsrecht: Erinnern Sie sich bitte an das NPD-Verbotsverfahren, auch da war die FDP die einzige Partei, die dagegen gestimmt hat, weil wir gesagt haben, das Risiko, dass dieses vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert, ist enorm groß. Wir haben festgestellt, die Neonazis haben nie so viel Zulauf bekommen, bei keiner ihrer Veranstaltungen, wie durch das NPD-Verbotsverfahren selbst. Es ist gescheitert, kläglich gescheitert, auch an den handwerklichen Fehlern, und wir fürchten, dass auch jetzt dieses dilettantische Recht, das das Versammlungsgesetz verändern soll, wiederum vor dem Verfassungsgericht scheitern könnte. Man stelle sich vor, die Rechtsradikalen gehen gegen dieses Versammlungsrecht jetzt vor Gericht, vors Verfassungsgericht, bekommen dort Recht, das wird abermals eine Werbeveranstaltung für die Rechtsextremen. Und deswegen appellieren wir auch an SPD und Grüne, aber eben auch an die Unionsparteien, nicht mit den Stimmungen im Bauch, sondern mit einem kühlen Kopf, mit der Entschiedenheit, aber auch mit der Gelassenheit der Demokraten dagegen vorzugehen.

Sagenschneider: Würden Sie glauben, dass eine Klage eine Chance hätte?

Westerwelle: Ich glaube, dass eine Klage von Betroffenen, gerade auch weil die Orte so unbestimmt sind, vor dem Bundesverfassungsgericht eine sehr große Chance auf Erfolg hätte. Das haben ja auch zahlreiche Experten in den letzten Tagen deutlich gemacht. Wir laufen abermals Gefahr als Demokraten, über jedes braune Stöckchen zu springen, was uns diese widerliche NPD hinhält, mit dem Ergebnis, dass die Demokraten wie beim NPD-Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht scheitern, denn das Verfassungsgericht bewertet ja nicht danach, was politisch, auch moralisch, auch vom Gefühl her richtig ist, sondern danach, was von der Verfassung her geboten ist, und das sind zwei unterschiedliche Maßstäbe. Wir bedauern es sehr, dass augenscheinlich nach der Sachsen-Wahl, wo ja die NPD ein unglaublich schreckliches Ergebnis bekommen hat, hier eine Aufregung entstanden ist, die die anderen Parteien dazu gedrängt hat, von ihrer bisherigen Position, das war ja auch die Haltung der FDP, abzurücken. Wir sind noch bei unserer Haltung als Vertreter der Verfassung, des Grundgesetzes, als Rechtsstaat- und Bürgerrechtspartei, wir wollen eine wehrhafte Demokratie, aber in einer wehrhaften Demokratie ist das Allerbeste, man handelt mit einem kühlen, entschiedenen, entschlossenen, aber eben auch einem gelassen Kopf der Demokraten.

Sagenschneider: Man ist da immer ein bisschen gespalten, denn diese Debatten, die wir jetzt führen mit Blick auf die Gedenktage und sicher auch ausgelöst durch den NPD-Eklat im sächsischen Landtag, da fragt man sich immer, besteht da auch die Gefahr, dass man die Rechtsextremisten durch solche Debatten auch aufwertet, dass man sie zu wichtig nimmt oder kann man sie - andersherum - gar nicht wichtig genug nehmen?

Westerwelle: Die Rechtsextremen sind eine schreckliche und widerliche Erscheinung unserer Zeit. Dass sich die rechtsextreme Szene geeinigt hat, ist übrigens auch das Ergebnis des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens, insoweit hat man genau das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen wollte. Dass nach Sachsen auch die Aufregung groß war, ist mehr als verständlich, aber dass man die Rechtsextremen eben ohne sie aufzuwerten, auch gut politisch bekämpfen kann, das haben wir doch gerade vor vier Wochen gesehen bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Dort haben alle Parteien gemeinsam politisch, demokratisch diese Rechtsextremen in ihre braune Ecke gestellt. Das Ergebnis ist, sie haben bei der Wahl überhaupt gar keine Rolle gespielt. Also nicht aufwerten durch Aktionismus, durch schlechte Gesetze, die vielleicht gut gemeint sind, aber katastrophal wirken, sondern entschieden bekämpfen, auf die Jugendlichen zugehen, Arbeitsplätze schaffen, wirtschaftliche Perspektiven schaffen, das ist mit Sicherheit das beste Programm gegen Rechtsextremismus, aber nicht die Einschränkung der Bürger- und Versammlungsrechte für alle Menschen in Deutschland.