Wertvolle Lebenszeit

Philipp Zimbardo und John Boyd zeigen in ihrem Buch "Die neue Psychologie der Zeit und wie sie Ihr Leben verändern wird", wie der Leser das Beste aus seiner kostbaren Zeit machen kann.
Zeit ist Geld, ein gängiges Klischee. Stimmt so nicht, sagen die amerikanischen Psychologen Phil Zimbardo und John Boyd in ihrem Buch "Die neue Psychologie der Zeit". Zeit ist viel kostbarer als Geld; mehr noch: unser ganzes Handeln wird durch die Wahrnehmung von Zeit bestimmt. Zeitperspektive nennen das die Autoren und beschreiben damit eine Art Standpunkt, von dem aus wir unser Leben bewerten und ordnen.

Wir blicken entweder primär von der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft aus. Diese oft unbewusste Haltung hat immense Auswirkungen auf unserer individuellen Motivation sowie auf die Gemütslage ganzer Nationen, wie die Autoren eindrucksvoll belegen.

Eine negative Perspektive auf unsere Vergangenheit trennt uns von unseren Wurzeln oder zwingt uns dazu, statt den Möglichkeiten der Gegenwart die Schmerzen des Damals immer wieder zu durchleben. Eine positive Haltung zur eigenen Vergangenheit hingegen ist die Grundlage für Zufriedenheit.

Menschen, die ausschließlich in der Gegenwart leben, sogenannte Gegenwartshedonisten, können entweder ihrer eigenen Zukunftsignoranz zum Opfer fallen oder glückliche Helden des Jetzt werden. Zukunftsgetriebenen halten die Welt am Laufen und sich selbst oft so auf Trab, dass ihnen das kostbare Jetzt entgeht.

Das sind gewagte Thesen, denen man aber gerne folgt. Denn der Ansatz von Zimbardo und Boyd ist so fundiert wie überzeugend und wird in einer äußerst lesbaren Mischung neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse, sozialer Analysen und persönlicher Kommentaren präsentiert. In bester amerikanischer Tradition bemühen sich die Autoren um Schwung, Unterhaltsamkeit und den persönlichen Fortschritt des Lesers. Selbst das angestaubte deutsche Layout kann dem nicht viel entgegensetzen.

Ein weiterer interessanter Ansatz der beiden Psychologen ist die Verknüpfung von Zeitperspektiven mit Zivilisationskrankheiten wie Depression oder Burnout oder mit zentralen Fragen der Gegenwart wie der Motivation von Selbstmordattentätern oder Finanzhasardeuren.

Laut Zimbardo und Boyd steckt hinter diesen Problemen meist auch ein aus den Fugen geratenes Zeitverhältnis, was sie mit vielen anschaulichen Beispielen belegen. Depressive Menschen zum Beispiel leben meistens in einer fatalistischen Gegenwart, die mit Gefühlen von Macht- und Wertlosigkeit einhergeht, und haben zudem einen extrem negativen Blick auf die eigene Vergangenheit.

Doch die Autoren bleiben nicht bei der Analyse, sondern bieten auch eine Lösung an: eine Art temporaler Idealkombination. Gemeint ist damit eine positive Sicht auf die Vergangenheit, kombiniert mit mildem Gegenwartshedonismus und einer eben dadurch gemäßigten Zukunftsorientierung. Dieses Ideal soll man bewusst anstreben, so Zimbardo und Boyd.

Ihr Plädoyer: Das Verhältnis zu Zeit sollte immer wieder neu justiert werden. Denn die Fähigkeit, je nach Situation eine angemessene Zeitperspektive einzunehmen ist für die beiden der Schlüssel zum Glück. Ihr kluges Buch hat vor allem das Anliegen, dem Leser zu zeigen, wie er das Beste aus seiner kostbaren Zeit machen kann. Denn eins ist sicher: Sie ist begrenzt.

Besprochen von Ariadne von Schirach

Phillip Zimbardo/John Boyd: Die neue Psychologie der Zeit und wie sie ihr Leben verändern wird
übersetzt von Karsten Petersen, Spektrum akademischer Verlag, Oktober 2009, 444 Seiten, Hardcover, 24,95 Euro