Wertedebatte als Rezept gegen den Djihadismus
30.01.2008
Der Professor für Internationale Beziehungen Bassam Tibi meldet sich zurück. In seinem neuen Buch mit dem Titel "Die islamische Herausforderung" sucht er nach Auswegen aus der islamistischen Gewalt, die auch Europa als Schauplatz erreicht hat. Nötig sei eine schonungslose Wertedebatte der Europäer, meint Tibi.
"Entweder europäisiert Europa den Islam oder der Islam islamisiert Europa", formuliert Bassam Tibi in seinem neuen Buch. Es sind starke Worte, die ins Parolenhafte reichen. Sie sind der wütende Beitrag eines Islamwissenschaftlers, der sich nach eigener Einschätzung in Deutschland unverstanden fühlt, und auch von der Politik enttäuscht ist.
"Das Merkwürdige ist, dass viele europäische Politiker wähnen, Integration per Gesetz verordnen zu können. Die Pflicht zur Teilnahme an Sprachkursen soll Integration bewirken. Diese obrigkeitsstaatliche Sicht straft die Tatsache Lügen, dass Fundamentalisten, die eine Ruhezone innerhalb der europäischen Islam-Diaspora aufbauen und nutzen, fließend Deutsch oder Englisch oder Französisch sprechen... Wenn diese Islamisten ungehindert in den Parallelgesellschaften daran wirken, Europa zu verändern, warum nimmt sich Europa nicht das Recht, auf die islamische Gemeinschaft der Diaspora einzuwirken?"
Tibis Forderung: Auf europäischem Boden muss sich der Islam von der Scharia, seinem religiösen Rechtssystems trennen. Vom Koran gutgeheißene Strafen wie Auspeitschen, Handabhacken oder die Todesstrafe seien mit dem westlichen Rechts- und Werteempfinden unvereinbar. Ein solches Zurechtstutzen des Islams, eine Angleichung an hiesige Sitten sei im Übrigen keineswegs vermessen, wie das Beispiel Afrikas zeige, wo sich der Islam mit einheimischen Kulturen vielfältig vermischt hat. Warum, so Tibi, geht das nicht auch hier? Dass der politisierte Islam auch die Europäer angeht, sei unverkennbar, spätestens seit den Anschlägen von Madrid oder dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh. Dabei fordert Tibi die liberalen Muslime auf, sich aktiv gegen Islamisten zu positionieren. Doch Europa sei auch selbst an den Auswüchsen des Islamismus schuld. Europa sei nach Ende des Kalten Krieges orientierungslos geworden.
"Unsere Zeit der Postbipolarität Europas [treibt] in eine zivilisatorische Krise, so dass Europäer an ihrer Werteorientierung unter dem Deckmantel der Toleranz nicht nur zweifeln, sondern auch ihrer Gültigkeit im Rahmen eines Kulturrelativismus bestreiten. Dies geschieht paradoxerweise parallel zur islamischen Identitätspolitik, besonders in der Diaspora. In dieser Situation kann sich Europa geistige Hilfe ... [bei] Ibn Khaldun holen."
Ibn Khaldun, der große islamische Philosoph des 14. Jahrhunderts, beschreibt das Aufeinandertreffen von Zivilisationen. Durchsetzen kann sich dabei nur eine Zivilisation, die sich ihrer Werte bewusst ist. Diesen Gedanken spinnt Tibi für Europa und den Islam aus: Kein Wunder, dass sich selbst Kinder von Migranten, die in Europa geboren sind, hier nicht heimisch fühlen. Europa liefere ihnen keine Vorbilder. Die hiesigen Errungenschaften – Freiheit, Menschenrechte und Demokratie – würden nicht mehr bewusst wertgeschätzt. Oder wie sonst sei es erklärbar, dass man beispielsweise häusliche Gewalt gegen Frauen hinnimmt mit dem Verweis, dies sei nun mal Teil der islamischen Kultur? Und selbst die Kritik an derartigen Missständen sei tabu.
"(...) Autoren, die über Unterschiede und damit zusammenhängende Konflikte sprechen, [werden] nicht nur geächtet, sondern auch in die Nähe der fremdenfeindlichen Rechtsradikalen gerückt, wie ich, ein Fremder mit einer "linken" Biographie, als Opfer dieser Geisteshaltung wiederholt erfahren musste. Die Unterstellung, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen problemlos verlaufe und nur "Friede, Freude, Eierkuchen" sei, wird oft mit der Aussage verbunden, dass, wer anders denke, zu den Friedensstörern gehöre. Diese Argumentation ist für die Multikulti-Gesinnung charakteristisch."
Tibi, in Syrien geboren, seit 44 Jahren in Deutschland lebend, fühlt sich hier als Fremder. Diese Ausgrenzungserfahrung färbt die Kritik seines Buches. Tibi ist wütend auf Worthülsen wie die, dass Ausländer "Personen mit Migrationshintergrund" genannt werden – eine Political correctness, die den bestehenden Alltagsrassismus vertuscht. Derartige Phrasendrescherei im Umgang mit Migranten falle letztlich auf Deutschland zurück, weil sie verhindern, offen über die Gefahren des islamistischen Terrors zu debattieren. Mit Hellsicht und Biss merkt Tibi an:
"In einer Kombination von christlichen Schuldgefühlen über die koloniale Vergangenheit und Multikulti-Ideologie wurde der islamische Djihadismus dank einer falschen "europäischen Toleranz" geduldet."
Tibis Buch ist flammend geschrieben, meinungsfreudig, mutig, und zugleich akademisch untermauert – doch es liefert dabei nichts neues, nichts, was Tibi selbst zuvor nicht schon so oder ähnlich gesagt hätte. Auch wird es nicht konkret. Wie soll das im Einzelnen aussehen: die Gleichgültigkeit überwinden, die sich als Toleranz ausgibt, um so den Alltagsrassismus zu bekämpfen? Und wie genau soll das geschehen, dass den Migranten die europäischen Werte mit neuem Selbstbewusstsein nahegelegt werden? Hierzu schweigt Tibi, und dennoch ist sein Buch ein wertvoller Beitrag. Dies liegt in der Persönlichkeit Bassam Tibis, der als selbst empfundener Fremder Tabus aufspürt und sich nicht scheut, diese offen anzusprechen. Seine Einblicke mögen dabei nicht originell und unerhört sein, aber sie erreichen eine bewundernswerte Klarheit und Eindringlichkeit. Dem Buch ist zu wünschen, dass es damit einen Impuls bringen kann – und eine schmerzhafte Wertedebatte unterstützt, die in Europa aussteht.
"Die Europäer müssen eine unzensierte Diskussion zulassen, um die aus der Migration hervorgehenden Herausforderungen bewältigen zu können. Das ist das Problem, nicht die Muslime selbst."
Rezensiert von Thilo Guschas
Bassam Tibi: Die islamische Herausforderung. Religion und Politik im Europa des 21. Jahrhunderts
Primus Verlag 2007
182 Seiten, 24,90 Euro
"Das Merkwürdige ist, dass viele europäische Politiker wähnen, Integration per Gesetz verordnen zu können. Die Pflicht zur Teilnahme an Sprachkursen soll Integration bewirken. Diese obrigkeitsstaatliche Sicht straft die Tatsache Lügen, dass Fundamentalisten, die eine Ruhezone innerhalb der europäischen Islam-Diaspora aufbauen und nutzen, fließend Deutsch oder Englisch oder Französisch sprechen... Wenn diese Islamisten ungehindert in den Parallelgesellschaften daran wirken, Europa zu verändern, warum nimmt sich Europa nicht das Recht, auf die islamische Gemeinschaft der Diaspora einzuwirken?"
Tibis Forderung: Auf europäischem Boden muss sich der Islam von der Scharia, seinem religiösen Rechtssystems trennen. Vom Koran gutgeheißene Strafen wie Auspeitschen, Handabhacken oder die Todesstrafe seien mit dem westlichen Rechts- und Werteempfinden unvereinbar. Ein solches Zurechtstutzen des Islams, eine Angleichung an hiesige Sitten sei im Übrigen keineswegs vermessen, wie das Beispiel Afrikas zeige, wo sich der Islam mit einheimischen Kulturen vielfältig vermischt hat. Warum, so Tibi, geht das nicht auch hier? Dass der politisierte Islam auch die Europäer angeht, sei unverkennbar, spätestens seit den Anschlägen von Madrid oder dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh. Dabei fordert Tibi die liberalen Muslime auf, sich aktiv gegen Islamisten zu positionieren. Doch Europa sei auch selbst an den Auswüchsen des Islamismus schuld. Europa sei nach Ende des Kalten Krieges orientierungslos geworden.
"Unsere Zeit der Postbipolarität Europas [treibt] in eine zivilisatorische Krise, so dass Europäer an ihrer Werteorientierung unter dem Deckmantel der Toleranz nicht nur zweifeln, sondern auch ihrer Gültigkeit im Rahmen eines Kulturrelativismus bestreiten. Dies geschieht paradoxerweise parallel zur islamischen Identitätspolitik, besonders in der Diaspora. In dieser Situation kann sich Europa geistige Hilfe ... [bei] Ibn Khaldun holen."
Ibn Khaldun, der große islamische Philosoph des 14. Jahrhunderts, beschreibt das Aufeinandertreffen von Zivilisationen. Durchsetzen kann sich dabei nur eine Zivilisation, die sich ihrer Werte bewusst ist. Diesen Gedanken spinnt Tibi für Europa und den Islam aus: Kein Wunder, dass sich selbst Kinder von Migranten, die in Europa geboren sind, hier nicht heimisch fühlen. Europa liefere ihnen keine Vorbilder. Die hiesigen Errungenschaften – Freiheit, Menschenrechte und Demokratie – würden nicht mehr bewusst wertgeschätzt. Oder wie sonst sei es erklärbar, dass man beispielsweise häusliche Gewalt gegen Frauen hinnimmt mit dem Verweis, dies sei nun mal Teil der islamischen Kultur? Und selbst die Kritik an derartigen Missständen sei tabu.
"(...) Autoren, die über Unterschiede und damit zusammenhängende Konflikte sprechen, [werden] nicht nur geächtet, sondern auch in die Nähe der fremdenfeindlichen Rechtsradikalen gerückt, wie ich, ein Fremder mit einer "linken" Biographie, als Opfer dieser Geisteshaltung wiederholt erfahren musste. Die Unterstellung, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen problemlos verlaufe und nur "Friede, Freude, Eierkuchen" sei, wird oft mit der Aussage verbunden, dass, wer anders denke, zu den Friedensstörern gehöre. Diese Argumentation ist für die Multikulti-Gesinnung charakteristisch."
Tibi, in Syrien geboren, seit 44 Jahren in Deutschland lebend, fühlt sich hier als Fremder. Diese Ausgrenzungserfahrung färbt die Kritik seines Buches. Tibi ist wütend auf Worthülsen wie die, dass Ausländer "Personen mit Migrationshintergrund" genannt werden – eine Political correctness, die den bestehenden Alltagsrassismus vertuscht. Derartige Phrasendrescherei im Umgang mit Migranten falle letztlich auf Deutschland zurück, weil sie verhindern, offen über die Gefahren des islamistischen Terrors zu debattieren. Mit Hellsicht und Biss merkt Tibi an:
"In einer Kombination von christlichen Schuldgefühlen über die koloniale Vergangenheit und Multikulti-Ideologie wurde der islamische Djihadismus dank einer falschen "europäischen Toleranz" geduldet."
Tibis Buch ist flammend geschrieben, meinungsfreudig, mutig, und zugleich akademisch untermauert – doch es liefert dabei nichts neues, nichts, was Tibi selbst zuvor nicht schon so oder ähnlich gesagt hätte. Auch wird es nicht konkret. Wie soll das im Einzelnen aussehen: die Gleichgültigkeit überwinden, die sich als Toleranz ausgibt, um so den Alltagsrassismus zu bekämpfen? Und wie genau soll das geschehen, dass den Migranten die europäischen Werte mit neuem Selbstbewusstsein nahegelegt werden? Hierzu schweigt Tibi, und dennoch ist sein Buch ein wertvoller Beitrag. Dies liegt in der Persönlichkeit Bassam Tibis, der als selbst empfundener Fremder Tabus aufspürt und sich nicht scheut, diese offen anzusprechen. Seine Einblicke mögen dabei nicht originell und unerhört sein, aber sie erreichen eine bewundernswerte Klarheit und Eindringlichkeit. Dem Buch ist zu wünschen, dass es damit einen Impuls bringen kann – und eine schmerzhafte Wertedebatte unterstützt, die in Europa aussteht.
"Die Europäer müssen eine unzensierte Diskussion zulassen, um die aus der Migration hervorgehenden Herausforderungen bewältigen zu können. Das ist das Problem, nicht die Muslime selbst."
Rezensiert von Thilo Guschas
Bassam Tibi: Die islamische Herausforderung. Religion und Politik im Europa des 21. Jahrhunderts
Primus Verlag 2007
182 Seiten, 24,90 Euro