Werner Herzogs Memoiren

Erinnerungen eines Extremfilmemachers

09:21 Minuten
Werner Herzog im Porträt
Der Filmemacher Werner Herzog © picture alliance / 2019 Hubert Bösl / Boesl
Werner Herzog im Gespräch mit Susanne Burg · 23.08.2022
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Kurz vor seinem 80. Geburtstag hat Filmemacher Werner Herzog seine Erinnerungen in Buchform vorgelegt. Im Interview spricht er über Risikobereitschaft und Wahrheitsfindung. Herzog ist weiterhin voller Tatendrang.
Die meisten kennen ihn für seine fünf Filme mit Klaus Kinski, die Hardcore-Fans schätzen seine essayistischen Dokumentarfilme, die er mit poetischen Worten und seinem bayerischen Akzent unterlegt, das jüngere Publikum kennt ihn aus Hollywood-Produktionen wie "Jack Reacher" oder "The Mandalorian", als fiesen alten Mann, der im Hintergrund die Strippen zieht.
Werner Herzog ist irgendwie überall. Nach über 70 Filmen als Regisseur und etlichen Auftritten als Schauspieler und Sprecher ist er eine Legende, die man auch in Hollywood verehrt - was sich allein schon an vier Gastauftritten bei den "Simpsons" zeigt.
Fast jedes Jahr mindestens ein Film, und für jedes Jahr ohne gibt es auch mal Jahre mit zwei oder drei Filme hinterher. Mit fast 80 Jahren wirkt der Vielbeschäftigte kein bisschen müde. Kaum ist neueste Film heraus, ist der nächste schon in der Mache.

Religiöse Gewissheit

Kurz vor seinem Geburtstag am 5. September blickt Herzog in einem neuen Buch auf sein Leben zurück: "Jeder für sich und Gott gegen alle" ist dem Titel seines Kaspar-Hauser-Films von 1974 entlehnt. Damals sei "fast niemand" in der Lage gewesen, diesen richtig wiederzugeben, heißt es im Vorwort, daher sei dies ein zweiter Versuch.
"In einem Buch kann man Erinnerungen vergessen, sie zwischen den Einbänden gefangen halten", schreibt er auf der Website des Hanser Verlags. Und er schreibe, weil er "weder singe, noch tanze".

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Weniger lapidar geht es zwischen den Buchdeckeln zu, Herzog bleibt in seinem Buch seinem poetischen Stil treu. Es handelt von Widerständen und Risiken, was schon mit der Flucht mit seiner Mutter aus dem zerbombten München beginnt.
Als Regisseur war Herzog war schon immer einer, der aufs Ganze ging. Das zeigt sich etwa an seinen Dschungelfilmen mit dem cholerischen Klaus Kinski. Die Dreharbeiten zu "Aguirre - Der Zorn Gottes" waren, gelinde gesagt, schwierig, die zu "Fitzcarraldo" waren (abgesehen von seinem schwierigen Hauptdarsteller) von etlichen Katastrophen begleitet: darunter Flugzeugabstürze und ein Krieg.
Doch Herzog bekam - wie sein Held - trotzdem einen Flussdampfer einen Berg hinaufgezogen.

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„Das geht nur, wenn Sie eine ganz klare Vision haben", sagt der Regisseur. "Das hat mich immer irgendwie weitergebracht. Und das was man im Katholizismus die Heilsgewissheit nennt. Fast wie eine gewisse religiöse Gewissheit.“
Was Herzog antreibt, sind die großen Fragen, die die Welt bewegen. Er erzählt von Menschen in Extremsituationen. Nicht nur in seinen Spielfilmen, auch in seinen Dokumentationen, wie etwa über einen aktiven Vulkan ("La Soufriere"), die Bergsteiger Reinhold Messner und Hans Kammerlander ("Gasherbrum - Der leuchtende Berg") sowie den "Grizzly Man", einen Tierschutzaktivisten, der von Bären getötet wird.

Suche nach ekstatischer Wahrheit

„Einen rein beobachtenden Dokumentarfilm, dieses 'Cinéma vérité', das hat er schon immer vollkommen abgelehnt", sagt unsere Filmredakteurin Susanne Burg. "Die Suche nach Wahrheit beschäftigt ihn, er hat dafür den Begriff der ‚ekstatischen Wahrheit‘ geprägt, einer Wahrheit, die sich nur durch Stilisierung und Inszenierung und Erfindung erreichen lasse.“
Herzog selbst sagt dazu: „Wir wissen ja alle nicht, was Wahrheit ist, weder der Papst in Rom, noch die Philosophen, noch die Mathematiker. Es ist eigentlich immer nur eine Annäherung an etwas, was da ferne im Nebel liegt. Wir arbeiten uns darauf hin. Ich versuche bei Dokumentarfilmen vor allem einen Unterschied zu machen, was rein faktisch ist und was Wahrheit ist. Fakten per se ergeben keine Wahrheit.
Das Telefonbuch von Manhattan, vier Millionen Einträge, ist uninspirierend. Wir wissen die Namen und wir wissen die Telefonnummern und die Adressen dazu. Warum aber Herr Jonathan Smith jede Nacht in sein Kissen weint, das wissen wir nicht – und hinter dem bin ich her.“

Werner Herzog: "Jeder für sich und Gott gegen alle"
Hanser Verlag 2022
352 Seiten, 28 Euro

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