Werkeln mit den Nachbarn

Von Tarik Ahmia · 16.11.2011
Hunderte Millionen Menschen tummeln sich online bei Gartensimulationen oder Brettspielen. Die Wachstumsraten in Segment des "Social Gaming" sind rasant und sorgen für eine neue Internet-Euphorie - vor allem in Deutschland.
Im Internet wird gehämmert und gewerkelt, was das Zeug hält. 90 Millionen Menschen spielen jeden Monat das Social-Game "Cityville" auf Facebook. In dem Aufbauspiel des weltweit größten Anbieters "Zynga" geht es darum, vom ersten Spatenstich bis zur turbulenten Metropole eine funktionierende Stadt zu entwickeln. Das Attribut "sozial" haben diese Spiele, weil sie sich online mit anderen gemeinsam spielen lassen.

Kurzweilige Maus-Klick-Spiele wie "Cityville", die grafisch meist quietschbunt daherkommen und im Internet-Browser laufen, haben sich in den letzten drei Jahren zu Kassenschlagern der Computerspielebranche entwickelt.

Die Kunden sind ganz verrückt danach: Weltweit pflegen etwa 700 Millionen Menschen diesen vergnüglichen Zeitvertreib mit virtuellen Gärten, Bauernhöfen oder Gangsterspielen.

Zur Abwechslung mischen auch deutsche Firmen bei diesem neuen Internet-Boom ganz vorne mit. Vor allem in Berlin, Hamburg und München haben sich im Lauf der letzten Jahre junge Firmen etabliert, die sich die neuen Online-Spiele ausdenken und kostenlos im Internet anbieten.

Bigpoint ist mit 800 Mitarbeitern ein Schwergewicht in der globalen Branche. Das Hamburger Entwicklerstudio betreibt mit 200 Millionen registrierten Spielern eines der größten Portale der Welt für Online-Games.

Während die Hamburger im Laufe von neun Jahren gewachsen sind, hat sich der Berliner Spieleentwickler Wooga in den letzten zwei Jahren in der Weltspitze etabliert.

Jeden Monat spielen mehr als 30 Millionen Facebook-Nutzer Woogas Eigenentwicklungen wie "Bubble Island", "Brain Buddies" und "Monster World". Mehr Spieler als Wooga haben auf Facebook nur noch die Branchenriesen Electronic Arts und Zynga.

Ein wichtiges Erfolgsgeheimnis dafür sieht Wooga-Gründer Jens Begemann darin, dass - anders als bei herkömmlichen Computerspielen - die Entwicklungsarbeit bei Social Games nie aufhört:

"Wir bei Wooga versuchen, dafür zu sorgen, dass ein Spiel wirklich über Monate oder Jahre Spaß macht, indem wir uns sehr genau anschauen, was genutzt wird, welche Spielelemente genutzt werden und auch wie die Reaktion von Nutzern darauf ist. Und obwohl es dann Millionen von Nutzern auf jedem Wooga-Spiel gibt, verbessern wir die Spiele trotzdem jede Woche weiter."

Um genau herauszufinden, was ihnen mehr und was ihnen weniger Spaß bereitet, wird das Verhalten der Spieler sekundengenau analysiert. Wo nötig, wird im Spiel nachgebessert, damit das Interesse der Spieler nicht nachlässt.

Michael Kalkowski ist Creative-Director bei der Berliner Online-Games-Schmiede Gameduell. Auch hier werden die Spiele auf Grundlage der Messungen verbessert:

"Man hat dann eine neue Idee, ein neues Feature oder mehrere. Die werden dann parallel verschiedenen Segmenten der Nutzer gezeigt und dann kann man genau nachmessen, wie funktioniert das und wie funktioniert das. Dann kann man das alles testen und das System in relativ kurzer Zeit, innerhalb von wenigen Tagen, also wir haben bei uns Entwicklungszyklen, da reden wir über ein, zwei Wochen, in denen neue Sachen ‚gelauncht‘ und entwickelt werden, das ist extrem schnell in der Branche."

Das boomende Genre stellt auch die gewohnten Regeln auf den Kopf, wie mit Computerspielen Geld verdient wird. Grundsätzlich sind die Social Games für die Spieler nämlich kostenlos. Geld verdienen die Anbieter trotzdem - indem sie den Spielern virtuelles Zubehör verkaufen. Dazu Michael Kalkowski:

"Die Spieler können das Spiel kostenlos spielen und können dann aber, wenn Sie wollen, noch zusätzliche Features im Spiel freischalten, die dann beim Spielen Ihnen noch Vorteile geben, extra Zeit oder noch ein Level freischalten. Und das erfolgt dann über ganz kleines Summen. Das sind da Cent-Beträge."

…die sich weltweit bereits auf mehrere Milliarden US-Dollar Jahresumsatz summieren. Vorreiter ist dabei Asien: Drei Viertel der Einnahmen werden in Südkorea, Japan und China erwirtschaftet. Etablierte Spieleanbieter reagieren bereits auf die Konkurrenz aus dem Netz: So wird der jahrelange PC-Bestseller "Die Siedler" seit Ende 2010 auch als kostenlose online-Variante angeboten.

Das (Online-) Publikum ist zahlungskräftig, weil die kurzweiligen Internet-Spiele bislang eine viel ältere Zielgruppe als klassische Computerspiele ansprechen. Das Profil des typischen Spielers von Gameduell beschreibt recht genau den Durchschnittsspieler in der gesamten Social Gaming-Branche.

Michael Kalkowski: "Bei uns ist es in der Tat das Durchschnittsalter 35, sogar noch aufwärts und die meisten sind Frauen, die bei uns spielen. 70 Prozent ungefähr sind Frauen."

Für die weitere Entwicklung der Online-Spiele sieht Wooga-Chef Jens Begemann Entwicklerstudios aus Deutschland gut gerüstet. Insbesondere Berlin sei für die Gaming-Firmen, die typischerweise Mitarbeiter aus vielen Nationen beschäftigen, als Standort sehr attraktiv:

"Berlin ist aus meiner Sicht für ein Unternehmen wie Wooga derzeit die beste Stadt auf dem gesamten Planeten, um dort zu gründen, denn wir brauchen internationale, aber auch kreative Menschen. Die finden wir in ganz Europa und da ist die Bereitschaft, nach Berlin zu ziehen, sehr, sehr groß."

Ausschlaggebend für den weiteren Erfolg der Social Games wird es sein, immer neue Spielideen zu finden, die Millionen Menschen ansprechen. Das kann auch mit bewährten Konzepten gelingen. So kommen in Deutschland Online-Versionen traditioneller Kartenspiele wie Doppelkopf, Rommee und Skat gut an.

Für den Spaß mit Online-Spielen gibt es keine Altersgrenze, sagt Michael Kalkowski von Gameduell:

"Wir hatten schon Deutschlands ältesten Skatspieler, der war über 90 Jahre alt und hatte auch bei uns im Internet bei Gameduell Skat gespielt und hat sich extra dafür noch mal einen Rechner schenken lassen, von seiner Enkeltochter, glaube ich. Und der hat bei uns gespielt und fand das super. Und der hat alles verstanden - sofort."
Mehr zum Thema