Werbung muss sich der individualisierten Gesellschaft anpassen

Moderation: Jürgen König |
Die Werbewirtschaft hat es nach Ansicht von Klaus-Peter Schulz, Chef der Media Agentur OMD Germany, immer schwerer, Zielgruppen zu erreichen. Der Grund sei die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft. Hier müsse die Werbung ansetzen und Bezugspunkte in Sport, Musik und Mode zur Orientierung liefern.
König: Wir leben im Zeitalter der Individualisierung. Die große Kulturgemeinschaft gibt es nicht mehr, stattdessen immer zahlreichere Nischenkulturen, immer kleinere Communities. Welche Veränderungen das für die Werbewirtschaft mit sich bringt, mit welchen Strategien man zukünftig arbeiten wird, um uns Bürger für dieses oder jenes Produkt zu erwärmen, das fragen wir jetzt Klaus-Peter Schulz. Er ist noch der Chief Executive Officer, heißt Geschäftsführer, von OMD Deutschland, das ist die am schnellsten wachsende Media-Agentur bei uns.

Ab 1. Februar wird Klaus-Peter Schulz Chief Executive Officer der BBDO Deutschland sein, das ist die mit Abstand größte Werbegruppe bei uns. Sie betreut ein Werbevolumen von mehreren Milliarden Euro. Die Muttergesellschaft wiederum ist die BBDO Worldwide, und die gehört zur weltgrößten Werbeholding Omnicom aus den USA und betreut Kunden wie General Electric, Pepsi oder auch Chrysler. Ich hoffe, ich habe das alles so richtig wiedergegeben. Guten Morgen Herr Schulz!

Schulz: Einen schönen guten Morgen!

König: Sie teilen die These von der individualisierten Gesellschaft?

Schulz: Absolut. Es ist heute immer schwieriger geworden, Zielgruppen zu erreichen, weil sich soziale Milieus seit den sechziger Jahren kontinuierlich aufgelöst haben. Traditionen spielen heutzutage nicht mehr die Rolle als sozialer und kultureller Bezugspunkt für das Leben des Einzelnen, wie es mal der Fall war. Das Positive an der Sache ist, dass die Menschen heute auch, gerade junge Menschen, sehr viel mehr Möglichkeiten haben, Berufsfelder zu erklimmen, mit denen ihre Väter nichts mehr zu tun haben.

Der Nachteil ist aber auch, dass viele Menschen immer mehr auf sich selber gestellt sind, Bezugspunkte suchen und mit sich selber klarkommen müssen. Die Ich-AG war vielleicht eines der Unworte der letzten Jahre, deutet aber an, wie viel schwieriger es für viele Menschen geworden ist, Bezugspunkt und Orientierung zu finden.

Die letzte Bundestagswahl hat beispielsweise auch gezeigt, dass die großen Parteien immer weniger Stimmen auf sich vereinen. Auch das hat damit zu tun, dass sich die klassischen sozialen Milieus wie die Arbeiterschaft aus dem Ruhrpott oder auch das katholische Milieu, das ländliche Milieu, auflösen, und in diesem Zuge ist es einfach immer schwieriger geworden, Zielgruppen zu erreichen.

König: Gleichzeitig hat man den Eindruck, dass viele Unternehmen sich derzeit wieder auf ihre alten Kernmarken konzentrieren. Stimmt der Eindruck, und wenn ja, ist es ein Zeichen dafür, dass man eben als Werbetreibender doch dann lieber auf das Bekannte, Bestehende setzt in einer Gesellschaft, die sich so zersplittert?

Schulz: Es ist in dieser zersplitterten Welt immer wichtiger, neue oder auch damit alte Bezugspunkte zu setzen, und Marken können hier durchaus wie ein Leuchtturm am Horizont wirken und solche Bezugspunkte für den Einzelnen setzen. Es ist von daher für die Unternehmen umso wichtiger, ihre alten Markenwerte sehr sorgfältig zu analysieren und die alten Markenwerte oder auch die neuen Markenwerte wiederaufzuladen, zu erkennen oder neue Markenwerte zu setzen.

König: Was ist denn heutzutage wirklich kreative und innovative Werbung?

Schulz: Kreativ und innovativ sind im Grunde Kunstbegriffe. Es geht letztlich um die Idee. Es geht darum, eine Marke aktuell aufzuladen im entsprechenden Medien- und Werbeumfeld, aber im Kern steht immer die eine große Kommunikationsidee. Das war immer so und ist auch heute noch so.

König: Nur: Weil Sie jetzt so viel speziellere Zielgruppen haben, brauchen Sie auch entsprechend spezialisierte und aufgesplittete Werbestrategien.

Schulz: Die Inszenierung der Marke ist heute eine andere. Während es vor zehn, zwanzig Jahren gereich hat, zehn Millionen Mark in die Hand zu nehmen und damit eine Marke im Fernsehen oder in Zeitschriften zu bewerben oder auch im Hörfunk, ist das heute längst nicht mehr der Fall, weil Sie mit diesen Medien in dieser Form so die Zielgruppen nicht mehr erreichen.

Sie müssen versuchen, in vier Schritten letztlich, zunächst versuchen, die Markenwerte klar herauszustellen und für den Verbraucher transparent zu machen, zweitens zu schauen, wenn es mit den Markenwerten ein bisschen schwierig ist, finde ich Möglichkeiten in den Medien, die Marke interessanter zu machen, also: Wo kann ich sozusagen mit Medienumfeldern im Fernsehen im Funk, im Hörfunk, bei Zeitschriften die Marke regelrecht verheiraten, wo finde ich Bezugspunkte? Das kann im Bereich Sport sein, im Bereich Musik sein, das kann im Bereich Kultur sein. Wo finde ich Bezugspunkte, wo die Markenwerte mit etwas Interessantem, Unterhaltsamem, mit den Medien übereinstimmen, wie kann ich das miteinander verheiraten? Deswegen sprechen wir in vielen Fällen regelrecht davon, die Marke mit den Medien zu verheiraten, und dann das Ganze durch die entsprechenden Medien heutzutage auch zu vernetzen und regelrecht zu inszenieren.

Wenn Sie einzelne Marken nehmen, dann finden sie häufig die Werbeträger wie TV und Funk, ergänzt durch Online, durch so genannte Response-Elemente, bei denen der Verbraucher eine Warenprobe bestellen kann, bei denen er eine Probefahrt ordern kann, bei denen die Marke aber auch in einer spielerischen, interessanteren Form dem Verbraucher nähergebracht wird, damit der Verbraucher mit der Marke regelrecht interaktiv umgehen kann.

König: Klingt alles wahnsinnig raffiniert im Vergleich zu solchen Werbebotschaften, mit denen ich noch großgeworden bin, also Clementine wirbt für Ariel oder Persil, da weiß man, was man hat, oder so etwas. Das klingt alles wahnsinnig raffiniert, wie eine Wissenschaft. Es ist eine?

Schulz: Es ist letztlich eine Entscheidungsdisziplin und keine reine Wissenschaft. Es hat nach wie vor sehr viel mit dem Verständnis des Verbrauchers zu tun, und das können Sie nicht allein wissenschaftlich erheben. Natürlich spielen die Betriebswirtschaften und hier die Marketingtechnologien eine Rolle, aber ein gutes Bauchgefühl und das Gespür für den Verbraucher und wie die Marke dort ankommt, die Sie dann auch schnell quantitativ erheben können, spielen nach wie vor eine große Rolle, ein Gefühl dafür, was zu einer Marke passt, was nicht passt, ob es Sinn macht, im Umfeld eines Spielfilms zu werben, ob es Sinn macht, eine bestimmte Sportart mit zu belegen, oder sich auf einen bestimmten Musiktrend zu setzen, dieses Gespür ist nach wie vor eine Eigenschaft, die ein guter Marketingmanager heute beherrschen muss.

König: Sie haben Konvergenz in der Kommunikationstechnologie angesprochen, also dass die Medien alle untereinander vernetzt werden können, der PC als Fernseher, das Handy als Taschencomputer, und dass entsprechend auch die Werbebotschaften anders gestreut werden. In einem Interview der Netzeitung haben Sie im Sommer letzten Jahres gesagt, Deutschland müsse aufpassen, bei den neuen Medien nicht plötzlich zum Entwicklungsland zu werden. Sehen inzwischen Anzeichen der Besserung?

Schulz: Absolut. Dazu hat die Entscheidung der Bundesliga, der DFL beigetragen, die Rechte im Pay-TV nun an ein Konsortium von Kabelnetzbetreibern zu geben, weil das zu einem neuen Schub in den Kabelmedien, im Kabelfernsehen helfen könnte. Hier ist damit zu rechnen, dass im Laufe dieses Jahres sich eine Vielzahl von Sendern, von Unternehmungen gründen, um dieses Medium voranzutreiben.

Wir hatten bislang nicht die Situation wie in Frankreich oder England, wo insbesondere das Pay-TV und auch das Pay-TV vernetzt mit dem Internet wie auf der B-Sky-B-Plattform gerade im UK entsprechend vorangetrieben worden waren. Hier hat es einfach an Investitionen gemangelt, weil die bestehenden großen Fernsehgruppen, also die RTL-Gruppe wie auch die ProSieben/Sat1-AG bis dato vielleicht zu beharrlich ihr gutes altes Free-TV hatten schützen wollen. Inzwischen hat sich die Meinung dort geändert, und man ist sehr wohl bereit, bei beiden großen Mediagruppen hier zu investieren.

König: Wie steht es um den kreativen Werbenachwuchs? Haben Sie genug Leute, die das können oder wo Sie meinen, das sind so interessante Menschen, die schaffen das?

Schulz: Es hat zu jeder Zeit wie auch heute immer interessanten Nachwuchs gegeben. Es gibt immer Menschen, die sich in ihrer Umwelt aktiv umschauen, die querdenken, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, die die Hochschulen, die Universitäten besuchen, die aber auch im Alltag Ideen entwickeln. Das hat es immer gegeben, das gibt es auch heute, da machen wir uns keine Sorgen.

König: Mit welchen Methoden können Sie eigentlich überprüfen, dass das Geld, das Sie in Werbung investieren, auch gut angelegt ist? Ich meine, ich vermute, Stichwort Globalisierung, Effizienz, Kostenminimierung, auch Nachvollziehbarkeit der Wirksamkeit von Werbung wird immer wichtiger. Wie finden Sie das heraus?

Schulz: Dazu gibt es diverse sozialwissenschaftliche, so genannte ökonometrische Methoden, genannt Modelling, bei denen man versucht, alle Faktoren, die den Erfolg einer Marke ausmachen, zunächst in einem Datenmodell zu erfassen. Dazu gehören alle Ausgaben der Marke in einem bestimmten Zeitraum für Werbung, für Werbung am Point of Sale, aber auch Maßnahmen aus dem Bereich der Distribution, also der Verbreitung. Das kann man mit verschiedenen Gewichtungsfaktoren dazu ergänzen. Das können bis zu 100 Faktoren sein, die auf der Inputseite stehen. Auf der Outputseite steht dann letztlich der Verkaufserfolg der Marke.

Man kann auch Bekanntheit messen, man kann auch das Image einer Marke abfragen, aber all diese Faktoren fahren letztlich auch den Verkauf ein. Diese Faktoren kann man entsprechend zumessen, zuordnen und damit auch die Frage beantworten, was passiert, wenn ich einen Euro in Werbung mehr ausgebe, wie schlägt sich das auf den Erfolg, den Absatzverkauf einer Marke nieder.

König: Und sind wie wichtig für das Wohl einer Firma, diese Methoden?

Schulz: Die sind extrem wichtig.

König: Für die Zukunft entscheidend?

Schulz: Sie sind mit entscheidend, ja. Nicht umsonst wird in diese Forschung immer mehr hinein investiert.

König: Den guten alten Werbespot von 30 Sekunden wird es aber auch weiterhin immer geben?

Schulz: Den wird es weiterhin geben, vielleicht hat er eine Länge von 20 Sekunden und vielleicht findet er in einem anderen Umfeld statt. Vielleicht ein, zwei Beispiele: Die Marke Nissan hat in England das Format 24 Stunden belegt. Dieses Programm wurde ja in 24 Folgen ausgestrahlt, und diese 24 Folgen, wie Sie vielleicht wissen, hatten eine Dramaturgie, die immer auf der vorherigen jeweils aufbaute, eben über die genannten 24 Stunden. Hier hat man jetzt keinen einfachen Fernsehspot als Sponsoring gewählt, sondern man hat eine ganze Geschichte geschrieben, und zwar 24 Minuten insgesamt am Stück, und jede Folge lief eine Minute. Im Internet gab es dazu die 25. Folge, im Internet konnte man sich dazu Zusammenhänge, beispielsweise die ersten fünf oder sieben Folgen ansehen, im Internet gab es dazu drum herum ein entsprechendes Gewinnspiel, man konnte Probefahrten ordern, und die so genannte Community, die Fans dieses Autos, hat hier begeistert mitgemacht.

König: Das war das eine Beispiel, und schnell das andere.

Schulz: Wir hatten in Deutschland für den Kunden McDonalds bei ProSieben die Chartshow belegt, die McChartshow belegt, auch ein Beispiel, wie man an ein aktuelles Umfeld sehr schnell rankommen kann, und indem man dort einen Zusammenhang mit einer aktuellen oder zeitgemäßen Musik finden kann, die natürlich auf Breitenwirkung angelegt ist und wie man die Marke dort mit verheiraten kann.

König: Vielen Dank für das Gespräch.