Werbung für einen ungeliebten Fischfresser

Markus Nipkow im Gespräch mit Dieter Kassel · 04.05.2010
Er ist der Feind Nr. 1 der deutschen Fischer und Angler: der Kormoran. Um dem vor 30 Jahren beinahe ausgerotteten Tier mehr Sympathien zu verschaffen, hat der NABU ihn zum Vogel des Jahres 2010 erklärt. Es gebe auch für die Fischer Alternativen zum Abschießen der Kormorane, erklärt Vogelschutzexperte Markus Nipkow.
Dieter Kassel: Der Landesbund für Vogelschutz Bayern hat zusammen mit dem NABU entschieden, dass der Kormoran der Vogel des Jahres 2010 ist, also haben wir sozusagen den einen Schuldigen gerade im Beitrag gehört, und der Vertreter der anderen schuldigen Gruppe ist jetzt bei mir im Studio, er war übrigens auch in Ulm bei dieser Veranstaltung, die wir gerade miterleben durften, Markus Nipkow nämlich, Vogelschutzreferent beim NABU. Schönen guten Tag, Herr Nipkow!

Markus Nipkow: Ja, ich grüße Sie!

Kassel: Den Vogel des Jahres, auch den Kormoran zum Vogel des Jahres 2010 zu wählen, haben Sie das gemacht, um die Angler und Fischer zu provozieren?

Nipkow: Nein, also das war auf der anderen Seite zwar klar, dass das als Provokation aufgefasst werden könnte, aber es gab viele gute Gründe, den Kormoran als Vogel des Jahres, zum Vogel des Jahres zu küren. Er hat ja eine bewegte Geschichte hinter sich, er war nahezu ausgerottet, in Deutschland oder auch in Nachbarländern vor etwa 100 Jahren, aber auch vor erst 30 Jahren gab es nur wenige Kormorane in Deutschland, weil sie einfach rigoros verfolgt wurden. Es wurde praktisch jede Neuansiedlung von Kolonien verhindert, und von daher kannte man eigentlich den Kormoran schon gar nicht mehr an unseren Gewässern.

Und nun hatte er in den letzten 20, 30 Jahren sehr deutlich zugenommen, weil er eben konsequent unter Schutz gestellt wurde und weil er auf diese Weise, ja, sich so entwickeln konnte, dass er hier in unserer Landschaft wieder in einer Stärke vorkommt, die eben auch die Natur zulässt.

Kassel: Welche Stärke ist denn das, kann man das beziffern?

Nipkow: Wir haben zurzeit rund 24.000 Brutpaare, dann kommen allerdings noch Gäste hinzu, im Winterhalbjahr, also Vögel aus dem Norden und aus dem Nordosten, die dann gerade bei größerer Kälte zu uns nach Deutschland kommen und hier eben auch ein paar Monate verbringen.

Kassel: Nun können Sie eins nicht leugnen, der Kormoran ist in der Tat Fischfresser, er ernährt sich von Fischen. Kann man das mal hochrechnen, ein normaler gesunder Vogel, wie viel Fische frisst denn der am Tag oder auch im Monat?

Nipkow: Also da gibt es unterschiedliche Angaben, und das hängt natürlich auch ganz von der Situation, von der Lebenssituation ab. Also die Tagesmenge schwankt so zwischen 300 und 500 Gramm.

Kassel: Könnte das Problem aber nicht sein – ich spiele jetzt mal den Teufelsadvokaten und stelle mich auf die Seite der Angler –, dass ... der Kormoran ist ja auch in kleineren Binnengewässern gerne zugange, er ist wie jedes Tier, wie jeder Mensch, er frisst da, wo es was gibt und wo er gut reinkommt. Wenn ich mir vorstelle, mehrere Kormorane in einem kleinen Binnensee, das kann aber schon mal eine Bedrohung sein für Leute, die ihn bewirtschaften wollen, den See.

Nipkow: Ja, also was Teichanlagen betrifft, also Fischzuchtbetriebe, da ist es tatsächlich so, dass wenn dann eine größere Zahl von Kormoranen einfällt oder da regelmäßig fischt, dann entsteht da auch ein Schaden, das bestreitet auch niemand.

Kassel: Wie ist nun dieser Konflikt zu lösen, denn wir haben das vorhin in dem Beitrag gehört, Sie haben es selber vor Ort ja miterlebt in Ulm, das war ja teilweise pure Aggression, und das hört man manchmal schon, wenn man mit Fischern über den Kormoran diskutiert, ist denn dieser Konflikt irgendwie zu lösen zwischen Naturschutz, in dem Fall Vogelschutz, und Fischerei?

Nipkow: Ja, es gibt Lösungen, also gerade da, wo tatsächlich die Schäden auftreten. Bleiben wir bei den Teichwirtschaften. Es gibt da zwar auch nicht die Lösung, die überall passt, aber beispielsweise kleinere Teiche, so bis etwa 1 oder 1,5 Hektar Größe, die lassen sich beispielsweise überspannen, ja, mit Drähten, die man in relativ großem Abstand von etwa zehn Metern über die Teiche spannt. Die Vögel brauchen nämlich eine Anlaufstrecke vom Wasser von etwa acht bis zehn Metern, und sie merken dann, wenn da solche Drähte gespannt sind, dass sie da auch wieder schlecht wegkommen.

Also das funktioniert ganz gut, nicht hundertprozentig, das muss man auch sagen. Also man kann dann nicht erwarten, dass dann kein einziger Kormoran mehr da einfällt, denn die Vögel sind natürlich auch schlau, die schaffen das auch schon mal von der Seite da reinzulaufen und an der Seite wieder rauszulaufen, aber es gibt eben Möglichkeiten. Also die müssen zunächst mal ausgeschöpft werden, bevor geschossen wird.

Und das ist im Übrigen auch die Rechtslage, die ganz klar vorschreibt, dass andere Lösungen zunächst mal, also Alternativen probiert werden müssen, bevor man überhaupt, ja, hier den Schutz dieses Vogels nun aushebelt und tatsächlich die Tiere tötet, denn sie sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz und nach der Europäischen Vogelschutzrichtlinie geschützt wie ein Rotkehlchen auch.

Kassel: Im Deutschlandradio Kultur reden wir gerade im Rahmen unserer Vogelwoche "Da fliegen sie wieder" mit Markus Nipkow vom NABU über den Kormoran, der einerseits der Vogel des Jahres 2010 ist, andererseits auch historisch gesehen der Erzfeind der Fischer und Angler. Ich habe mal so ein bisschen rumgegoogelt und alte Texte geguckt, da findet man Sachen, die sind 100, 200 Jahre alt und da wird der Kormoran aber auch schon als Fisch fressendes Monster, das dem Menschen alles wegnehmen will, skizziert. Woran liegt das eigentlich, denn so, wie Sie schon vorhin erklärt haben, was den realen Verbrauch eines durchschnittlichen Kormorans angeht, wir reden ja ein bisschen auch von einem Mythos.

Nipkow: Ja, und der Kormoran hat natürlich schlechte Karten, denn er ist schwarz, er ist relativ groß und er tritt nicht alleine, sondern immer gleich in größeren Schwärmen auf. Also von daher ist, ja, hat er ein ähnliches Schicksal wie ja auch Rabenvögel vielfach, die auch nicht gerade zu den beliebtesten Vögeln in Deutschland zählen. Da hat er also kein leichtes Spiel. Und wenn er dann eben sich noch spezialisiert auf Fische, dann tritt er hier in Konkurrenz, das ist zwangsläufig so, und das ist eben eine lange Geschichte.

Wir wollen dieses Jahr des Kormorans auch nutzen, um eben auch ein bisschen mehr für Sympathie zu sorgen. Also wir wollen, dass die Diskussion versachlicht wird, ein ganz wichtiger Schritt, denn da hat sich in den letzten Jahren sehr vieles hochgeschaukelt. Und ich denke, es ist eine Gelegenheit, hier miteinander zu reden, und das tun wir auch, das haben wir auch in Ulm getan. Da waren ja nicht nur NABU-Leute unter sich, sondern wir haben auch Vertreter der Fischereiseite zu uns in die Veranstaltung eingeladen. Die haben dort referiert, ja, während gleichzeitig draußen die Demonstranten waren.

Kassel: Aber jetzt haben Sie genau das gesagt, bei den Rabenvögeln wollte ich gerade sagen, da denkt man ja langsam aber auch daran, dass sie so intelligent sind und raffiniert, da gibt es auch wissenschaftliche Untersuchungen. Wie ist es mit dem Kormoran? Sie haben gerade gesagt, da gibt es auch ganz spannende, interessante Seiten. Werben Sie für das Tier!

Nipkow: Ja, der Kormoran ist schon sehr spannend, also allein schon mal seine Tauchfähigkeiten sind hochinteressant, und sein Gefieder hat ja auch eine Besonderheit. Manche werden sich wundern, warum man den Kormoran oftmals so mit ausgebreiteten Flügeln dasitzen sieht. Er trocknet dann seine Flügel. Warum? Weil sein Gefieder viel leichter durchnässt als das von anderen Vogelarten. Wenn es durchnässt, kann er aber wiederum besser tauchen und hat also dann einen geringeren Tauchwiderstand. Also das sind so Details, die wissen die meisten Menschen gar nicht.

Kassel: Kann es einen Kompromiss geben? Der Bericht vorhin endete ja auch mit der Frage des Abschusses, Sie haben es schon erwähnt, Naturschutz, es gibt aber immer wieder Einzelgenehmigungen. Kann es einen Kompromiss geben, dass sich Naturschützer und Angler auf eine gewisse Zahl von Kormoranen einigen, in einzelnen Gebieten, vielleicht in einem ganzen Bundesland, und wenn die erreicht ist, dann wird das Tier doch zum Abschuss freigegeben?

Nipkow: Das wird schwierig. Also wir sind auch der Meinung, dass da eine grundlegend falsche Sichtweise doch vorliegt. Wenn wir so das Ziel verfolgen, eine Tierart – und das ist ja eine wild lebende Tierart – auf ein bestimmtes Niveau permanent einregulieren zu wollen, das funktioniert auch gar nicht. Deswegen die Forderung auch nach einem europaweiten Kormoran-Managementplan, der hier die Bestände auf die Hälfte oder ein Drittel oder was reduzieren soll, die sind im Grunde gar nicht realisierbar, es sei denn, man wollte wieder so rangehen wie vor 100 Jahren. Das kann aber nicht Ziel sein, das will im Grunde auch niemand, und das könnte man auch ethisch vertreten, also die Vögel dermaßen zu verfolgen.

Wir sehen ja jetzt schon, bei den rund 15.000 Kormoranen, die jedes Jahr in Deutschland allein geschossen werden, bringt das schon mal gar nichts, weil sehr viele Vögel sofort nachkommen. Diese Abschüsse, die erfolgen ja meistens im Winterhalbjahr, und der Winterbestand bleibt aber mehr oder weniger konstant. Man hat festgestellt, dass die Vögel von Norden und Osten sehr schnell nachziehen. Er ist eben ein sehr mobiler Vogel, und es ist nicht so leicht, ihn zu regulieren wie beispielsweise Schwarzwild oder Rehwild, was gerne miteinander verglichen wird.

Kassel: Der Kormoran ist der Vogel des Jahres 2010 und, ich fasse zusammen, das ist er auch zu Recht. Herr Nipkow, ich danke Ihnen, dass Sie da waren, Markus Nipkow vom NABU. Und es dauert nur gute anderthalb Stunden, dann kommt schon der nächste NABU-Vogelexperte. Marc Süßer wird dann bei uns zu Gast sein, ab ungefähr 15:45 Uhr in unserer Debatte, wo Sie dann all Ihre Fragen zum Thema Vögel gerne loswerden können. Wenn Sie wollen, können Sie jetzt auch schon eine E-Mail schicken an debatte@dradio.de.