Wer zähmt die Raubtiere?

Von Erik von Grawert-May |
Die vielzitierte Rede des Bundespräsidenten auf dem European Banking Congress war fetzig und hatte Format. Man wünschte, die ganze Serie von Ermahnungen wäre den versammelten Managern der Finanzwirtschaft so nahegegangen, dass sie nichts Eiligeres zu tun hätten als gleich zur Tat zu schreiten. Die Situation ist denkbar günstig.
Eine ganze Branche hat sich bis auf die Knochen blamiert. Auf eine solche Blamage müsste, wenn es mit rechten Dingen zuginge, die Beschämung der Blamierten folgen. Und aus der Beschämung heraus der Antrieb zur grundlegenden Erneuerung des Bankenwesens. Nichts Geringeres hatte der Präsident gefordert.

Wenn die Skepsis, ob unsere Bankleute das Ruder herumreißen können, überwiegt, dann deshalb, weil es so viele Anzeichen gibt, die das Gegenteil erwarten lassen. Eines der auffälligsten ist das äußerst spärliche Eingeständnis eigener Fehler. Da rutscht die ganze Weltwirtschaft in die größte Rezession seit Jahren, und trotzdem tröpfelt es nur mit der Selbstkritik. Man gibt schon zu, dass etwas schief gelaufen sei, aber im großen Ganzen stimme die Richtung. Ja, es gebe schon ein paar schwarze Schafe, aber von denen dürfe doch nicht auf den Zustand der ganzen Innung geschlossen werden. Dabei entdeckt man als verdutzter Zuschauer der Szene vor lauter schwarzen Schafen keine weißen mehr!

Horst Köhler hat von der Blindheit der Banker gesprochen. Auch von Ihrer Berauschtheit. Das eine dürfte mit dem anderen zusammenhängen. Der Rausch angesichts hoher Renditen ist zu verführerisch, als dass man sich in die ernüchternden Niederungen eines vertretbaren Risikomanagements begeben wollte, welches die Höhe der Eigenkapitalquote im Auge behält. Gab es überhaupt einmal den soliden Bankier, den der Präsident beschwor, oder ist es eine Beschönigung vergangener Zeiten? Es gab ihn wohl vor 1914 und dann, mit dem Bretton-Woods-System fixierter Wechselkurse im Rücken, nach 1945. Für eine Erneuerung dieses Systems tritt der erste Mann des Staates ein. Und für die Rückbesinnung der Bankleute auf die Tugend des Anstands. Doch es beschleicht einen das dunkle Gefühl, als stehe es um diese Tugend allgemein nicht gut. Haben die Banker von heute wirklich das Zeug dazu, sich in einen soliden Bankier zurückzuentwickeln? Können die gierigen Raubtiere, wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt sie nennt, das Rauben lassen?

Nur dort, wo staatliche Instanzen in die Banken eingreifen und nur, solange sie es tun, wird das jeweilige Management sich beugen. Zwangsweise. Bei günstigerer Konjunktur und einer Lockerung des staatlichen Zugriffs könnte erneut der Rausch sein Recht einfordern, es sei denn, die Regulierungen blieben in Kraft oder wären so umfassend, dass wiederum die Gefahr einer Überregulierung drohte. Es scheint, dass der Typ des Bankers sich nicht so schnell in eine Art ehrbaren Kaufmann, der sich am Wohl des Kunden orientiert und sein Geld treuhänderisch verwahrt, verwandeln kann. Dafür lacht der neue Typus mir zu sehr an falschen Stellen - ein bedrückendes Symptom seiner mangelnden Sensibilität gegenüber den Problemen der Allgemeinheit. Dafür bewegt er sich zu sehr in den Bahnen eines Kastenwesens. Und denkt noch an Bonuszahlungen, wo alle außer ihm in den verschiedensten Facetten unterm Malus leiden.

Der Präsident forderte auf dem Kongress auch Demut von den Bankern ein. Eine alte, christliche Tugend. Nichts schöner als sich auszudenken, sie würde in den Banken wieder heimisch werden. Der verunsicherte Durchschnittskunde wäre dann bestimmt gewillt, sein Geld wieder längerfristig anzulegen. In den meisten Banken herrscht jedoch eine Erfolgsethik vor, die wenig an den anderen, den Kunden, denken lässt. Es sei denn, dieser ließe sich von den leichthin versprochenen Renditen ebenfalls berauschen. Dann könnten sich die Banker sogar auf eine Erfolgsethik der Gegenseitigkeit berufen. Das Malheur ist freilich umso größer, wenn beide wieder nüchtern werden und der Realität ins Auge sehen müssen.

Vielleicht gelingt es unserem Staatsoberhaupt ja doch, dass sein Appell nicht bloß auf taube Ohren stößt. Schließlich ist er vom Fach. Vielleicht läuft er, wenn er die zweite Amtszeit erreicht hat, weiter zur großen Form auf und macht die Raubtiere handzahm. Zu wünschen wäre es ihm und uns.

Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".