Wer übernimmt noch einen Spitzenposten?
In unserer Mediengesellschaft ist die Schlagzeile, der Skandal ausgebreitet, bevor es Tatsachen gibt. Die Empörung verdeckt die aufklärerische Arbeit und macht das eigentlich Skandalöse, das Fehlverhalten, schnell vergessen. Gleichwohl ist manchmal nicht klar, ob der Gestürzte gehen musste, weil er gefehlt hat, oder weil er als Sündenbock für das Versagen von vielen steht.
"Heute noch auf hohen Rossen
morgen durch die Brust geschossen!"
Die alte Liedzeile galt in der fatalen, falschen Militärromantik von ehedem dem wechselvollen Soldatenschicksal. Heute lässt der Vers an anderes denken. Zum Beispiel an Peter Hartz, der einmal der große Kanzlerberater war, von seiner Rolle bei VW ganz zu schweigen, dessen Name zum Markenartikel wurde und monatelang in aller Munde war.
Nun: Sturz in die öffentliche Nichtexistenz, Amtsaufgabe, keine Abfindung, wie ausdrücklich, mit unverhohlener Genugtuung, angemerkt wird. Und sofern Peter Hartz in der Öffentlichkeit weiter existiert, dann als Exempel für sumpfartige Zustände in den oberen, nein, obersten Etagen der Wirtschaft, der Medien, der Politik.
Die Reihe der Namen, die solche Skandale illustrieren, lässt sich ja leicht fortsetzen: der Sportgewaltige beim Fernsehen, der nun in Untersuchungshaft sitzt, die diversen Bauskandale, nicht zu vergessen jener unglaubliche Fall eines Staatssekretärs, betraut mit höchsten staatlichen Aufgaben, der sich bestechen ließ und wie ein Schwerverbrecher untertauchte, bis ihn die internationale Fahndung stellte.
Das Thema hat auch längst die öffentliche Debatte erreicht. Mit vernichtenden Urteilen über den Zustand der gesellschaftlichen Eliten und der Begleiterscheinung einer flächendeckenden Empörung. An deren Berechtigung ja nicht zu rütteln ist. Nur dass sie einhergeht mit der Neigung, alles über den gleichen Kamm des Skandals zu scheren. Dabei ist schon ein Unterschied zwischen der aus dem Ruder gelaufenen Praxis des Einer-wäscht-des-anderen-Hand, wie sie offenbar bei VW stattfand, und dem Nadel-Streifen-Ganoventum des Herrn Pfahls.
Aber nicht nur die Betriebsräte auf Luxus-Reise – von ihrer Berührung mit der Bordell-Sphäre ganz zu schweigen – belasten das öffentliche Bewusstsein, strapazieren unser Bild von dem, was die "Großen", die Maßstabsetzer und Erfolgsmenschen tun, sondern auch das Unvermögen und der Unwille, zu unterscheiden.
Wie es auch eben diesem öffentlichen Bewusstsein schadet, dass fast immer die Schlagzeilen zuerst da sind, dann erst – wenn überhaupt – die Tatsachen. Und dass man bei den Abstürzen, die folgen, nicht immer sicher sein kann, ob der Manager oder Abteilungsleiter oder Minister nun gehen muss, weil er gefehlt hat, oder weil er als Sündenbock für das Versagen von vielen steht.
Natürlich ist es gut, dass aufgedeckt wird und auch, dass Konsequenzen gezogen werden. Aber es gehört zu den ärgerlichen Zutaten dabei, dass die Enthüllungen in einer Erregungswolke daherkommen, die verunklärt, was da eigentlich geschehen ist. Zu oft zielen sie auf unser Voyeur-Bedürfnis statt auf Aufklärung, die sie doch betreiben sollen. Siehe Hartz: Viel Stoff für das Interesse am Menschlich-Allzumenschlichen, wenig Information über Vorgänge und Strukturen.
Gelegentlich hat man den Verdacht, der Skandal sei vor allem das Alibi für die eigentlichen Probleme, für Misswirtschaft, Verknöcherung, Mangel an unternehmerischen Elan. Merkwürdigerweise erledigt der Sturz auch zumeist das Thema – bevor es eigentlich in seinen Einzelheiten deutlich geworden ist oder etwa die Gerichte oder wenigstens Aufsichtsrat oder Gesellschaftsversammlung erreicht hat.
Unsere Skandale enthalten nicht nur ein Urteil über Große und Mächtige, sondern auch über den Zustand der Öffentlichkeit in unserer Mediengesellschaft. "Es rast der See und will sein Opfer haben", heißt es bei Schiller. Er ahnte nicht, dass er mit dieser Sentenz einen der Grundzüge unserer Öffentlichkeit vorausgeahnt hat: das wie ein Unwetter hereinbrechende Bedürfnis nach der Enthüllung, der Geschichte, dem Übeltäter – die dann, wenn die Schlagzeilen gedruckt und die Köpfe gefallen sind, in sich zusammenfällt.
Schweigen wir davon, wie sehr unser eigenes Interesse an Fehltritten, Enthüllungen und pikanten Geschichten an dieser Szenerie unseres Skandals mitarbeitet. Vielleicht geht es ja auch nicht anders. Vielleicht braucht es die öffentliche Erregung, um die Mauer von Selbstverständlichkeit und Selbstgerechtigkeit zu erschüttern, hinter der sich Prominente und Erfolgreiche eingerichtet haben.
Nur: wo bleibt die eigentliche Funktion des Skandals, die reinigende Wirkung? Sie bleibt, so ist zu fürchten, auf der Strecke. Das ist der Preis dafür, wie die Mediengesellschaft mit ihren Skandalen umgeht. Es ist ein hoher Preis.
Hermann Rudolph, ist Herausgeber der in Berlin erscheinenden Zeitung "Der Tagesspiegel". Er war zuvor Chefredakteur des Blattes. Vor seiner Aufgabe beim "Tagesspiegel" war Hermann Rudolph unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung" tätig. Er ist mehrfach ausgezeichnet worden, darunter mit dem Karl-Hermann-Flach-Preis.
morgen durch die Brust geschossen!"
Die alte Liedzeile galt in der fatalen, falschen Militärromantik von ehedem dem wechselvollen Soldatenschicksal. Heute lässt der Vers an anderes denken. Zum Beispiel an Peter Hartz, der einmal der große Kanzlerberater war, von seiner Rolle bei VW ganz zu schweigen, dessen Name zum Markenartikel wurde und monatelang in aller Munde war.
Nun: Sturz in die öffentliche Nichtexistenz, Amtsaufgabe, keine Abfindung, wie ausdrücklich, mit unverhohlener Genugtuung, angemerkt wird. Und sofern Peter Hartz in der Öffentlichkeit weiter existiert, dann als Exempel für sumpfartige Zustände in den oberen, nein, obersten Etagen der Wirtschaft, der Medien, der Politik.
Die Reihe der Namen, die solche Skandale illustrieren, lässt sich ja leicht fortsetzen: der Sportgewaltige beim Fernsehen, der nun in Untersuchungshaft sitzt, die diversen Bauskandale, nicht zu vergessen jener unglaubliche Fall eines Staatssekretärs, betraut mit höchsten staatlichen Aufgaben, der sich bestechen ließ und wie ein Schwerverbrecher untertauchte, bis ihn die internationale Fahndung stellte.
Das Thema hat auch längst die öffentliche Debatte erreicht. Mit vernichtenden Urteilen über den Zustand der gesellschaftlichen Eliten und der Begleiterscheinung einer flächendeckenden Empörung. An deren Berechtigung ja nicht zu rütteln ist. Nur dass sie einhergeht mit der Neigung, alles über den gleichen Kamm des Skandals zu scheren. Dabei ist schon ein Unterschied zwischen der aus dem Ruder gelaufenen Praxis des Einer-wäscht-des-anderen-Hand, wie sie offenbar bei VW stattfand, und dem Nadel-Streifen-Ganoventum des Herrn Pfahls.
Aber nicht nur die Betriebsräte auf Luxus-Reise – von ihrer Berührung mit der Bordell-Sphäre ganz zu schweigen – belasten das öffentliche Bewusstsein, strapazieren unser Bild von dem, was die "Großen", die Maßstabsetzer und Erfolgsmenschen tun, sondern auch das Unvermögen und der Unwille, zu unterscheiden.
Wie es auch eben diesem öffentlichen Bewusstsein schadet, dass fast immer die Schlagzeilen zuerst da sind, dann erst – wenn überhaupt – die Tatsachen. Und dass man bei den Abstürzen, die folgen, nicht immer sicher sein kann, ob der Manager oder Abteilungsleiter oder Minister nun gehen muss, weil er gefehlt hat, oder weil er als Sündenbock für das Versagen von vielen steht.
Natürlich ist es gut, dass aufgedeckt wird und auch, dass Konsequenzen gezogen werden. Aber es gehört zu den ärgerlichen Zutaten dabei, dass die Enthüllungen in einer Erregungswolke daherkommen, die verunklärt, was da eigentlich geschehen ist. Zu oft zielen sie auf unser Voyeur-Bedürfnis statt auf Aufklärung, die sie doch betreiben sollen. Siehe Hartz: Viel Stoff für das Interesse am Menschlich-Allzumenschlichen, wenig Information über Vorgänge und Strukturen.
Gelegentlich hat man den Verdacht, der Skandal sei vor allem das Alibi für die eigentlichen Probleme, für Misswirtschaft, Verknöcherung, Mangel an unternehmerischen Elan. Merkwürdigerweise erledigt der Sturz auch zumeist das Thema – bevor es eigentlich in seinen Einzelheiten deutlich geworden ist oder etwa die Gerichte oder wenigstens Aufsichtsrat oder Gesellschaftsversammlung erreicht hat.
Unsere Skandale enthalten nicht nur ein Urteil über Große und Mächtige, sondern auch über den Zustand der Öffentlichkeit in unserer Mediengesellschaft. "Es rast der See und will sein Opfer haben", heißt es bei Schiller. Er ahnte nicht, dass er mit dieser Sentenz einen der Grundzüge unserer Öffentlichkeit vorausgeahnt hat: das wie ein Unwetter hereinbrechende Bedürfnis nach der Enthüllung, der Geschichte, dem Übeltäter – die dann, wenn die Schlagzeilen gedruckt und die Köpfe gefallen sind, in sich zusammenfällt.
Schweigen wir davon, wie sehr unser eigenes Interesse an Fehltritten, Enthüllungen und pikanten Geschichten an dieser Szenerie unseres Skandals mitarbeitet. Vielleicht geht es ja auch nicht anders. Vielleicht braucht es die öffentliche Erregung, um die Mauer von Selbstverständlichkeit und Selbstgerechtigkeit zu erschüttern, hinter der sich Prominente und Erfolgreiche eingerichtet haben.
Nur: wo bleibt die eigentliche Funktion des Skandals, die reinigende Wirkung? Sie bleibt, so ist zu fürchten, auf der Strecke. Das ist der Preis dafür, wie die Mediengesellschaft mit ihren Skandalen umgeht. Es ist ein hoher Preis.
Hermann Rudolph, ist Herausgeber der in Berlin erscheinenden Zeitung "Der Tagesspiegel". Er war zuvor Chefredakteur des Blattes. Vor seiner Aufgabe beim "Tagesspiegel" war Hermann Rudolph unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung" tätig. Er ist mehrfach ausgezeichnet worden, darunter mit dem Karl-Hermann-Flach-Preis.