Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!

Von Ulrich Fischer |
"Mobbing" nach dem gleichnamigen Roman von Annette Pehnt bringt ein Problem auf die Bühne, das viele betrifft. Protagonist Jo wird Opfer einer Denunziation und von seiner neuen Chefin gefeuert. Er erkennt nicht die Hintergründe, die neoliberale Ideologie vom Rationalisieren. Er sieht auch nicht die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren oder mit anderen zu solidarisieren.
"Mobbing" steht im Brockhaus: "[zu engl. 'to mob' über jemanden herfallen'], aus dem englischen Sprachraum stammender, rechtlich bislang nicht klar umrissener Begriff für eine Vielzahl von gezielt gegen eine Person gerichteten andauernden und wiederholt erfolgenden böswilligen Handlungen durch eine oder mehrere Personen am Arbeitsplatz."

"Mobbing" ist auch der Titel eines Romans. Annette Pehnt hatte mit ihm einen buchenswerten Erfolg. Sie erzählt die Geschichte einer fristlosen Kündigung. Jo arbeitet in einer Stadtverwaltung im Referat für Werbung und Städtepartnerschaft. Nachdem eine neue Chefin gekommen ist, wird er immer mehr an die Wand gedrängt, schließlich fristlos entlassen. Das Besondere am Roman: die Geschichte wird aus der Perspektive von Jos Frau erzählt.

In der Bühnenfassung, die Michael Heicks (Regie) und Gilla Cremer (sie spielt Jos Frau) erstellt haben, spielt Gilla Cremer eine Dame in ihren besten Jahren. Sie ist intelligent; bevor sie sich auf die Familie und ihre beiden Kinder konzentrierte, arbeitete sie als Übersetzerin. Jetzt fällt sie zurück in alte weibliche Rollenmuster: Sie erwartet von Jo, dass er seine Familie ernährt und beschützt.

Bei dem schweren Konflikt mit der Chefin und den Kollegen unterstützt sie ihn nicht - sie will, dass er sich anpasst. Er muss Geld verdienen! Jo wehrt sich, er will kein Duckmäuser werden. Gilla Cremer spielt Jos Frau zu lebhaft, sie vernachlässigt den großen Bogen, der zu ihrer Resignation führt. Aber sie zeigt genau den blinden Fleck der in Gefahr geratenen Familie. Sie sind völlig unpolitisch. Trotz der Intelligenz der beiden können sie sich offenbar nicht vorstellen, was die Chefin plant.

Annette Pehnt ist klüger als ihre Protagonisten: Unter der Oberfläche macht die Autorin klar, dass die Chefin die Aufgabe hat, der so viele Chefs, große wie kleine, zur Zeit nachkommen: Sie soll sparen, mit weniger Leuten mehr leisten. Da muss erst ein Kollege Jos zur Kündigung gedrängt werden - und dann steht Jo auf der Liste. Mobbing, das ist ganz klar, ist ein Ergebnis des Neoliberalismus, der Personalstellen streicht, wo er kann. Die Kollegen Jos müssen ihn denunzieren, der Preis dafür, dass sie bleiben dürfen.

Jo und seine Frau durchschauen das nicht, sie versäumen, sich rechtzeitig eine Rechtsschutzversicherung zu besorgen - so kommen sie in Geldnöte; der Rechtsanwalt ist teuer. Weder Jo noch seine Frau denken daran, in die Gewerkschaft zu gehen - dort genösse Jo Rechtsschutz und würde sicher erfahren, dass er viele Leidensgenossen hat. Mit denen könnte er sich austauschen. So isoliert Jo sich immer mehr und versinkt in Depressionen.

Der Konflikt zerstört auch die Verbindung zu seiner Frau, die sich auf die Seite der ruchlosen Gewinner schlägt. Ihr fehlt Verständnis für Widerstand gegen eine Ordnung, die Leute als Kostenstellen betrachtet und ohne Schuld ins Abseits drückt. Sie verkörpert das, was Kathrin Röggla mal unübertroffen "hysterische Affirmation" genannt hat.

Michael Heicks hat nicht nur Regie geführt, er hat auch das Bühnenbild entworfen. Eine mannsgroße gläserne Vitrine dominiert die Szene, darin sitzt Patrick Cybinsky, spielt Cello und gibt so den Gefühlen Jos Ausdruck. Im Vordergrund ein Rehkitz, Bambi aus Gips! Im Grunde ist "Mobbing" ein Monodram.

Die Bühnenbearbeitung ist ganz gut gelungen, hat aber eine Schwäche. Annette Pehnt beschreibt im Roman ausführlich, wie ihre Heldin ein Baby während des Konflikts bekommt. Mutter und Kind sind zärtlich miteinander, das Baby verlangt Aufmerksamkeit und Liebe. Diese kreatürliche Haltung ist Menschennatur. Wir haben uns zum Gegner dieser humanen Natur entwickelt, wenn wir mobben.

Die Gewerkschaften sollten, wenn sie einen Preis verleihen, ihn "Mobbing" zusprechen. So deutlich wie hier ist durch die Abwesenheit von Solidarität in der Arbeitswelt und Unterstützung in schweren Konflikten mit einem unredlichen Arbeitgeber in kaum einem Stück dafür geradezu agitiert worden: Tretet ein! Die Quintessenz des Stücks wie des Romans lassen sich in einem schönen Reim der 68er zusammenfassen: "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!"

Hamburger Kammerspiele: Mobbing
Uraufführung nach dem Roman von Annette Pehnt
Regie und Bühne: Michael Heicks
Darsteller: Gilla Cremer und Patrick Cybinski
Eine Koproduktion der Hamburger Kammerspiele, Theater Unikate und dem Theater Bielefeld.

Weitere Aufführungen am 28. Sept.; 3., 12. - 14. und 21. Okt.