Wer nichts hat, kann nichts teilen
Die Laster und Tugenden eines jeden entspreche nicht der Höhe des Bankkontos, meint Wolfgang Sofsky. Menschen, die wenig besäßen, hätten nicht automatisch einen besseren Charakter. Ohne Besitz gebe es auch keine Freigiebigkeit und Solidarität, denn: "Wer nichts hat, kann nichts teilen."
Das private Eigentum genießt keinen guten Ruf. Geld verderbe den Charakter, sagt der Volksmund, und viel Geld ruiniere ihn vollends. Eigentum fördere die niederen Instinkte: Neid und Geiz, Habgier und Prunksucht. Niemand könne reich und zugleich gut und tugendhaft sein. Zins, Gewinn, Kapital, Spekulation gar, diese elementaren wirtschaftlichen Tatsachen sind vielen Zeitgenossen höchst suspekt. Kampagnen gegen hoch dotierte Manager oder ausländische Investoren finden in der Bevölkerung weithin Beifall. Sie spekulieren auf die moralische Ökonomie einer Gesellschaft, deren Maßstäbe noch aus einer Zeit vor dem modernen Kapitalismus stammen. Was die Wirtschaft anlangt, war die Moral selten auf der Höhe der Zeit.
Attacken gegen das Eigentum waren schon immer eine Vorliebe von Priestern, Intellektuellen und Ideologen. Wer nichts hat als seinen Glauben, eine Mission oder ein wenig Kultur, muss im Kampf um die Macht das Guthaben der Gegenseite diskreditieren. Die Bürger verunglimpften einst Muße, Ehre und Grundbesitz des Adels im Namen von Leistung und beruflichem Verdienst. Die Vordenker der Unterklassen denunzierten Reichtum und Kapital und beriefen sich auf Arbeit und Bildung. Obwohl mittlerweile alle die Annehmlichkeiten des Massenkonsums zu schätzen wissen, wirkt das alte Ressentiment bis heute nach.
Für zahllose Übel dieser Welt wird das Privateigentum verantwortlich gemacht: für Krieg und Konkurrenz, für Armut, Hunger und Ausbeutung. Das Streben nach Gewinn sei unwürdig und schädige den Geist des Gemeinwesens. Der Rechtschaffenheit, der einzigen Tugend, zu welcher der eigennützige Kaufmann überhaupt imstande sei, bliebe die Herzensliebe der Solidarität fremd. Zins ist Wucher, Eigentum ist Diebstahl, Kapital ist Raub, Spekulation ist Betrug - nur auf krummen Wegen vermag jemand zu Vermögen zu kommen. Die ursprüngliche Okkupation des Landes, die Enteignung der Bauern, die Ausbeutung der Lohnsklaven, die unverdiente Erbschaft – immer schon galt der Erwerb von Eigentum als dubios und ungerecht. Privatbesitz ruiniere die gesellschaftliche Moral. Eigentum nähre die Eigensucht. Unverantwortlich sei das private Kapital. Denn der Eigner kann mit seinem Besitz machen, was er will. In der Tat: Eigentum verpflichtet – zu nichts. Man kann es vermehren oder verprassen, verschenken oder verstecken. Niemand kann einem vorschreiben, was man mit seinem Geld macht. Eben deshalb, so heißt es, soll der Staat Erbschaften, Vermögen und so genannte Extraprofite großzügig mittels Steuern enteignen, die Devisen bewirtschaften und die Spekulanten endlich außer Landes jagen.
Zudem trenne das Eigentum die Menschen voneinander. Das exklusive Verfügungsrecht schließe den anderen aus. Die Grenze zwischen Mein und Dein zerspalte die Gemeinschaft, ruiniere die Gleichheit und verstoße den einzelnen in die Eiseskälte der bösen Tauschgesellschaft, in der zwar viele Kredit, aber kein Vertrauen genießen, weil jeder nur ein Mittel zum Zweck eines anderen sei.
Von alledem ist wenig wahr. Kein Mensch ist, was er hat. Die Laster und Tugenden entsprechen nicht der Höhe des Bankkontos. Habenichtse sind nicht automatisch bessere Menschen, nur weil sie weniger haben, als sie brauchen. Ohne Besitz gibt es keine Freigiebigkeit und keine Solidarität. Wer nichts hat, kann auch nichts teilen. Ohnehin wäre eine Gesellschaft rasch am Ende, hinge ihr Bestand von der Tugend seiner Bürger ab. Eine Gesellschaft, die vornehmlich auf das Eigeninteresse setzt, erspart sich hohe Moralansprüche. Sie funktioniert auch, wenn es mit der Tugend schlecht bestellt ist. Der Markt der Privateigentümer benötigt keine höheren Werte. Tauschwerte genügen ihm vollauf. Auch wenn der einzelne blindlings von Habgier getrieben wäre, so förderte er das Wohl des Gemeinwesens auf wirksamere Weise, als wenn er den allgemeinen Nutzen zur Maxime seines Handelns erklärt hätte. Egoismus ist dem Wohlstand der Nation zuträglicher als verstaatlichte Brüderlichkeit. Bei der Verteilung von Knappheit, und nur darum ist eine Ökonomie überhaupt nötig, ist der Markt jeder Staatsverwaltung überlegen.
Nicht das Privateigentum erzeugt soziale Ungleichheit, sondern die ungleiche Verteilung der Macht. Auch mit garantierter Gütergleichheit wären keinesfalls die Ursachen menschlicher Händel beseitigt. Nirgends herrscht so viel Streit wie unter Brüdern. Wer nur hat, was jeder hat, hat von vielem zu wenig. Und er hat zu viel von dem, was er weder will noch braucht. Gleichheit und Gemeineigentum sichern nie und nimmer eine friedliche Grundversorgung.
Überdies degradierte die Aufhebung des Eigentums das Individuum zur öffentlichen Figur. Erst im Eigentum gewinnt der Wille des Einzelnen gegenständliche Realität. Die Verfügungsmacht über Dinge, die nur einem selbst gehören, bezeichnet einen eigenen Platz in der Welt. Sie schafft eine Sphäre der Person, zu der niemand sonst Zutritt hat. Mit Privateigentum kann sich das Individuum die Gesellschaft ein Stück weit vom Leibe halten. Es schützt vor Zwang und legt einen Sperrriegel um die Person. Durch die gegenseitige Anerkennung des Eigentums garantieren die Bürger ihre Privatsphären. Einem Volk, das Eigentum nicht anerkennt, fehlt der Sinn für die Freiheit. Es gibt keine Freiheit ohne Garantie des Privateigentums, und es gibt keine Unabhängigkeit der Lebensformen, der Meinungen und Handlungen ohne ein Minimum an ökonomischer Selbstständigkeit.
Der Austausch der Privatleute ist die reale Basis der Gleichheit und Freiheit. Tauschpartner anerkennen einander als Gleiche. Jeder akzeptiert den anderen als Subjekt mit eigenem Willen. Der Kaufvertrag, den sie untereinander schließen, stiftet zwar keine materielle Statusgleichheit, aber immerhin ein Willensverhältnis unter Ebenbürtigen. Mehr ist in einer Gesellschaft nicht zu erwarten, die den Menschen vor den Zwängen der Gemeinschaft bewahren und sie durch Sachlichkeit und Distanz voreinander schützen soll.
Wolfgang Sofsky, Soziologe, Politologe und Autor, Jahrgang 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. 1993 wurde er mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Er publizierte u.a.: "Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager" (1993), "Figurationen sozialer Macht. Autorität - Stellvertretung - Koalition" (mit Rainer Paris, 1994) und "Traktat über die Gewalt" (1996). 2002 erschien "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg", und zuletzt der Band "Operation Freiheit. Der Krieg im Irak".
Attacken gegen das Eigentum waren schon immer eine Vorliebe von Priestern, Intellektuellen und Ideologen. Wer nichts hat als seinen Glauben, eine Mission oder ein wenig Kultur, muss im Kampf um die Macht das Guthaben der Gegenseite diskreditieren. Die Bürger verunglimpften einst Muße, Ehre und Grundbesitz des Adels im Namen von Leistung und beruflichem Verdienst. Die Vordenker der Unterklassen denunzierten Reichtum und Kapital und beriefen sich auf Arbeit und Bildung. Obwohl mittlerweile alle die Annehmlichkeiten des Massenkonsums zu schätzen wissen, wirkt das alte Ressentiment bis heute nach.
Für zahllose Übel dieser Welt wird das Privateigentum verantwortlich gemacht: für Krieg und Konkurrenz, für Armut, Hunger und Ausbeutung. Das Streben nach Gewinn sei unwürdig und schädige den Geist des Gemeinwesens. Der Rechtschaffenheit, der einzigen Tugend, zu welcher der eigennützige Kaufmann überhaupt imstande sei, bliebe die Herzensliebe der Solidarität fremd. Zins ist Wucher, Eigentum ist Diebstahl, Kapital ist Raub, Spekulation ist Betrug - nur auf krummen Wegen vermag jemand zu Vermögen zu kommen. Die ursprüngliche Okkupation des Landes, die Enteignung der Bauern, die Ausbeutung der Lohnsklaven, die unverdiente Erbschaft – immer schon galt der Erwerb von Eigentum als dubios und ungerecht. Privatbesitz ruiniere die gesellschaftliche Moral. Eigentum nähre die Eigensucht. Unverantwortlich sei das private Kapital. Denn der Eigner kann mit seinem Besitz machen, was er will. In der Tat: Eigentum verpflichtet – zu nichts. Man kann es vermehren oder verprassen, verschenken oder verstecken. Niemand kann einem vorschreiben, was man mit seinem Geld macht. Eben deshalb, so heißt es, soll der Staat Erbschaften, Vermögen und so genannte Extraprofite großzügig mittels Steuern enteignen, die Devisen bewirtschaften und die Spekulanten endlich außer Landes jagen.
Zudem trenne das Eigentum die Menschen voneinander. Das exklusive Verfügungsrecht schließe den anderen aus. Die Grenze zwischen Mein und Dein zerspalte die Gemeinschaft, ruiniere die Gleichheit und verstoße den einzelnen in die Eiseskälte der bösen Tauschgesellschaft, in der zwar viele Kredit, aber kein Vertrauen genießen, weil jeder nur ein Mittel zum Zweck eines anderen sei.
Von alledem ist wenig wahr. Kein Mensch ist, was er hat. Die Laster und Tugenden entsprechen nicht der Höhe des Bankkontos. Habenichtse sind nicht automatisch bessere Menschen, nur weil sie weniger haben, als sie brauchen. Ohne Besitz gibt es keine Freigiebigkeit und keine Solidarität. Wer nichts hat, kann auch nichts teilen. Ohnehin wäre eine Gesellschaft rasch am Ende, hinge ihr Bestand von der Tugend seiner Bürger ab. Eine Gesellschaft, die vornehmlich auf das Eigeninteresse setzt, erspart sich hohe Moralansprüche. Sie funktioniert auch, wenn es mit der Tugend schlecht bestellt ist. Der Markt der Privateigentümer benötigt keine höheren Werte. Tauschwerte genügen ihm vollauf. Auch wenn der einzelne blindlings von Habgier getrieben wäre, so förderte er das Wohl des Gemeinwesens auf wirksamere Weise, als wenn er den allgemeinen Nutzen zur Maxime seines Handelns erklärt hätte. Egoismus ist dem Wohlstand der Nation zuträglicher als verstaatlichte Brüderlichkeit. Bei der Verteilung von Knappheit, und nur darum ist eine Ökonomie überhaupt nötig, ist der Markt jeder Staatsverwaltung überlegen.
Nicht das Privateigentum erzeugt soziale Ungleichheit, sondern die ungleiche Verteilung der Macht. Auch mit garantierter Gütergleichheit wären keinesfalls die Ursachen menschlicher Händel beseitigt. Nirgends herrscht so viel Streit wie unter Brüdern. Wer nur hat, was jeder hat, hat von vielem zu wenig. Und er hat zu viel von dem, was er weder will noch braucht. Gleichheit und Gemeineigentum sichern nie und nimmer eine friedliche Grundversorgung.
Überdies degradierte die Aufhebung des Eigentums das Individuum zur öffentlichen Figur. Erst im Eigentum gewinnt der Wille des Einzelnen gegenständliche Realität. Die Verfügungsmacht über Dinge, die nur einem selbst gehören, bezeichnet einen eigenen Platz in der Welt. Sie schafft eine Sphäre der Person, zu der niemand sonst Zutritt hat. Mit Privateigentum kann sich das Individuum die Gesellschaft ein Stück weit vom Leibe halten. Es schützt vor Zwang und legt einen Sperrriegel um die Person. Durch die gegenseitige Anerkennung des Eigentums garantieren die Bürger ihre Privatsphären. Einem Volk, das Eigentum nicht anerkennt, fehlt der Sinn für die Freiheit. Es gibt keine Freiheit ohne Garantie des Privateigentums, und es gibt keine Unabhängigkeit der Lebensformen, der Meinungen und Handlungen ohne ein Minimum an ökonomischer Selbstständigkeit.
Der Austausch der Privatleute ist die reale Basis der Gleichheit und Freiheit. Tauschpartner anerkennen einander als Gleiche. Jeder akzeptiert den anderen als Subjekt mit eigenem Willen. Der Kaufvertrag, den sie untereinander schließen, stiftet zwar keine materielle Statusgleichheit, aber immerhin ein Willensverhältnis unter Ebenbürtigen. Mehr ist in einer Gesellschaft nicht zu erwarten, die den Menschen vor den Zwängen der Gemeinschaft bewahren und sie durch Sachlichkeit und Distanz voreinander schützen soll.
Wolfgang Sofsky, Soziologe, Politologe und Autor, Jahrgang 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. 1993 wurde er mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Er publizierte u.a.: "Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager" (1993), "Figurationen sozialer Macht. Autorität - Stellvertretung - Koalition" (mit Rainer Paris, 1994) und "Traktat über die Gewalt" (1996). 2002 erschien "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg", und zuletzt der Band "Operation Freiheit. Der Krieg im Irak".