„Wer nicht religiös ist, kauft auch keine Fátima-Sachen“
In Fátima sollen am 13. Mai 1917 drei Hirtenkinder mehrere Erscheinungen gesehen haben. Die ersten beiden Offenbarungen werden als Voraussagen des Zweiten Weltkriegs und des Aufstrebens des Kommunismus gedeutet. Die dritte soll das Attentat auf Johannes Paul II. vorhergesagt haben. Von der Kirchenkrise ist deshalb in Fátima nichts zu spüren.
Vor den dunklen Wolken am Horizont lässt das Licht der Nachmittagssonne die goldene Krone an der Spitze der Basilica Antiga besonders beeindruckend erstrahlen. Fast schon zierlich wirkt das Portal der Wallfahrtskirche von Fátima, denn das Hauptschiff ist recht schmal – aber vielleicht wirkt der doppelt so hoch aufragende Turm gerade deshalb umso erhabener. Auf seiner mächtigen goldenen Krone sitzt ein weithin sichtbares Kreuz: fast fünf Meter misst es.
Doch das eigentliche Herzstück des Wallfahrtsorts ist die „Erscheinungskapelle“. Leicht seitlich versetzt, steht sie in etwa hundert Meter von der Kathedrale entfernt. An diesem Ort sollen die drei Hirtenkinder, Lúcia dos Santos, Jacinta und Francisco Marto, ihre Marienerscheinungen erlebt haben. Dort, wo früher freies Feld war, erstreckt sich heute der größte Kirchenvorplatz der Welt: der Pilgerplatz von Fátima ist fast doppelt so groß wie der Petersplatz in Rom.
Vor der winzigen Kapelle steht eine Marmorsäule, die die berühmte Statue der Jungfrau von Fatima trägt. Gläubige, Heilung suchende und Touristen vermengen sich unter einer riesigen Überdachung, die heute Kapelle, einen Altar und mehrere Reihen Andachtsbänke überspannt: Ein Mann steht neben den Bänken, mit langen, zum Zopf gebundenen weißen Haaren – er trägt einen Rucksack, am Deckel befestigt baumelt eine helle Jakobsmuschel an der Rückseite. Ganz vorne sitzt eine junge Frau im Rollstuhl vor dem kleinen Altar, begleitet von ihren Eltern. Und von ganz hinten schießt eine Frau Fotos mit ihrer Digitalkamera, während ein Priester mit den Gläubigen die Andacht hält.
Viele Pilger kommen von weit her nach Fátima – so wie José Roberto. Er lebt in Brasilien:
„Fatima ist ein Synonym des Glaubens. Ich glaube, deshalb sind wir hier. Die Menschen glauben an Gott, glauben an Fatima. Es ist ein heiliger Ort, von Gott gesegnet.“
Am 13. Mai, dem Jahrestag der Erscheinungen, ist der riesige Pilgerplatz stets von Menschen gefüllt. Bis zu einer halbe Million Menschen sollen an diesem Tag nach Fátima kommen, und auch an ganz normalen Tagen sind zahllose Pilger zu sehen. Fátima ist – nicht zuletzt durch Papst Johannes Paul den II. – zu einem der bedeutendsten katholischen Wallfahrtsorte geworden. Immerhin soll eine der drei Weissagungen an die Hirtenkinder das Attentat auf den polnischen Papst voraus gesagt haben; Johannes Paul II. selbst jedenfalls war davon überzeugt, dass ihn die heilige Jungfrau Maria auf dem Petersplatz beschützt hat – eine Kugel des Attentats ist in die Krone der Marienstatue von Fátima eingearbeitet worden.
Der gut hundert Kilometer nördlich von Lissabon liegende Ort ist eine Pilgerstätte für rund fünf Millionen Gläubige pro Jahr. Sie machen sich Hoffnung, von Leiden und Krankheiten geheilt zu werden, oder – etwas profaner, wenn man das sagen kann – einfach nur darauf, dass die heilige Mutter Gottes ihre Gebete erhört. Aus England nach Fátima gepilgert ist Madonna – sie heißt wirklich so:
„Ich bin hier, weil es ein Marienort ist. Sie ist sehr mächtig. Ich war schon in Lourdes und sie hat mir sehr geholfen.“
Die dunkelhäutige Madonna kniet auf dem hellen Boden. Besser gesagt: Sie rutscht auf den Knien über den Pilgerplatz, auf einem Bußepfad aus glatt poliertem Stein, der zur Erscheinungskapelle führt. Dort angekommen, wird sie noch eine oder mehrere Runden um die Kapelle machen, bevor sie sich zum Gebet auf eine der Bänke setzt. Viele Pilger verzichten auf die angebotenen Knieschoner – dass sie sich die Knie wund scheuern, nehmen sie in Kauf. Aus welchem Grund Madonna die Marter hier in Fátima auf sich nimmt, verrät sie nicht – aber ihre Pilgerreise damals nach Lourdes habe etwas bewirkt, sagt sie:
„Ich habe dafür gebetet, einen Jungen zu bekommen – und ich habe ihn bekommen. Ja, sie ist sehr gütig.“
Sogar zwei Jungen hat Madonna, Adrian und Tristan, vier und sieben Jahre alt – sie finden die Pilgerreise zwar langweilig, gehen aber ohne zu quengeln neben ihrer Mutter her.
Eine junge Frau rutscht sogar mit ihrem Säugling in der Trage vor dem Bauch den steinernen Weg entlang – wie die meisten Pilger, will sie über ihre Beweggründe nicht sprechen. Ihr Mann folgt hinter ihr, schiebt dabei den Kinderwagen vor sich her.
Gleich neben der Erscheinungskapelle gibt es eine weitere kleine Halle – hier kann man Kerzen kaufen, um sie später der heiligen Jungfrau zu stiften. Sie liegen in stapelbaren Plastikkisten bereit, Selbstbedienung ist angesagt. Verschiedene Längen und Stärken sind im Angebot, Stückpreis 50 Cent bis ein Euro siebzig. In den Verkaufstresen sind Münzschlitze eingearbeitet, auf Schildern steht die Bitte, den korrekten Betrag für die gewählten Kerzen einzuwerfen. Alternativ zur Wachskerze kann man allerdings auch eine Künstliche Kerze mit Glühbirne entzünden, per Münzeinwurf oder neuerdings sogar per SMS.
Das Wachs der echten Kerzen hat eine sonderbare Tönung: Sie changiert zwischen dem Braun von Milchkaffee und dem von Packpapier. Warum das so ist, wird ein paar Meter weiter klar:
Starke Ventilatoren saugen die Verbrennungsgase der gestifteten Kerzen ab, die hier zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden, in einem schmiedeeisernen Gestell stehen. Integriert ist eine Auffangwanne für das Wachs, das nach unten tropft. Kleine Rinnsale geschmolzenen Wachses vereinigen sich zu wahren Strömen, die durch Öffnungen abgeleitet und der Wiederverwendung zugeführt werden. So mancher Kritiker sieht darin weniger umweltfreundliches Recycling als ein Beispiel für effektive Vermarktung des Wallfahrtsortes. Wie hoch ihre Einnahmen durch den Verkauf von Kerzen, Büchern, Tonträgern und anderen Gegenständen sind, verrät die Kirche nicht.
Geldsegen hat der heilige Ort jedenfalls der ganzen Gegend gebracht. Früher gab es nur ein kleines Dorf, in der Nähe des Erscheinungsortes. Heute hat Fátima knapp 10.000 Einwohner und ebenso viele Betten für Übernachtungsgäste. Schlafsäle und Luxushotels tragen so klangvolle Namen wie „Die drei Hirtenkinder“ „St. Josefs-Hotel“ oder „Fátima Plaza“.
„Die Stadt ist gewachsen, aber im positiven Sinn – Arbeitslosigkeit gibt es hier nicht. Es geht aufwärts, die Hauptstraße soll eine Promenade werden. Man lebt schon gut hier.“
Antonio Rubal wohnt etwa einen Kilometer entfernt vom Heiligtum. Der 50-Jährige mit dem sonnengegerbten Gesicht ist auf die Straße hinaus gegangen, um sich die Beine zu vertreten und eine Zigarette zu rauchen:
„Meine Frau stammt von hier und ich bin seit 30 Jahren hier – ich koche in einem Pilgerheim. Es stimmt nicht, dass die Pilger ausgebeutet werden – auch wenn es die Leute sagen.“
Die Preise seien moderat in Fátima, meint Antonio, und zumindest in normalen Zeiten stimmt das: Doppelzimmer für 50 bis 100 Euro pro Nacht und Person liegen durchaus im Rahmen – auch wenn man im ländlichen Portugal durchaus noch günstiger übernachten kann. Rund um den Festtag 13. Mai herum sieht die Situation allerdings etwas anders aus: Bei einer halben Million Pilger und 10.000 Betten in Fátima regeln Angebot und Nachfrage den Preis – und das in einem Umkreis von rund 25 Kilometern rund um den Wallfahrtsort.
Die stetigen Pilgerströme und die Massen zum Erscheinungstag stören Antonio nicht – schließlich sind sie das Blut in den Lebensadern des Städtchens. Man fühlt sich sicher in Fátima, sagt er, die Kriminalitätsrate ist niedrig:
„Es ist ein heiliger Ort hier, und die Lebensqualität ist gut. Im Zentrum ist die Geschäftszone, die Leute wohnen alle außerhalb, da ist es ruhig. Es lohnt sich, hier zu leben.“
Antonio muss es wissen – immerhin verdient er seit 30 Jahren seinen Lebensunterhalt damit, Pilgern Fisch und Zicklein zuzubereiten. Die eigentliche regionale Spezialität ist aber natürlich eine andere, der Marienkult.
Nur ein paar Meter außerhalb des Pilgerplatzes warten die ersten Buden mit Devotionalien auf. Streng genommen sind es nicht einfach Buden, es sind eher drei kleine Ladenzeilen mit Arkadenbögen, in Hufeisenform angeordnet, davor eine Grünfläche. Eine Händlerin beäugt das Mikrofon zunächst etwas misstrauisch:
„Nein, ich mag das nicht, nein, entschuldigen Sie …“
Dann sagt sie aber doch, was sie im Angebot hat:
„Alles religiöse Artikel, sehen Sie: Rosenkränze, Bilder, ein bisschen von allem.“
Etwa zwei bis drei Dutzend Stände bieten hier dicht an dicht alles feil, was das Pilgerherz begehrt: kleine und große Madonnen-Statuetten, Rosenkränze, Ketten, Kerzen mit den verschiedensten Fátima-Motiven darauf, und, und, und:
„Es verkauft sich von allem ein bisschen. Ein Rosenkranz oder eine andere Kleinigkeit. Noch geht das Geschäft und wir hoffen, dass es auch weiterhin geht. Jeder kauft irgendetwas, je nachdem, was er will.“
Was da so klimpert, am Stand von Manuel Peres, sind Rosenkränze; Hunderte hängen an einer Schnur, die quer über die Ladentheke gespannt ist. Einige sehen fast schon edel aus, andere ziemlich billig. Doch den Verdacht, hier werde billige Massenware aus China an die Pilger verramscht, weist Manuel weit von sich:
„Nein, nein, nein. Und die anderen sind aus Glas oder Plastik. Sehen Sie? "
Groß ist auch das Angebot an Marienstatuetten. – die Preisspanne reicht von einem Euro bis 75 Euro. Welche gehen besonders gut?
„Alle! Sehen Sie, diese zum Beispiel kostet fünf Euro und die 2,50. Die für einen Euro gehen wahrscheinlich am besten. Das ist die Krise. Da kauft man eben etwas eher Symbolisches, Billigeres.“
Etwas Symbolisches – ein wichtiges Stichwort:
„Hier hängen Wachsköpfe, Beine, Arme. Füße, Herzen, Lebern; eine Person hat irgendeine Krankheit, geht zum Arzt, lässt sich operieren – wenn die Operation gut läuft, wenn alles gut wird, spendet sie ein Wachsteil.“
Für die wächsernen Körperteile gibt es eine Extra-Nische in dem Schmiedeeisernen Kerzenständer auf dem Pilgerplatz, wo sie zusammen mit den gestifteten Kerzen der Wiederverwertung zugeführt werden. Angeblich soll es ja nicht nur Beine, Arme und Herzen aus Wachs geben, sondern auch edelste Teile …
„Ich weiß nicht, ob ... zumindest auf dem Ladentisch! Denn Religion und diese Sachen sind so eine Frage. Eine Sache, die nicht wirklich ...“
Im Zweifelsfall ist sonst bei nachlassender Manneskraft diejenige Wachsfigur zu empfehlen, die auch bei Rückenleiden das Modell der Wahl ist: ein wächserner Torso.
Madonna, die englische Pilgerin schwankt, was sie aus Fátima mitnehmen soll. Einen Nagelclipser mit der Basilika darauf? Einen Schlüsselanhänger mit Marienbild? Am Ende entscheidet sie sich anders:
„Ich habe einen schönen Rosenkranz gefunden.“
Schlüsselanhänger und Nagelclipser – ist das nicht alles etwas zu viel Kommerz? Nein, finden Carina und José Roberto aus Brasilien:
„Das gehört eben auch dazu, alles führt zum gleichen Ziel.“
„Das ist eben das materielle Gut. Aber wenn das nicht da wäre, stünden wir hier mitten im Wald.“
Stattdessen steht man noch ein paar Meter weiter in Richtung Ortskern in einer geschäftigen Fußgängerzone. Hier sind es ausgewachsene Läden, die das Geschäft mit den Pilgern suchen – im Wechselspiel mit Eisdiele und Schnellimbiss. Ana Carina Silva ist Verkäuferin in einem Andenken-Geschäft, das gut und gerne 50 Quadratmeter misst – ohne Schaufenster. Wer will, der kann bei ihr auch wirklich repräsentative Mitbringsel erwerben – zum Beispiel Marien im Erscheinungskapellen-Format oder fast schon in Lebensgröße:
„Die hier ist einen Meter groß und kostet 100 Euro. Es kommt auch auf das Material an, die zum Beispiel kostet 1000 Euro aufwärts, je nach Bemalung.“
Aufwendig von Hand aus Holz gefertigt, kunstvoll bemalt – eine Madonna für Liebhaber. Das wirkliche Geschäft machen Ana und ihre Kolleginnen aber mit anderen Waren:
„Die typischen Sachen sind ein Bild von Fátima, ein Rosenkranz. Aber auch gern ein Tuch mit dem portugiesischen Hahn drauf. Wir verkaufen Bücher, die die Geschichte von Fatima erzählen, Bücher über Portugal. Fatima-Figuren, heilige Familien, Schlüsselbunde mit Fatima. Alle Art von religiösen Artikeln.“
Was genau über die Ladentheke geht, das sei auch von der Nationalität abhängig, sagt Ana:
„Jedes Volk hat seine Eigenheiten. Die Deutschen haben es lieber nüchtern, einfacher.“
Grell-bunt geht nur beim Gartenzwerg; die Madonna hat der deutsche Pilger doch lieber in gedeckten Tönen – Mexikaner dagegen mögen´s kräftig. Und natürlich nimmt man in Fátima auch gerne das wachsende Geschäft mit den Ungläubigen mit:
„Wer nicht religiös ist, kauft auch keine Fatima-Sachen. Darum haben wir Traditionelles aus Portugal, das nichts mit Fatima zu tun hat. Wir verkaufen bestickte Tücher aus der Region. Traditionelle Sachen für die Küche, Schürzen mit unserem portugiesischen Symbol, dem Hahn.“
Und auch Fußballtrikots hängen neben den Madonnen: portugiesische und spanische Nationaltrikots, aber natürlich auch Spieltrikots mit Nummern und Namen von Cristiano Ronaldo, Leo Messi und anderen Stars:
„Vielleicht beten sie ja vor einem Spiel, bitten die Heilige Jungfrau, und vielleicht hilft die ja ein bisschen. Ich denke, sie hilft.“
Doch das eigentliche Herzstück des Wallfahrtsorts ist die „Erscheinungskapelle“. Leicht seitlich versetzt, steht sie in etwa hundert Meter von der Kathedrale entfernt. An diesem Ort sollen die drei Hirtenkinder, Lúcia dos Santos, Jacinta und Francisco Marto, ihre Marienerscheinungen erlebt haben. Dort, wo früher freies Feld war, erstreckt sich heute der größte Kirchenvorplatz der Welt: der Pilgerplatz von Fátima ist fast doppelt so groß wie der Petersplatz in Rom.
Vor der winzigen Kapelle steht eine Marmorsäule, die die berühmte Statue der Jungfrau von Fatima trägt. Gläubige, Heilung suchende und Touristen vermengen sich unter einer riesigen Überdachung, die heute Kapelle, einen Altar und mehrere Reihen Andachtsbänke überspannt: Ein Mann steht neben den Bänken, mit langen, zum Zopf gebundenen weißen Haaren – er trägt einen Rucksack, am Deckel befestigt baumelt eine helle Jakobsmuschel an der Rückseite. Ganz vorne sitzt eine junge Frau im Rollstuhl vor dem kleinen Altar, begleitet von ihren Eltern. Und von ganz hinten schießt eine Frau Fotos mit ihrer Digitalkamera, während ein Priester mit den Gläubigen die Andacht hält.
Viele Pilger kommen von weit her nach Fátima – so wie José Roberto. Er lebt in Brasilien:
„Fatima ist ein Synonym des Glaubens. Ich glaube, deshalb sind wir hier. Die Menschen glauben an Gott, glauben an Fatima. Es ist ein heiliger Ort, von Gott gesegnet.“
Am 13. Mai, dem Jahrestag der Erscheinungen, ist der riesige Pilgerplatz stets von Menschen gefüllt. Bis zu einer halbe Million Menschen sollen an diesem Tag nach Fátima kommen, und auch an ganz normalen Tagen sind zahllose Pilger zu sehen. Fátima ist – nicht zuletzt durch Papst Johannes Paul den II. – zu einem der bedeutendsten katholischen Wallfahrtsorte geworden. Immerhin soll eine der drei Weissagungen an die Hirtenkinder das Attentat auf den polnischen Papst voraus gesagt haben; Johannes Paul II. selbst jedenfalls war davon überzeugt, dass ihn die heilige Jungfrau Maria auf dem Petersplatz beschützt hat – eine Kugel des Attentats ist in die Krone der Marienstatue von Fátima eingearbeitet worden.
Der gut hundert Kilometer nördlich von Lissabon liegende Ort ist eine Pilgerstätte für rund fünf Millionen Gläubige pro Jahr. Sie machen sich Hoffnung, von Leiden und Krankheiten geheilt zu werden, oder – etwas profaner, wenn man das sagen kann – einfach nur darauf, dass die heilige Mutter Gottes ihre Gebete erhört. Aus England nach Fátima gepilgert ist Madonna – sie heißt wirklich so:
„Ich bin hier, weil es ein Marienort ist. Sie ist sehr mächtig. Ich war schon in Lourdes und sie hat mir sehr geholfen.“
Die dunkelhäutige Madonna kniet auf dem hellen Boden. Besser gesagt: Sie rutscht auf den Knien über den Pilgerplatz, auf einem Bußepfad aus glatt poliertem Stein, der zur Erscheinungskapelle führt. Dort angekommen, wird sie noch eine oder mehrere Runden um die Kapelle machen, bevor sie sich zum Gebet auf eine der Bänke setzt. Viele Pilger verzichten auf die angebotenen Knieschoner – dass sie sich die Knie wund scheuern, nehmen sie in Kauf. Aus welchem Grund Madonna die Marter hier in Fátima auf sich nimmt, verrät sie nicht – aber ihre Pilgerreise damals nach Lourdes habe etwas bewirkt, sagt sie:
„Ich habe dafür gebetet, einen Jungen zu bekommen – und ich habe ihn bekommen. Ja, sie ist sehr gütig.“
Sogar zwei Jungen hat Madonna, Adrian und Tristan, vier und sieben Jahre alt – sie finden die Pilgerreise zwar langweilig, gehen aber ohne zu quengeln neben ihrer Mutter her.
Eine junge Frau rutscht sogar mit ihrem Säugling in der Trage vor dem Bauch den steinernen Weg entlang – wie die meisten Pilger, will sie über ihre Beweggründe nicht sprechen. Ihr Mann folgt hinter ihr, schiebt dabei den Kinderwagen vor sich her.
Gleich neben der Erscheinungskapelle gibt es eine weitere kleine Halle – hier kann man Kerzen kaufen, um sie später der heiligen Jungfrau zu stiften. Sie liegen in stapelbaren Plastikkisten bereit, Selbstbedienung ist angesagt. Verschiedene Längen und Stärken sind im Angebot, Stückpreis 50 Cent bis ein Euro siebzig. In den Verkaufstresen sind Münzschlitze eingearbeitet, auf Schildern steht die Bitte, den korrekten Betrag für die gewählten Kerzen einzuwerfen. Alternativ zur Wachskerze kann man allerdings auch eine Künstliche Kerze mit Glühbirne entzünden, per Münzeinwurf oder neuerdings sogar per SMS.
Das Wachs der echten Kerzen hat eine sonderbare Tönung: Sie changiert zwischen dem Braun von Milchkaffee und dem von Packpapier. Warum das so ist, wird ein paar Meter weiter klar:
Starke Ventilatoren saugen die Verbrennungsgase der gestifteten Kerzen ab, die hier zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden, in einem schmiedeeisernen Gestell stehen. Integriert ist eine Auffangwanne für das Wachs, das nach unten tropft. Kleine Rinnsale geschmolzenen Wachses vereinigen sich zu wahren Strömen, die durch Öffnungen abgeleitet und der Wiederverwendung zugeführt werden. So mancher Kritiker sieht darin weniger umweltfreundliches Recycling als ein Beispiel für effektive Vermarktung des Wallfahrtsortes. Wie hoch ihre Einnahmen durch den Verkauf von Kerzen, Büchern, Tonträgern und anderen Gegenständen sind, verrät die Kirche nicht.
Geldsegen hat der heilige Ort jedenfalls der ganzen Gegend gebracht. Früher gab es nur ein kleines Dorf, in der Nähe des Erscheinungsortes. Heute hat Fátima knapp 10.000 Einwohner und ebenso viele Betten für Übernachtungsgäste. Schlafsäle und Luxushotels tragen so klangvolle Namen wie „Die drei Hirtenkinder“ „St. Josefs-Hotel“ oder „Fátima Plaza“.
„Die Stadt ist gewachsen, aber im positiven Sinn – Arbeitslosigkeit gibt es hier nicht. Es geht aufwärts, die Hauptstraße soll eine Promenade werden. Man lebt schon gut hier.“
Antonio Rubal wohnt etwa einen Kilometer entfernt vom Heiligtum. Der 50-Jährige mit dem sonnengegerbten Gesicht ist auf die Straße hinaus gegangen, um sich die Beine zu vertreten und eine Zigarette zu rauchen:
„Meine Frau stammt von hier und ich bin seit 30 Jahren hier – ich koche in einem Pilgerheim. Es stimmt nicht, dass die Pilger ausgebeutet werden – auch wenn es die Leute sagen.“
Die Preise seien moderat in Fátima, meint Antonio, und zumindest in normalen Zeiten stimmt das: Doppelzimmer für 50 bis 100 Euro pro Nacht und Person liegen durchaus im Rahmen – auch wenn man im ländlichen Portugal durchaus noch günstiger übernachten kann. Rund um den Festtag 13. Mai herum sieht die Situation allerdings etwas anders aus: Bei einer halben Million Pilger und 10.000 Betten in Fátima regeln Angebot und Nachfrage den Preis – und das in einem Umkreis von rund 25 Kilometern rund um den Wallfahrtsort.
Die stetigen Pilgerströme und die Massen zum Erscheinungstag stören Antonio nicht – schließlich sind sie das Blut in den Lebensadern des Städtchens. Man fühlt sich sicher in Fátima, sagt er, die Kriminalitätsrate ist niedrig:
„Es ist ein heiliger Ort hier, und die Lebensqualität ist gut. Im Zentrum ist die Geschäftszone, die Leute wohnen alle außerhalb, da ist es ruhig. Es lohnt sich, hier zu leben.“
Antonio muss es wissen – immerhin verdient er seit 30 Jahren seinen Lebensunterhalt damit, Pilgern Fisch und Zicklein zuzubereiten. Die eigentliche regionale Spezialität ist aber natürlich eine andere, der Marienkult.
Nur ein paar Meter außerhalb des Pilgerplatzes warten die ersten Buden mit Devotionalien auf. Streng genommen sind es nicht einfach Buden, es sind eher drei kleine Ladenzeilen mit Arkadenbögen, in Hufeisenform angeordnet, davor eine Grünfläche. Eine Händlerin beäugt das Mikrofon zunächst etwas misstrauisch:
„Nein, ich mag das nicht, nein, entschuldigen Sie …“
Dann sagt sie aber doch, was sie im Angebot hat:
„Alles religiöse Artikel, sehen Sie: Rosenkränze, Bilder, ein bisschen von allem.“
Etwa zwei bis drei Dutzend Stände bieten hier dicht an dicht alles feil, was das Pilgerherz begehrt: kleine und große Madonnen-Statuetten, Rosenkränze, Ketten, Kerzen mit den verschiedensten Fátima-Motiven darauf, und, und, und:
„Es verkauft sich von allem ein bisschen. Ein Rosenkranz oder eine andere Kleinigkeit. Noch geht das Geschäft und wir hoffen, dass es auch weiterhin geht. Jeder kauft irgendetwas, je nachdem, was er will.“
Was da so klimpert, am Stand von Manuel Peres, sind Rosenkränze; Hunderte hängen an einer Schnur, die quer über die Ladentheke gespannt ist. Einige sehen fast schon edel aus, andere ziemlich billig. Doch den Verdacht, hier werde billige Massenware aus China an die Pilger verramscht, weist Manuel weit von sich:
„Nein, nein, nein. Und die anderen sind aus Glas oder Plastik. Sehen Sie? "
Groß ist auch das Angebot an Marienstatuetten. – die Preisspanne reicht von einem Euro bis 75 Euro. Welche gehen besonders gut?
„Alle! Sehen Sie, diese zum Beispiel kostet fünf Euro und die 2,50. Die für einen Euro gehen wahrscheinlich am besten. Das ist die Krise. Da kauft man eben etwas eher Symbolisches, Billigeres.“
Etwas Symbolisches – ein wichtiges Stichwort:
„Hier hängen Wachsköpfe, Beine, Arme. Füße, Herzen, Lebern; eine Person hat irgendeine Krankheit, geht zum Arzt, lässt sich operieren – wenn die Operation gut läuft, wenn alles gut wird, spendet sie ein Wachsteil.“
Für die wächsernen Körperteile gibt es eine Extra-Nische in dem Schmiedeeisernen Kerzenständer auf dem Pilgerplatz, wo sie zusammen mit den gestifteten Kerzen der Wiederverwertung zugeführt werden. Angeblich soll es ja nicht nur Beine, Arme und Herzen aus Wachs geben, sondern auch edelste Teile …
„Ich weiß nicht, ob ... zumindest auf dem Ladentisch! Denn Religion und diese Sachen sind so eine Frage. Eine Sache, die nicht wirklich ...“
Im Zweifelsfall ist sonst bei nachlassender Manneskraft diejenige Wachsfigur zu empfehlen, die auch bei Rückenleiden das Modell der Wahl ist: ein wächserner Torso.
Madonna, die englische Pilgerin schwankt, was sie aus Fátima mitnehmen soll. Einen Nagelclipser mit der Basilika darauf? Einen Schlüsselanhänger mit Marienbild? Am Ende entscheidet sie sich anders:
„Ich habe einen schönen Rosenkranz gefunden.“
Schlüsselanhänger und Nagelclipser – ist das nicht alles etwas zu viel Kommerz? Nein, finden Carina und José Roberto aus Brasilien:
„Das gehört eben auch dazu, alles führt zum gleichen Ziel.“
„Das ist eben das materielle Gut. Aber wenn das nicht da wäre, stünden wir hier mitten im Wald.“
Stattdessen steht man noch ein paar Meter weiter in Richtung Ortskern in einer geschäftigen Fußgängerzone. Hier sind es ausgewachsene Läden, die das Geschäft mit den Pilgern suchen – im Wechselspiel mit Eisdiele und Schnellimbiss. Ana Carina Silva ist Verkäuferin in einem Andenken-Geschäft, das gut und gerne 50 Quadratmeter misst – ohne Schaufenster. Wer will, der kann bei ihr auch wirklich repräsentative Mitbringsel erwerben – zum Beispiel Marien im Erscheinungskapellen-Format oder fast schon in Lebensgröße:
„Die hier ist einen Meter groß und kostet 100 Euro. Es kommt auch auf das Material an, die zum Beispiel kostet 1000 Euro aufwärts, je nach Bemalung.“
Aufwendig von Hand aus Holz gefertigt, kunstvoll bemalt – eine Madonna für Liebhaber. Das wirkliche Geschäft machen Ana und ihre Kolleginnen aber mit anderen Waren:
„Die typischen Sachen sind ein Bild von Fátima, ein Rosenkranz. Aber auch gern ein Tuch mit dem portugiesischen Hahn drauf. Wir verkaufen Bücher, die die Geschichte von Fatima erzählen, Bücher über Portugal. Fatima-Figuren, heilige Familien, Schlüsselbunde mit Fatima. Alle Art von religiösen Artikeln.“
Was genau über die Ladentheke geht, das sei auch von der Nationalität abhängig, sagt Ana:
„Jedes Volk hat seine Eigenheiten. Die Deutschen haben es lieber nüchtern, einfacher.“
Grell-bunt geht nur beim Gartenzwerg; die Madonna hat der deutsche Pilger doch lieber in gedeckten Tönen – Mexikaner dagegen mögen´s kräftig. Und natürlich nimmt man in Fátima auch gerne das wachsende Geschäft mit den Ungläubigen mit:
„Wer nicht religiös ist, kauft auch keine Fatima-Sachen. Darum haben wir Traditionelles aus Portugal, das nichts mit Fatima zu tun hat. Wir verkaufen bestickte Tücher aus der Region. Traditionelle Sachen für die Küche, Schürzen mit unserem portugiesischen Symbol, dem Hahn.“
Und auch Fußballtrikots hängen neben den Madonnen: portugiesische und spanische Nationaltrikots, aber natürlich auch Spieltrikots mit Nummern und Namen von Cristiano Ronaldo, Leo Messi und anderen Stars:
„Vielleicht beten sie ja vor einem Spiel, bitten die Heilige Jungfrau, und vielleicht hilft die ja ein bisschen. Ich denke, sie hilft.“