Wer hat die Kokosnuss geklaut?
Im Zürcher Urwald gibt es Schlingpflanzen, Palmen, Kakteen und Gestrüpp. Dazwischen lockt ein trüber Tümpel, in dem es gern mal brodelt. Doch mit der forcierten Schlichtheit der Inszenierung erweist sich die verschwafelte Geschwätzigkeit von Tankred Dorsts "Merlin".
Oberammergau, so ist in jüngerer Zeit ja häufig zu hören, sei mittlerweile nicht nur in passions- und erlösungstechnischer Hinsicht eine lohnende Adresse, sondern auch theatralisch ein Ort neuerer Wege; und das sei vor allem das Werk des Regisseurs Christian Stückl, der außerdem seit Jahren auch den immergrünen Salzburger "Jedermann" allsommerlich vor dem Dom der Festspielstadt mit frischem Feuer ausgestattet hat und überdies (und vor allem) Hausherr ist im sehr solide, ja nachgerade innovatorisch beleumundeten Volkstheater in München.
Nun hat Barbara Frey, führende Frauenbeauftragte im deutschsprachigen Theaterraum und als Intendantin am Züricher Schauspielhaus gerade mit Fremdarbeit am Wiener Burgtheater befasst, den Mann aus München zu einer Gastarbeit in den "Schiffbau" des Züricher Theaters eingeladen, wie sie männlicher kaum ausfallen könnte – in "Merlin oder Das wüste Land", Tankred Dorsts Ende der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts auf der Basis der Artus-Sage verfertigtem Fantasy-Stück über die ewigen Fragen nach Glaube, Sinn und schöner Utopie, kommen Frauen zwar vor, aber durchaus nicht als denkende Wesen. Das ist aber noch das geringste Problem an einer Aufführung, die auf verschiedene Weise sprachlos macht.
Auch am Beginn der Saison wurde Dorsts "Merlin" ja zur Wiederentdeckung frei gegeben; und alle Welt raunte schon vom großen, quasi zeitlos-klassischen Dorst-Entwurf über die letzten Fragen der Menschheit, passend zu allerlei aktuellen Theologie- und Sinn-Diskursen. Der Autor selbst ehrte die Inszenierung von Antú Romero Nunes am Hamburger Thalia Theater zwar durch Anwesenheit, verkrümelte sich aber zügig in die Kantine, als das Ensemble noch auf der Bühne beklatscht wurde. Vielleicht hat er bemerkt, zu was für Missverständnissen er die zeitgenössischen Theatermacher da verleitet hat nach drei Jahrzehnten.
Beweisen konnte denn auch keiner der beiden jungen Regisseure, was an dieser, pardon, ollen Kamelle denn nun plötzlich wieder so interessant sein soll. Immerhin: Aus dem Material für reichlich zwei Abende (wie zur Uraufführung 1981) kann und muss jeder sich den eigenen "Merlin" schnitzen; Nunes bevorzugte in Hamburg reichlich Clownerie und ganz viel technische Tricks des Theaters, Stückl erzählt jetzt in Zürich ein Märchen aus uralten Zeiten – mitten im Urwald und unter Urmenschen.
Stefan Hageneiers Züricher Bühne ist dabei allemal ein Ereignis für sich. Die Schiffbau-Halle des Schauspielhauses ist rundum eingerüstet mit Vorhängen, auf denen nichts als Grün prunkt und prangt: Schlingpflanzen, Palmen, Kakteen und unendlich viel anderes Gestrüpp. In diesem Urwald sitzen wir auf zwei Tribünen an den Stirnseiten, dazwischen lockt ein trüber Tümpel, in dem es gern mal brodelt, während in und aus ihm allerlei wichtige Dinge auftauchen: der Teufels- und Menschen-Knabe Merlin, gleich darauf das magische Schwert Excalibur, später zuweilen auch liebliche Frauen. Es wird auch gekämpft und geliebt über und unter Wasser; drumherum wölbt sich eine monströse Waldkulisse aus ganz viel bemoostem Styropor – der Sponsor steht im Programmheft.
Durch dieses Unterholz stapfen Menschen (Männer!) von heute; mit der Zeit wachsen ihnen allerdings wallende Rauschebärte, wie den Volksmassen auf Christi Leidensweg nach Oberammergau. Die Frauen sind ganz aus verführerisch flimmerndem Glimmer (oder glimmerndem Flimmer) – oder eben Wassernixen. Die eine, Artus' Königsgattin Ginevra, hat's mit dem sexuell offenbar interessanteren Ritter Lancelot, die andere, Elaine, verführt eben diesen Ritter ebenfalls, in Ginevras Maske, ist aber sonst zu nichts Wesentlichem nütze. Die dritte zieht ab und an Parzival, den reinen Tor, in erotisch wärmende Fluten.
Wenn all das nicht irgendwie überaus ernst gemeint wär', wär's nur zum Lachen. Stückls Naivität, was Schauspielerführung und Bildfindung betrifft, ist schwer zu überbieten. Und jetzt, mit derart forcierter Schlichtheit, erweist sich obendrein und weitaus ärger als schon in Hamburg, die enorm verschwafelte Geschwätzigkeit des Textes selbst; die schwingt sich zuweilen auf bis zu Herbert Reineckers Fernseh-Penetranz im "Kommissar" und Erik-Ode-Mantra: "Ihr Mann ist tot!" - "Mein Mann ist tot?" - "Ja, Ihr Mann ist tot ...". Undsoweiter.
Schärfe und Fokus gewinnt der Text auch nicht, wenn er durch angestrengte Erklärungen bekenntnishaft aufgemöbelt wird – und etwa zu Beginn der Teufel (der fast den ganzen elend langen Abend über im Fokus einer mäßig einfallsreich genutzten Video-Kamera irgendwo weiter oben zwischen Palmen lümmelt) die Freiheits-Phantasmagorien von Merlin und Artus in breitestem Militär-Amerikanisch kommentiert und später die mörderische, terroristische Konsequenz erklärter Gutmenschen und Utopie-Beschwörer geißelt. Das Stück ist halt auch ein Kommentar über die Revolten der 70er-Jahre – aber wozu braucht's denn das jetzt gerade?
Aber eben nur in solchen Momenten blitzt das Ziel von Dorsts Denken auf. Das niemand teilen, aber zur Kenntnis nehmen muss: als Dokument der Regression, die meistens auf Revolten folgt. Doch wie ernst auch immer die verschiedenen Teile der Fabel genommen werden könnten, Dorst hat nichts als hohle, fahle, ungeschärfte Sprache dafür. In deren Tonfall, frei von jedem Glitzern und Funkeln, geht's zunächst um die egalitäre Utopie, deren Bild Merlin dem Artus eingibt: das Bild vom großen runden Tisch der Tafelrunde, mit jedem Ritter (jedem Bürger) gleich, das heißt: in gleichem Abstand zum gewählten König (der Regierung); dann geht es, leicht zeitversetzt, um Parzival, dem die fixe Idee vom "Gral" eingegeben wird – und damit die auch nach der Schale mit Christi Blut vom Kreuze drin. Durchzogen, unterminiert und überwölbt werden beide Sinnsuchereien vom Familienzwist auf Burg Camelot: Artus fand von jeher den schönen runden Tisch im Bild von Ginevra interessanter als die Lady selbst. Kein Wunder, dass die dann mehr von Lancelot hält.
Im Finale, wenn der ungewollte Sohn Mordred den Untergang der Dynastie herbeiführt, hat das Familien-Drama längst und endgültig alle Politik und jeden Gedanken neutralisiert. Merlin hängt sich Brüste um und ist jetzt "die Verführung", Parzival ward schon länger nicht mehr gesehen.
Krauses Zeug ist das, kein großer Wurf von letzten Dingen – und Christian Stückls Urwald-Farce lässt nur noch warten auf Mowgli, Bagheera und Balou. Eine Banane spielt schon mit. Doch die Kokosnuss hat irgendwer geklaut.
Informationen des Schauspielhauses Zürich
Nun hat Barbara Frey, führende Frauenbeauftragte im deutschsprachigen Theaterraum und als Intendantin am Züricher Schauspielhaus gerade mit Fremdarbeit am Wiener Burgtheater befasst, den Mann aus München zu einer Gastarbeit in den "Schiffbau" des Züricher Theaters eingeladen, wie sie männlicher kaum ausfallen könnte – in "Merlin oder Das wüste Land", Tankred Dorsts Ende der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts auf der Basis der Artus-Sage verfertigtem Fantasy-Stück über die ewigen Fragen nach Glaube, Sinn und schöner Utopie, kommen Frauen zwar vor, aber durchaus nicht als denkende Wesen. Das ist aber noch das geringste Problem an einer Aufführung, die auf verschiedene Weise sprachlos macht.
Auch am Beginn der Saison wurde Dorsts "Merlin" ja zur Wiederentdeckung frei gegeben; und alle Welt raunte schon vom großen, quasi zeitlos-klassischen Dorst-Entwurf über die letzten Fragen der Menschheit, passend zu allerlei aktuellen Theologie- und Sinn-Diskursen. Der Autor selbst ehrte die Inszenierung von Antú Romero Nunes am Hamburger Thalia Theater zwar durch Anwesenheit, verkrümelte sich aber zügig in die Kantine, als das Ensemble noch auf der Bühne beklatscht wurde. Vielleicht hat er bemerkt, zu was für Missverständnissen er die zeitgenössischen Theatermacher da verleitet hat nach drei Jahrzehnten.
Beweisen konnte denn auch keiner der beiden jungen Regisseure, was an dieser, pardon, ollen Kamelle denn nun plötzlich wieder so interessant sein soll. Immerhin: Aus dem Material für reichlich zwei Abende (wie zur Uraufführung 1981) kann und muss jeder sich den eigenen "Merlin" schnitzen; Nunes bevorzugte in Hamburg reichlich Clownerie und ganz viel technische Tricks des Theaters, Stückl erzählt jetzt in Zürich ein Märchen aus uralten Zeiten – mitten im Urwald und unter Urmenschen.
Stefan Hageneiers Züricher Bühne ist dabei allemal ein Ereignis für sich. Die Schiffbau-Halle des Schauspielhauses ist rundum eingerüstet mit Vorhängen, auf denen nichts als Grün prunkt und prangt: Schlingpflanzen, Palmen, Kakteen und unendlich viel anderes Gestrüpp. In diesem Urwald sitzen wir auf zwei Tribünen an den Stirnseiten, dazwischen lockt ein trüber Tümpel, in dem es gern mal brodelt, während in und aus ihm allerlei wichtige Dinge auftauchen: der Teufels- und Menschen-Knabe Merlin, gleich darauf das magische Schwert Excalibur, später zuweilen auch liebliche Frauen. Es wird auch gekämpft und geliebt über und unter Wasser; drumherum wölbt sich eine monströse Waldkulisse aus ganz viel bemoostem Styropor – der Sponsor steht im Programmheft.
Durch dieses Unterholz stapfen Menschen (Männer!) von heute; mit der Zeit wachsen ihnen allerdings wallende Rauschebärte, wie den Volksmassen auf Christi Leidensweg nach Oberammergau. Die Frauen sind ganz aus verführerisch flimmerndem Glimmer (oder glimmerndem Flimmer) – oder eben Wassernixen. Die eine, Artus' Königsgattin Ginevra, hat's mit dem sexuell offenbar interessanteren Ritter Lancelot, die andere, Elaine, verführt eben diesen Ritter ebenfalls, in Ginevras Maske, ist aber sonst zu nichts Wesentlichem nütze. Die dritte zieht ab und an Parzival, den reinen Tor, in erotisch wärmende Fluten.
Wenn all das nicht irgendwie überaus ernst gemeint wär', wär's nur zum Lachen. Stückls Naivität, was Schauspielerführung und Bildfindung betrifft, ist schwer zu überbieten. Und jetzt, mit derart forcierter Schlichtheit, erweist sich obendrein und weitaus ärger als schon in Hamburg, die enorm verschwafelte Geschwätzigkeit des Textes selbst; die schwingt sich zuweilen auf bis zu Herbert Reineckers Fernseh-Penetranz im "Kommissar" und Erik-Ode-Mantra: "Ihr Mann ist tot!" - "Mein Mann ist tot?" - "Ja, Ihr Mann ist tot ...". Undsoweiter.
Schärfe und Fokus gewinnt der Text auch nicht, wenn er durch angestrengte Erklärungen bekenntnishaft aufgemöbelt wird – und etwa zu Beginn der Teufel (der fast den ganzen elend langen Abend über im Fokus einer mäßig einfallsreich genutzten Video-Kamera irgendwo weiter oben zwischen Palmen lümmelt) die Freiheits-Phantasmagorien von Merlin und Artus in breitestem Militär-Amerikanisch kommentiert und später die mörderische, terroristische Konsequenz erklärter Gutmenschen und Utopie-Beschwörer geißelt. Das Stück ist halt auch ein Kommentar über die Revolten der 70er-Jahre – aber wozu braucht's denn das jetzt gerade?
Aber eben nur in solchen Momenten blitzt das Ziel von Dorsts Denken auf. Das niemand teilen, aber zur Kenntnis nehmen muss: als Dokument der Regression, die meistens auf Revolten folgt. Doch wie ernst auch immer die verschiedenen Teile der Fabel genommen werden könnten, Dorst hat nichts als hohle, fahle, ungeschärfte Sprache dafür. In deren Tonfall, frei von jedem Glitzern und Funkeln, geht's zunächst um die egalitäre Utopie, deren Bild Merlin dem Artus eingibt: das Bild vom großen runden Tisch der Tafelrunde, mit jedem Ritter (jedem Bürger) gleich, das heißt: in gleichem Abstand zum gewählten König (der Regierung); dann geht es, leicht zeitversetzt, um Parzival, dem die fixe Idee vom "Gral" eingegeben wird – und damit die auch nach der Schale mit Christi Blut vom Kreuze drin. Durchzogen, unterminiert und überwölbt werden beide Sinnsuchereien vom Familienzwist auf Burg Camelot: Artus fand von jeher den schönen runden Tisch im Bild von Ginevra interessanter als die Lady selbst. Kein Wunder, dass die dann mehr von Lancelot hält.
Im Finale, wenn der ungewollte Sohn Mordred den Untergang der Dynastie herbeiführt, hat das Familien-Drama längst und endgültig alle Politik und jeden Gedanken neutralisiert. Merlin hängt sich Brüste um und ist jetzt "die Verführung", Parzival ward schon länger nicht mehr gesehen.
Krauses Zeug ist das, kein großer Wurf von letzten Dingen – und Christian Stückls Urwald-Farce lässt nur noch warten auf Mowgli, Bagheera und Balou. Eine Banane spielt schon mit. Doch die Kokosnuss hat irgendwer geklaut.
Informationen des Schauspielhauses Zürich