Wer glaubt noch an den Weihnachtsmann?

Von Uwe Bork |
Ich bitte Sie: Der Mann hätte sich doch längst selbst ausrechnen können, wohin es mit ihm geht: bergab. Wahrscheinlich wäre es klüger für ihn gewesen, sich beizeiten nach einer anderen Stelle umzusehen oder sich gleich zügig zur Ruhe zu setzen und den Lebensabend zu genießen. Man darf eines schließlich nicht vergessen: So wie er in einem ausgesprochenen Saisongeschäft zu arbeiten, mit langen Phasen des Nichtstuns, aber auch mit Zeiten höchster Anspannung, das bringt auf die Dauer selbst den stärksten Mann um!
Dazu dann noch der Ärger mit der Konkurrenz! Immer stärker drängen ja Rivalen auf den Markt, die ihm langsam, aber sicher seine Existenzgrundlage rauben. Hatte er sich früher mit ein paar Kollegen das Geschäft noch gütlich geteilt – in Holland ist etwa ein gewisser Sinterklaas unterwegs, die Schweiz bedient ein ihm verwandter Samichlaus, die eher religiös ausgerichtete Kundschaft Sankt Nikolaus, ein emeritierter Bischof aus Kleinasien - so schiebt sich nun offensichtlich ein multinational operierender Event-Manager aus den USA in den Vordergrund, der allenfalls noch den Namen mit seinen europäischen Kollegen teilt: Santa Claus oder schlicht Santa.

Unser eigener Weihnachtsmann – so urdeutsch wie der stetig nadelnde Tannenbaum und die Bescherung am Heiligen Abend – unser eigener Weihnachtsmann hat anscheinend gegen diesen Kollegen von jenseits des großen Teichs ähnlich gute Chancen wie hausgemachte Limonade gegen die braune Brause aus der Flasche mit dem erotisierenden Hüftschwung. Er droht ganz einfach ein Opfer der Globalisierung zu werden.

Und es geht ja nicht nur um ihn. Das gesamte Ambiente eines wohl nicht nur für Kinder wichtigen Festes wandelt sich. Nein, hier soll nicht einmal mehr beklagt werden, dass die christlichen Grundlagen dieser in manchen Regionen immer noch als 'Christfest' bezeichneten Feiertage unter einer dicken Geröllschicht kommerzieller Interessen begraben wurden. Hier geht es vielmehr darum, wie sich das komplette Erscheinungsbild des Festes 'Weihnachten', wie sich die weihnachtliche Kultur in eine Richtung verschiebt, als sollte nicht im Erzgebirge und im Schwarzwald, in Oberbayern und im Münsterland gefeiert werden, sondern in New York, in Hollywood und in Washington.

Anders als jener weißbärtige Greis, dem er zwar äußerlich ähnelt, dem er aber allenfalls noch den einen oder anderen Aushilfsjob im studentischen Notdienst zu gönnen scheint, hält sich Santa Claus keineswegs mehr damit auf, kleinen Buben und Mädchen ihre Untaten und Glanzleistungen aus einem dicken Buch vorzutragen. Als amerikanischer Macher jagt er stattdessen in seinem von Rentieren gezogenen Schlitten rastlos von Ort zu Ort, um unter Zeitdruck und unpersönlich seine Präsente in mehr oder weniger fiktive Kamine zu schleudern. An deren ebenfalls fingierter Basis purzeln sie dann in überdimensionale Socken, die bis dato in unseren Breiten höchstens aus kitschigen Familienfilmen bekannt waren.

Dieses Weihnachten – im einschlägigen Kartenfachhandel bereits oft als 'Christmas' oder gar vollends anonym als 'X-mas' firmierend – dieses Weihnachten verändert sein Gesicht in einer Radikaloperation, die sich nicht unbedingt in mehr Schönheit und schon gar nicht in zumindest der Anmutung von mehr Unschuld niederschlagen dürfte. Das Skalpell führen dabei die üblichen Verdächtigen aus der supranational orientierten Wirtschaft, denen es beileibe nicht an der nötigen Übung für solche Eingriffe mangelt. Haben sie doch bereits mehrfach ihr Geschick dabei bewiesen, ganze Kulturen in charakterlose Clone eines konturlosen Konsumismus zu verwandeln, dessen tempelähnliche Einkaufszentren in Kyoto ähnlich aussehen wie in Kiel, in Potsdam nicht sonderlich anders als in Pittsburgh.

Nun besteht sicher kein Anlass, angestaubten Weihnachtskitsch von der Tonlage eines "Kling, Glöckchen, klingelingeling" oder "Schneeflöckchen, Weißröckchen" zum unverzichtbaren deutschen Kulturgut hochzujubeln. Und mir persönlich ist ein angejazztes "Winter Wonderland" immer noch lieber als die trantütige Ankündigung "Morgen, Kinder, wird's was geben". Aber wie jeder das Familienfest unseres Kulturkreises feiern möchte, das sollte doch immer noch besser ihm oder ihr selbst überlassen bleiben und nicht dem unternehmerischen Kalkül irgendwelcher Vorstandsetagen. Auch wenn es naiv klingt: Weihnachten ist viel zu wichtig, um es den Konzernen zu überlassen!

Unser deutscher Weihnachtsmann selbst hat in diesem Punkt leider seine Unschuld längst verloren: Er betreibt sein Geschäft nur mit US-Lizenz! In seinem heutigen Erscheinungsbild geht er im wesentlichen auf amerikanische Anzeigenserien aus den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahres des letzten Jahrhunderts zurück, mit denen ein pausbäckiger Rotrockträger vom Typ 'freundlicher Opa' den ebenso schlanken wie ernsten Bischof Nikolaus verdrängte. Schien der doch eher als Leitbild für durch Wohltätigkeit ergänzte Askese als für einen kaum gebremsten Konsumexzess zu taugen.

Vermutlich tönte das Klingeln der Kassen eben schon damals lauter als jedes Klingen der Glocken...


Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist Autor zahlreicher Glossen und mehrerer Bücher, in denen er sich humorvoll-ironisch mit zwischenmenschlichen Problemen auseinander setzt.