"Wer ein Spiegelei bestellt, kriegt ein Spiegelei"

Peter Conradi im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 29.11.2008
Der frühere Präsident der Bundesarchitektenkammer, Peter Conradi, hält die gestrige Entscheidung für den Neubau des Stadtschlosses für falsch. Er hätte sich mehr Mut zu zeitgenössischen Formen gewünscht, aber der Wettbewerb sei von vornherein auf Rekonstruktion beschränkt gewesen. Das habe man bekommen. Zudem kritisierte er, ein Preußen-Schloss sei "keine identitätsstiftende Aufgabe für die Bundesrepublik Deutschland".
Jörg Degenhardt: Die Würfel sind gefallen, drei Sechsen gewissermaßen für das italienische Architekturbüro Stella, es hat den Wettbewerb um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gewonnen. Damit erhält die Mitte der Hauptstadt nach jahrelangen Debatten und nach dem Abriss des Palastes der Republik wieder ihr städtebauliches Herzstück zurück. Das künftige Gebäude soll als Humboldt-Forum drei der vier Barockfassaden des einstigen Hohenzollernschlosses erhalten. An der Ostseite ist eine freie Gestaltung möglich. Baubeginn ist 2010 und das Ganze soll 552 Millionen Euro kosten. Über die gestrige Entscheidung reden will ich jetzt mit Peter Conradi, dem ehemaligen Präsidenten der Bundesarchitektenkammer. Guten Morgen; Herr Conradi!

Peter Conradi: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Bekommt Berlin für seine bauliche Mitte das, was es verdient?

Conradi: Nein. Ich fürchte nein. Ausgeschrieben wurde in dem Wettbewerb ein Schloss, das heißt, Barockfassaden mit was anderem drin. Das bekommt Berlin, das heißt, wenn man das bestellt, kriegt man das so, der Wettbewerb war ja sehr beschränkt auf diese Form. Ich hätte gerne andere Formen gesehen, mögliche neuzeitgenössische Architektur, vielleicht mit Zitaten des Schlosses, vielleicht sogar eine Verbindung aus Teilen des Palastes. Alles war gar nicht gewünscht. Die Berliner und der Bund wollten das Schloss wiedersehen. Ich halte es für eine falsche Entscheidung, aber die haben sie bekommen.

Degenhardt: Dann gehen wir doch mal der Reihe nach. Wo hat denn - beginnen wir mit dem Positiven - dieser Entwurf seine starken Seiten?

Conradi: Das ist schwer zu sagen. Ich habe im Netz das Modell des Entwurfs gesehen und es sieht aus wie das alte Schloss, und das war ja gewünscht. Wer ein Spiegelei bestellt, kriegt ein Spiegelei, also - das ist in Ordnung. Wie das innen aussieht, das muss man sich sehr sorgfältig anschauen, vor allem, wie die großen Flächen für die Beteiligten, die da rein sollen in das Humboldt-Forum, wie die organisiert sind, wie das in Übereinstimmung auch gebracht wird mit den alten Fassaden. Das kann man jetzt so nicht beurteilen.

Degenhardt: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Conradi, empfinden Sie es als Makel, dass der Siegerentwurf doch dem Original des ursprünglichen Stadtschlosses sehr nahe kommt.

Conradi: Nun ja, das haben die Auslober so gewollt, die Bauherrschaft will das, und insofern kann man ja gratulieren, sie bekommt das, was sie wollte. Was mich wundert ist, dass das einstimmig entschieden wurde. Einige Architekten aus dem Preisgericht hatten sich in den vergangenen Wochen sehr kritisch geäußert und hatten gesagt, also, der reine Nachbau des Schlosses, diese Kopie der Fassaden, das sei ja eigentlich nicht die richtige Lösung. Die haben aber jetzt wohl alle einstimmig zugestimmt. Ich frage mich, woher der Sinneswandel kommt. Vielleicht werden die sich auch noch öffentlich dazu erklären.

Degenhardt: Aber an der Ostseite des Gebäudes, des künftigen Gebäudes, ist doch eine freie Gestaltung möglich. Das kann man doch immerhin auch positiv hervorheben.

Conradi: Richtig. Das ist dann ähnlich wie beim Kommandantenhaus, was dort auch schon in Berlin steht. Vorne ist eine alte Fassade, hinter der sind dann Büros, und nach hinten, wo der Saal ist, ist eine etwas moderne Form erkennbar. Gut, diese Mixtur, das muss man ebenfalls da anschauen.

Ich frage mich einfach, ob in unserer Zeit der Nachbau eines Preußen-Schlosses nun wirklich Teil der Berliner Identität ist. Wenn die Berliner das wollen, ist das in Ordnung, dann sollen die das auch bezahlen. Aber dass der Bund das bezahlen soll, das wundert mich nun sehr, denn für Deutschland ist Preußen halten zu Gnaden, also - Preußen ist zugrunde gegangen, Gott sei Dank, und wir in Süddeutschland und die Rheinländer und viele andere, wir sind froh, dass es Preußen nicht mehr gibt. Das heißt, ein Preußen-Schloss ist keine identitätsstiftende Aufgabe für die Bundesrepublik Deutschland.

Degenhardt: Vielleicht ist der Vergleich, Herr Conradi, etwas unzulässig. Wenn ich an Doha denke, das neue Museum für islamische Kunst in der Hauptstadt des Emirats Katar, dort sind ja auch Objekte aus ihrem kulturellen und historischen Zusammenhang herausgelöst worden und wie Leute meinen, die davon etwas verstehen, im Gegensatz zu mir: Da soll es durchaus gelungen sein. Darf man den Berliner Entwurf, der gestern vorgestellt wurde, denn auch international zum Beispiel zu diesem Beispiel in Doha in Beziehung setzen?

Conradi: Das kann man sicher. Ich würde eher an Las Vegas denken, da sind ja viele weltberühmte Bauten einfach nachgebaut worden und innen ist dann was ganz anderes drin. Das ist ja dann kein Schloss, was da vom Inhalt her gebaut wird. Ich hätte es noch verstanden, wenn innen eine Bibliothek wäre oder ein Kunstmuseum, aber Völkerkunde mit Indianerzelten und Eskimokanus hinter Barockfassaden - ich finde das eher komisch.

Degenhardt: Berücksichtigen denn die Pläne des Siegers wenigstens ausreichend die vielfältigen Funktionen des Humboldt-Forums, die es einmal übernehmen soll? Ich denke da an die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wissenschaftlichen Sammlungen, sowie Bibliotheken und die Räume für die unterschiedlichsten Veranstaltungen, die da vorgesehen sind.

Conradi: Das hoffe ich und ich nehme an. Das Preisgericht wird das schon sorgfältig geprüft haben, wie das ist, denn diese Räume haben ja bestimmte Anforderungen an Klimatechnik, Nachhaltigkeit, Energiesparen. Wie man das in Übereinstimmung bringt mit einer barocken Fassade, das muss man genau anschauen, so wie die Kosten.

Die Kosten, die Sie vorher genannt haben, erscheinen ja vielen Beteiligten als kühn, und die Befürchtung drängt sich auf, dass hier wieder mal die Kosten nach unten gerechnet werden, dann soll das Parlament beschließen und hinterher wird es dann wesentlich teurer, nach dem Motto, wenn wir erst mal angefangen haben zu bauen, kann das Parlament nicht mehr zurück und muss auch die Mehrkosten genehmigen. Da hätte man dann schon gerne eine saubere Kostenrechnung für diesen Entwurf.

Degenhardt: Das heißt, die 552 Millionen, die veranschlagt sind, die werden wohl kaum reichen?

Conradi: Da bin ich eigentlich sicher, dass die nicht reichen werden, ja.

Degenhardt: Lange Zeit, Herr Conradi, sah es ja so aus, als wenn sich die Debatte um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses versachlicht hätte, als wenn es nicht mehr um die Fundamentalfrage ginge: Rekonstruktion oder Neubau. Wenn ich Sie jetzt aber so höre und richtig verstanden habe, dann sind Sie schon frustriert mit dem, was da gestern vorgestellt wurde und es könnte durchaus ein Aufflammen der alten Diskussion wieder geben.

Conradi: Nein, frustriert bin ich nicht, ich bin auch kein Fundamentalist. Natürlich kann man auch solche Bauten nachbauen. Ich habe eine Verbindung gesehen oder ich sehe keine Verbindung zwischen dem Zweck des Gebäudes Humboldt-Forum und seiner äußeren Erscheinung. Das passt nach meiner Auffassung nicht zusammen und die Behauptung, das sei jetzt ein Bau, der die Identität unserer Republik begründe, dem kann ich ebenfalls nicht folgen.

Ich hätte mir da mehr Mut gewünscht in Berlin, Mut zu zeitgenössischen Formen, mindestens im Wettbewerb wenigstens aufzumachen und zu sagen, wir werden das im Wettbewerb prüfen, wenn da jemand was ganz anderes vorschlägt, ob das gut ist. Aber der Wettbewerb ist ja von vornherein ausgeschrieben worden nur für Schlossfassaden. Und das finde ich nun ein bisschen eng und nicht gerade im Geiste Humboldts, schon gar nicht im Geiste Schinkels. Von daher hätte ich mir etwas mehr Offenheit gewünscht. Enttäuscht bin ich nicht, sondern ... Ich bin auch nicht überrascht, aber ich habe Zweifel.

Degenhardt: Der ehemalige Präsident der Bundesarchitektenkammer Peter Conradi zum gestern vorgestellten Siegerentwurf für das Berliner Stadtschloss. Vielen Dank für das Gespräch.