Wer die Erde kennt, darf nach den Sternen greifen!

Von Holmar Attila Mück · 06.05.2009
Heute vor 150 Jahren starb Alexander von Humboldt. Dieser großartige Gelehrte des 19. Jahrhunderts hat ein riesiges Werk hinterlassen, das zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedlich interpretiert wurde. Viel Aufmerksamkeit galt dabei dem Naturforscher und Geographen, weniger seinen sozialen und politischen Ideen. Aber gerade diese Seite Humboldts, seine Sozial - und Ideologiekritik, machen ihn zum "Mann des 21. Jahrhunderts" - so Hans Magnus Enzensberger.
Frederico Kauffmann-Doig: "Schon in der Schule, in der Nähe vom Amazonas, da ist ein kleines Dorf, das ist fast nicht auf der Karte , heißt Cocadillo, und da habe ich meine ersten Jahre verbracht, mein Vater wollte da in Kaffee arbeiten, und ich ging in diese Schule, eine winzige Schule, barfuss waren wir damals ... vielleicht acht oder neun Jahre. Unser Lehrer, erinnere ich mich noch gut, er hat uns schon über Humboldt gesprochen. Ich habe das noch vollkommen im Gedächtnis. Und es hat mich gefreut ... das hat mir sofort gebracht, aha, meine Großeltern war ja auch Deutsche und da war ich stolz, meine Großeltern väterlicherseits, mütterlicherseits bin ich Ur-Peruaner, Inka und Spanisch!"

Es sei eine gute Fügung des Schicksals, sagt Professor Frederico Kauffmann-Doig, der Botschafter Perus in Deutschland, dass sich seine Residenz nicht einmal fünf Minuten vom Geburtshaus Alexander von Humboldts Jägerstraße, Ecke Gendarmenmarkt befände. Zudem stehe ihm als Archäologe Humboldt natürlich besonders nahe. Beim Blättern in Humboldts Buch "Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents" - lächelt er und ist für einen kurzen Augenblick wieder in seiner Heimat.

Frederico Kauffmann-Doig: "Bei uns ist eine große Referenz an Humboldt, er war kurz in Peru, für die meisten Peruaner Humboldt hat etwas zu sagen als Wissenschaftler, deutscher Wissenschaftler erster Klasse, und der Humboldtstrom kommt sofort in unser Gedächtnis.

Im Land hat er ein bisschen archäologisch geforscht im Norden, aber dann ist er mit dem Schiff nach Lima, denn er wollte 1802 ein astronomisches Phänomen sehen, wie der Merkur und die Sonne sich da nähern ... ein Phänomen, das nur in Hunderten Jahren wiederkommt. Es war gerade die Zeit, wo die verschiedenen Länder Südamerikas gegen die Spanier sich befreiten... es war die Ideologie ... und für diese Ideologie danken wir natürlich auch Humboldt, denn er hat den Hinterhalt gegeben.

Wir profitieren von ihm immer noch und werden auch weiter profitieren von seinem Werk, von seiner Arbeit, seinen Gedanken, die er hinterließ in Büchern."

Sein Landsmann Eduardo Orrego Acuna schreibt 1997 in einem Artikel:

"Alexander von Humboldt hat Amerika mehr Wohltaten erwiesen als alle seine Eroberer; er ist der wahre Entdecker Amerikas."

Simone Bolivar, der Führer der Unabhängigkeitsbewegung in Venezuela, dachte bei dieser Erklärung weniger an den reise-, sammel- und vermessungssüchtigen Naturforscher, der da nach einer fünfjährigen südamerikanischen Odyssee am 3. August 1804 in Bordeaux mit 60.000 Pflanzen, darunter 6300 unbekannte, 700 Orts - und 459 Höhenbestimmungen wieder europäischen Boden betrat und seine dreißigjährige Auswertungsarbeit begann.

Bolivar meinte damit, was Botschafter Professor Kauffmann-Doig als "I d e o l o g i e" bezeichnet: Humboldts politisches, sozial-analytisches Denken, sein gesellschaftliches Engagement, das ihn auf diesen Kontinent immer noch als kultur- und identitätsstiftende Figur den Rang eines charismatischen Nationalheiligen einnehmen lässt. Damit weist der Revolutionär auf eine Seite Humboldts hin, die weniger populär ist.

Ein Mann, der in der Tradition von Louis-Antoine de Bougainville, James Cook, Georg Forster oder Thaddäus Haenke steht, nach dem über 1000 Objekte benannt sind - Flüsse, Ströme, Städte, Tiere, Pflanzen oder Gletscher - kann und wird in Südamerika nie übersehen werden.

Sein Geburtstag, wenn auch mit der Zeit weniger emphatisch gestaltet, ist immer noch Anlass für unzählige Festreden und Volksfeste.

Ob in Lima, im ecuadorianischen Riobamba, in Caracas oder in einem Dorf am Amazonas, nach wie ist er Tagesgespräch; ein Lehrer spricht im Biologie - oder Erdkundeunterricht garantiert über ihn.

Was dem Mathematiker und Wissenschaftshistoriker Eberhard Knobloch, der zurzeit die Alexander von Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften leitet, dazu einfällt, klingt auch nicht sonderlich erheiternd.

"Es ist eigentlich schade, es sagen zu müssen, aber ich bin doch überzeugt, dass der Name Alexander von Humboldt in diesen Ländern, auch in Chile gibt es ja eine Humboldt-Forschung, der nicht ohne Grund als zweiter Entdecker Amerikas gilt, besser bekannt und höher angesehen wird als in Deutschland. Alexander von Humboldt! - man ist stolz auf diesen Mann, man fühlte sich ernst genommen. Wir hatten vor einigen Jahren, Dank Enzensberger, so eine gewisse Renaissance ... Jetzt im Humboldt-Jahr merken auch andere, die sonst darüber eher nichts wissen, dass - 'aha -, ein berühmter Alexander von Humboldt lebte. Aber ich würde doch wagen vorauszusagen, wenn das Jahr 2010 angebrochen ist, hat man andere Interessen und dann wird das wohl nicht mehr so stark im Vordergrund stehen."

Wenn Alexander von Humboldt in der Öffentlichkeit auch nach wie vor mit einem Pinguin, der "histiatus humboldti", also einer Fledermausart, dem kühlen Strom vor Peru, einem Grönländischen Gletscher, dem Berg Chimborazo und vielmehr noch mit dem unerschrockenen Abenteuer auf dem Orinoko gedacht wird, so gab es doch zu jeder Zeit an deutschen Universitäten und Akademien eine engagierte kontinuierliche "Alexander von Humboldt-Forschung". Gänzlich verschwand er nie, konnte sein Name nicht ins Reich der Fußnoten abwandern.

Die Betrachtung von Humboldts Werk erfolgte in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten allerdings aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Göttinger Wissenschaftshistoriker Nicolaas Rupke bestätigt zudem eine, von der Öffentlichkeit allerdings wenig bemerkte, intensivere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Alexander von Humboldt:

"Der Forscher eignet sich wie kaum eine andere Gestalt der neueren Geschichte als Plattform für die Diskussion der deutschen Identität; hierauf beruht seine Faszination seit rund zweihundert Jahren und vermutlich auch in Zukunft.

Jede Generation schreibt sich ihre eigenen Geschichtsbücher und stellt ihre eigenen Fragen vor dem Hintergrund zeitgenössischer Ängste und Interessen. Historische Forschung ist nun einmal ein Teil nationaler Gedächtniskultur, die sowohl Vergessen als auch Erinnern umfasst und uns unterschiedliche Interpretationen der Welt ermöglicht."


Nicolaas Rupke und weist damit zugleich auf einen Humboldt-Biographen hin, der sich seit mehr als fünf Jahrzehnten der Erforschung des Lebenswerks dieses "unermüdlichen Wanderers zwischen den Wissenschaften" widmet - Emeritus Hanno Beck, Geograph und Wissenschaftshistoriker.

Bereits 1959 publizierte Beck eine Bearbeitung des von Humboldt als Fragment zurückgelassenen Reiseberichts. Nach vierzehnjähriger Arbeit erschien 1997 der letzte Band der wichtigsten Humboldt-Schriften. Damit war es Beck gelungen, Humboldt endlich den Platz zuzuweisen, der ihm in der deutschen Wissenschaftsgeschichte, mehr noch im Gedächtnis seiner Landsleute gebührt.

Den Ehrentitel "Vater der modernen Alexander von Humboldt-Forschung " macht Beck keiner streitig.

Auf derartige Superlative reagiert er gelassen, ja abweisend, wie auch Humboldt auf die ihm angehefteten Titel: "Monarch, Priester, Großmeister der Wissenschaft", "Universalgenie" "Letzter Generalist" oder "Geistiger Führer seines Jahrhunderts".
Hanno Beck: "Die Forschungen, die von der Akademie angefangen worden sind, schon von der DDR ... . Es ist ja eigentlich für uns in der Bundesrepublik in gewisser Weise beschämend gewesen ... Ich wurde 1956 eingeladen, Mitglied dieser Humboldt-Kommission im Osten zu werden. Keine westdeutsche Akademie hat sich als Träger bereit gefunden.

Diese Akademie hat nun die Mittel bereitgestellt. Ich bin dann dorthin gegangen und muss sagen, ich habe mich dann zusammengerafft, dann wollte ich auch das Beste geben. Der Wilhelm hat den Alexander tatsächlich in gewisser Weise auch gehemmt. Ich habe als Alexander von Humboldt-Forscher immer die Meinung vertreten, wer den Wilhelm nicht kennt, kennt den Alexander sowieso nicht ganz. Beide Brüder waren ja stolz sich."

"Prüfen Sie von Neuem, was ich veröffentlicht habe, betrachten Sie alles als falsch, das ist das Mittel, die Wahrheit zu entdecken."

Vielleicht ist diese Empfehlung Humboldts der Grund dafür, dass es noch immer keine Einigkeit darüber gibt, welches seiner Werke den größten Einfluss, den höheren wissenschaftlichen Wert hat:

Die "Ansichten der Natur", oder das von ihm selbst als Lebenswerk bezeichnete Megaprojekt "Kosmos - Entwurf einer physikalischen Weltbeschreibung" oder "Die Amerikanische Reise"; vielleicht doch seine politisch-soziologischen Analysen und Positionen "Anmerkungen über Mexiko" oder seine Analyse "Essai politique sur l ile de Cuba"?

Hanno Beck: "Es gibt kein modernes ökologisches Werk, wo nicht am Anfang irgendwo auf Humboldt verwiesen wird. Zunächst einmal wussten wir ja lange, lange nicht, was der Humboldt eigentlich bedeutet hat in der Wissenschaft. Der Humboldt wollte Zusammenhänge erkennen. Er ist gar nicht als Naturforscher zu bezeichnen, er hat sich ja oft 'physicien' genannt; das hieß 'Naturkundiger'.
Humboldt selbst ist kein Mathematiker gewesen; alle, die ihn heute als 'Universalgenie' hinstellen, müssen wissen, dass er selber meinte, für Mathematik und Philosophie, da sei ein eigenes Talent nötig ... Der wollte ja auch nicht Universalist sein."

Beck kommt das Verdienst zu, als erster nach dem Krieg diese wichtigen klassischen Texte der wissenschaftlichen Weltliteratur zum Teil erstmalig publiziert zu haben, der Humboldtschen Maxime: "Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit" nicht nur vorbildlich gefolgt zu sein, sondern dabei auch nie "den Menschen, das entscheidende Ziel jeder Forschung, aus den Augen verloren zu haben."

Hanno Beck: "Er geht in die Bergwerke hinein, er sieht, wie die Menschen misshandelt werden, es hat noch Grubenbesitzer gegeben, die Indianer als Pferde benutzt haben; das war unmenschlich. Wie er dann in den Anden auch darauf verzichtet hat, sich tragen zu lassen. Er hat also auch hier, in diesem Werk die Menschenrechte gewahrt und durchsetzen wollen. Das ist ein derart fortschrittliches Denken, das gipfelt dann im 'Kosmos', wo er den Menschen auf eine kurze Formel bringt; er sagt nämlich: 'Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt'!"

1845 stehen die Berliner vor den Buchhandlungen Schlange. Der Tübinger Verleger Cotta beginnt mit der Auslieferung des ersten "Kosmos"-Bandes.

Humboldt war nach gut 20 Jahren aus Paris endgültig nach Berlin zurückgekehrt und hatte in der Singakademie, dem heutigen Maxim-Gorki-Theater, mit seinen "Vorträgen über Physikalische Geographie" begonnen. Die meisten Leser hatten im Winter und Frühjahr 1827/28 keinen Platz mehr gefunden.

Seine Auftritte waren immer ausverkauft, sie waren Stadtgespräche, eine Sensation, auch wegen der illustren Hörerschar: da saßen der Pastor neben der Tänzerin, der Studien- und Kommerzienrat neben dem Kutscher und Briefträger.

Nur wenige Minuten Fußweg entfernt, in der Oranienburgerstraße 67, arbeitete der greise Forscher und wunderte sich noch Jahre später, dass sein Text, also die Sammlung dieser Vorträge, an denen er mehr als ein Jahrzehnt herumkorrigiert und sie ergänzt hatte, zum Bestseller avancierte; besonders die Resonanz aus den nicht-akademischen Kreisen erstaunte ihn.
Hanno Beck: "Humboldt ist nie einfach zu lesen gewesen, weil er wissenschaftlich sein wollte, während ein Georg Forster das mehr und mehr sich ausmalen konnte, die Meßmethoden waren noch nicht so weit. Alexander von Humboldt hat im 2. Band des 'Kosmos' ganz klar den Reflex der Natur auf den inneren Menschen dargestellt. Er hat auch zum ersten Mal auch von Naturdenkmalen gesprochen. Das Wort ist heute wieder aufgetaucht ... ist vielen nicht bewusst, dass das von Humboldt kommt."

Preußens Metropole ist nicht seine Mitte. Dem Freund Varnhagen von Ense klagt er:

"Ich seufze nach Freiheit. Berlin wird mir zu langweilig, besonders der Kreis, in dem ich lebe ... . Eine kleine, unliterarische und dazu überhämische Stadt, wo man monatelang gedankenleer an einem selbst geschaffenen Zerrbild matter Einbildungskraft nagt."

Er wird sich immer zurücksehnen nach Paris, in das geistige Zentrum Europas, denn nirgends war die Kommunikation unter den Wissenschaften ausgeprägter, gaben sich die Experten häufiger die Klinke in die Hand, war er, der geistreich, spitzzüngig plaudernde und deshalb nicht wenig gefürchtete Weltbürger in Salons und Palais willkommener. Was man heute "interdisziplinäre Dispute", "Vernetzung der Wissenschaften" nennt, hatte er dort bereits mit großem Erfolg praktiziert, wobei ihm immer bewusst war, am Ende nur Fragmente zusammentragen zu können, immer auf Informationen anderer angewiesen zu sein.

Eberhard Knobloch: "Wie denn das Fragmentarische an ihm überhaupt charakteristisch ist. Er hat das eigentlich gewusst und produktiv eingesetzt, irgendwie auch gemeint, er ist sozusagen Wegbereiter, es müssen andere kommen, die das fortführen, was er begonnen hat."

Dem Empiriker war die Vorläufigkeit seines Denkens - eine Mischung aus Realismus und Romantik- und Handelns stets bewusst. Er war ein begnadeter Kommunikator, Rhetoriker und mitreißender Visionär. Friedrich Schiller glaubte den Grund zu kennen:

Hanno Beck: "Humboldt ist eigentlich von Jugend an ein politisch kritischer Mensch gewesen. Monarchist ist er um keinen Preis gewesen. König Friedrich Wilhelm IV. hat ihn gefördert, wo er nur konnte, der hat immer seine Schatulle geöffnet, wenn Humboldt was wollte. Aber politisch hat er ihn nicht hören wollen. Hat Humboldt auch gar nicht versucht."

Eberhard Knobloch: "Es gibt den Briefwechsel mit Varnhagen von Ense, das ist ein hochbrisanter Briefwechsel, weil Humboldt dort sehr offen und auch in negativer Weise über das preußische Königshaus schrieb; das hatte natürlich einen verheerenden Eindruck im Königshaus hinterlassen. Es war dort der Name Alexander von Humboldt eine Zeitlang ein Un-Name. Schon deshalb, weil Humboldt Zeit seines Lebens überaus loyal gegenüber beiden preußischen Königen war, und an Loyalitätsbekundungen auch nicht fehlen ließ.

Wenn man sich die 'Vues des Cordilleres et Monuments des Peuples Indigenes de´l Amerique' ansieht, dann ist das ein kunst- und wissenschaftshistorisches Werk mit großartigen Bildern, er hat keine Mühe und Kosten gescheut, hervorragende Kupferstecher zu bekommen und dabei sein restliches Vermögen auszugeben, was ihn auch sympathisch macht, aber dadurch in die Dienste des preußischen Königs zwang. Von irgendwas musste er nun auch leben; er wurde preußischer Kammerherr aus finanziellen Gründen und nicht, weil er es so gerne wollte; er liebte die Unabhängigkeit in einem extremem Maße geradezu."

Hanno Beck: "Also die preußischen Könige wussten, was sie an ihm hatten. Aber sie haben ihn politisch nicht als Ratgeber gefragt. Das Königtum war für ihn ein fauler Zauber, den er nicht ändern konnte. Es ist mir vorgeworfen worden, ich hätte nicht gesehen, dass er ein höfischer Mensch gewesen sei. Der war nur ein höfischer Mensch, weil es nicht anders ging ... Er hatte ja Schulden hinterlassen.
Was wir nicht verkennen dürfen, er ist der größte Mäzen gewesen, den wir in Deutschland wohl je hatten. Er ist das gewesen, was heute die deutsche Forschungsgemeinschaft für viele sein muss. Er hat allen geholfen und das Eigene zurückgestellt. Dann war doch auch zu sehen, dass er zum Beispiel, obwohl das das Königshaus es nicht immer wollte, die Juden, die hochbegabten Juden ... schon mal zur Universität kommen konnten ...
Es war ungerecht gewesen, dass man einen so begabten Bevölkerungsteil ausgeschlossen hatte ..."

Für einen Mann, der 1789 in Paris trunken war von den temperamentvoll vorgetragenen Forderungen der Massen: Einheit, Freiheit, Brüderlichkeit, konnte es keinen Zweifel geben, wo er seinen Platz einzunehmen hatte. Er war es, der Kammerherr des Königs, der sich 1848 nach den Märzaufständen vor den 183 Toten stumm verneigte und ihren Särgen folgte, nachdem ein großer Chor, wie sich Varnhagen von Ense erinnert, wieder und wieder seinen Namen im Takt intonierte.

Nein, Humboldt war bestimmt kein "Anwalt des Volkes", der "greise Forscher" war den "Tageswirren und Zeitzerwürfnissen" doch schon entrückt, aber er verabscheute die Reaktion und dem deutschen Bürgertum traute er weder das Bewusstsein noch die Kraft zu, das französische Beispiel nachzuahmen.

Bei aller materiellen Abhängigkeit wich er selten von einer einmal gewonnen Erkenntnis zurück, das galt für die Wissenschaft wie für die Politik.

Hanno Beck: "Selbst der König hat sich manches anhören müssen. Der hat dann allerdings gelächelt, er hat ihn dann auch brieflich 'Mein lieber Alexandros' genannt. Der Humboldt war schon verbindlich, aber bis zu gewissen Grenzen; er ließ sich auch politisch nicht viel abnehmen; die preußischen König haben ihn eben gelassen und er hat die preußischen Könige gelassen ..."

"Die Völker haben das Recht, gut regiert zu werden!"

Der Mann, der in einfachem Schuhwerk, im eleganten preußischen Gehrock, mit einem etwas dickerem Halstuch, jedoch ohne Handschuhe bis über 5000 Meter den schneebedeckten Chimborazo erkletterte, flanierte, brillierte und parierte auch äußerst geschickt auf dem sehr glatten, diplomatischem Parkett. Für den Bruder Wilhelm wurde er jedoch "immer weniger deutsch".

Den homo viator, den stets in geistiger Bewegung Befindlichen, verließ nie die Unruhe des Abenteurers. Ausgeträumt war allerdings früh der Wunsch einmal nach Indien, nach Tibet, in den Himalaja zu reisen, das Gegenüber Amerikas zu sehen, und zu vergleichen. Die britischen Kolonialbehörden kannten seinen Mut zur unverhohlenen Kritik. Man baute vor - und sagt ab!

Das weite Russland, einen Winkel Asiens zu sehen, war dem 60-Jährigen noch vergönnt. Aber im Gegensatz zur Südamerikareise, die er ohne Auflagen des spanischen Königs durchführte, hatte der Zar handfeste Wünsche; hier war der Geologe, der Bergbaufachmann Humboldt gefragt. In Sibirien vermutete er eine Schatzkammer. Humboldt wird es bestätigen.

Er war, sieht man einmal von dem eifersüchtigen Napoleon ab, bei nahezu allen Staatsmännern willkommen, denn keiner kannte die Geographie, die Menschen der Staaten besser, keiner war vertrauenswürdiger als er.

Auch Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, ließ sich 1804 eine Begegnung mit dem fast schon legendären deutschen Forscher nicht entgehen.

Auf Spaziergängen in Washington und dem Landsitz Monticello standen sowohl die politische Gliederung der spanischen Kolonien, der überfällige Bau des Panamakanals - ein Lieblingsthema Humboldts -, als auch die umstrittenen und unbestimmten Grenzgebiete zwischen den USA und Mexiko zur Debatte, und Humboldt stellte dem Präsidenten bedenkenlos sein kartographisches Material zur Verfügung. Unbewusst trug er damit zur Lösung dieses Problems bei, zugunsten der USA. Jefferson war voll des Lobes für den Deutschen.

Als Humboldt ein halbes Jahrhundert nach dieser Begegnung in Berlin stirbt, erscheint in London das Buch eines jungen Wissenschaftlers mit dem Titel "Ursprung der Arten". Es kommt einer Revolte gleich. Sein Autor: Charles Darwin.

Zweifellos zieht er damit Humboldt aus dem internationalen Rampenlicht, aber er führt fort, was er angestrebt hatte, die Neugier auf die Welt, die Lesbarkeit der Welt zu fördern, den Respekt vor der Natur zu wahren, aber Darwin lässt es nie an großer Ehrerbietung mangeln:

"Er war der größte reisende Wissenschaftler, der jemals gelebt hat. Ich habe ihn immer bewundert, jetzt bete ich ihn an."

Dass Humboldt am Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr in den Schatten tritt, lag nicht nur an Darwin. Der Humboldt-Forscher Ottmar Ette nennt den vornehmlichsten Grund:

"Noch wichtiger war die Tatsache, dass ein Mittler zwischen Deutschland und Frankreich, wie es Alexander von Humboldt unbestreitbar gewesen war, in den Jahrzehnten wiederholter militärischer Konfrontation nicht opportun war."

"Humboldts Werk", sagt Ette weiter, "ist ein offnes Buch; es ist an der Zeit, die schriftstellerische Qualität des Schreibers Alexander von Humboldt zu entdecken".

"Überblickt man die Gesamtheit seiner ungeheueren wissenschaftlich-literarischen Produktion, so wird deutlich, dass alles Wechselwirkung ist, ihren epistemologischen Ausdruck auch und gerade auf der Ebene des Schreibens gefunden hat."

Ottmar Ette, neben Hanno Beck der renommierteste Humboldt-Kenner, hat in diesem Gedenkjahr mit seinem Buch "Alexander von Humboldt und die Globalisierung" eine bemerkenswerte Studie vorgelegt. Es gelingt ihm wirklich überzeugend darzustellen, was als Ziel angestrebt wurde:

"Die Beschreibung der Entstehung des humboldtschen Denkens, die Beleuchtung der europäischen Verankerung des Berliner Weltbürgers, seine geistige Bewegung an den Schnittstellen zwischen Romantik und Moderne, der Nachweis der Aktualität eines Denkers, Forschers und Schriftstellers, der keineswegs zufällig in der gegenwärtigen Phase beschleunigter Globalisierung von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird."

Die außergewöhnliche Hochachtung, die Humboldt im südlichen Amerika uneingeschränkt genießt, hat die Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg nicht zuletzt auch animiert, eben dort über die noch spürbaren, sichtbaren Auswirkungen seines Handelns Nachforschungen anstellen zu lassen.

"Alexander von Humboldt und Hispano-Amerika: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Humboldt Rezeption in Hispano-Amerika, Stand der Forschung und Zielsetzung."

Lautet das Motto, unter dem sich Historiker, Soziologen und Anthropologen aus den von Humboldt bereisten Staaten im Juni in Berlin zu einem internationalen Symposium treffen, um Beweise für die Behauptung vorzutragen, die in der Konzeption der Veranstaltung formuliert wird:

"Für die jungen lateinamerikanischen Staaten, deren Unabhängigkeit er mit seinen Publikationen begleitete, war Humboldt gleichsam das Modell einer wissenschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und ideengeschichtlichen Modernisierung. Eines der beklagenswertesten Desiderate ist allerdings das Fehlen einer systematischen und auch nur ansatzweise umfassenden Bibliographie der Veröffentlichungen zu Alexander von Humboldt."

So kann also Professor Eberhard Knobloch, der an der Vorbereitung der Diskussionsrunde maßgeblich beteiligt ist, auf die Mitteilungen der angereisten Kollegen neugierig sein:

"Das bedeutet, dass man über seine wissenschaftlichen Methoden spricht, dass man versucht, sein Wirken einzuordnen. Und dieses Wirken basiert darauf, dass er der Überzeugung war, diese Welt lässt sich mit quantifizierenden Methoden beschreiben ... Er hat also einen erheblichen Eindruck hinterlassen und auch vieles angeregt, worin ja auch seine Stärke lag.

Das bedeutet natürlich, dass wir tatsächlich neue Ergebnisse erwarten. Das ist so bisher so noch nicht geschehen, dass die Länder vor Ort einmal gucken, was ist denn in den 150 Jahren mit Blick auf Humboldt eingetreten. Es sind eigentlich Wissenschaftler, die eine Art Hausaufgabe bekommen haben, insofern kann ich die Ergebnisse nicht vorweg nehmen. Wir können klar sagen: Diese Aufarbeitung der Entwicklung seit Humboldts Besuch dort ist bis heute nicht wirklich geschehen. "

Während die Forscher aus Kuba, Kolumbien, Venezuela, Peru, Ecuador und Mexiko in Humboldts Geburtsstadt eine Bestandsaufnahme der Forschung versuchen, bedarf es in Lima, im "Colegio Alexander von Humboldt", in der Deutschen Schule keines besonderen Anlasses, den Namenspatron zu ehren. Hier ist er allgegenwärtig.

Für den Direktor Albrecht Schmidt und Geschichtslehrer Markus Reitzig, der übrigens seine Doktorarbeit an der Berliner Humboldt-Universität verteidigte, wird Humboldts Geist hier täglich ganz selbstverständlich gelebt:

"Jeder Schüler kann mit dem Namen etwas anfangen. In einem wesentlichen Gebäudeflügel hier in der Schule wird auch an ihn auch gedacht. Wir haben dort 16 DIN A1 Formate -Informationstafeln über Alexander von Humboldt aufgehängt, in spanischer Sprache, so dass alle Gäste da die Lektüre pflegen können.
In der Kulturgeschichte taucht er auch auf, besonders im Zusammenhang mit seinem Bruder, die haben doch wesentliche Impulse in Richtung des heutigen Schulsystems gegeben."

M. Reitzig: "Hier in der Schule ist die besondere Situation, dass Geschichte einmal auf Spanisch und einmal auf Deutsch unterrichtet wird. Die ganze Sache, die mit Lateinamerika zu tun hat, damit auch mit Humboldt, das wird von den Kollegen gemacht, auf Spanisch ...
Im Unterricht, im deutschsprachigen, das ist kurioserweise eher die Person Wilhelm von Humboldt, weil eben die preußischen Reformen ein Thema sind, die Bildungsreform ...""

A. Schmidt: "r werden zu Humboldts Gedenken zweispurig fahren: ein ganz hoch offizieller Festakt, wo wir auch die Gesellschaftsspitze einladen und dann auf der anderen Ebene, bei den Schülern werden wir versuchen, die Gestalt Alexander von Humboldt wieder bewusst zu machen, das machen wir ganz sicher im Rahmen einer 'Projektwoche'.""

So lange die Schüler den Spruch im Fenster des Foyers befolgen, kann eigentlich kein Zweifel darüber aufkommen, dass Alexander von Humboldt weiterhin der bedeutendste deutsche Botschafter in Südamerika ist und bleiben wird.

Norden, im Süden,
Wo es nur immer ist,
Vergiss nie, dass du ein
Humboldtschüler bist!
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