Wenn Sklaven Sklaven kaufen
Der afroamerikanische Autor Edward P. Jones schildert in seinem Roman "Die bekannte Welt" in nüchternem Tonfall die Brutalität der Sklaverei in den Südstaaten der USA. Dabei deckt er ein recht unbekanntes Detail auf: Dass auch freigelassene Sklaven Sklaven kauften und misshandelten.
Es ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie anscheinend nur in den USA geschrieben werden kann: Zehn Jahre lang arbeitete der schwarze, 1951 geborene Autor Edward P. Jones an seinem ersten Roman, hielt er sich als Gelegenheitslektor und Korrekturleser für ein Wirtschaftsmagazin über Wasser. 2003 erschien "The known world", ein Jahr später wurde Jones dafür der Pulitzer-Preis zuerkannt, die berühmte TV-Moderatorin Oprah Winfrey empfahl das Buch in ihrer Show, seitdem führt der Roman sämtliche englischsprachigen Bestseller-Listen an. I
Im Frühjahr 2005 erhielt Jones den irischen IMPAC-Preis, mit 100.000 Euro die weltweit höchstdotierte Auszeichnung für ein einzelnes literarisches Werk. Jetzt veröffentlicht der Hoffmann und Campe Verlag das Buch auf Deutsch unter dem Titel "Die bekannte Welt" und schon die erste Lektüre zeigt: Dieses Buch ist in der Tat sensationell und wird allen Lorbeeren gerecht!
Edward P. Jones erzählt von einer heute beinahe unglaublichen historischen Tatsache, die in der amerikanischen Geschichtsschreibung bislang keinerlei Rolle spielte, ja den meisten Menschen völlig unbekannt ist: Dass es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, vor dem Sezessions-Krieg, in den Südstaaten Schwarze gab, die selbst Sklaven hielten.
Henry Townsend, die zentrale Figur des Romans, ist ein solcher schwarzer Sklavenbesitzer. Selbst in die Sklaverei hineingeboren, kann er sich von seinem weißen Herrn freikaufen und mit dessen Unterstützung eine eigene Plantage gründen. Ohne Skrupel kauft er Arbeitskräfte, für ihn wie für die meisten Schwarzen bedeutet Sklaverei eine natürliche Ordnung der Dinge, endet die "bekannte Welt" am Horizont ihrer Plantage. Zu Beginn des Buches stirbt Henry, in Rückblenden wird seine Geschichte und die zahlreicher weiterer Figuren geschildert.
Nüchtern und sachlich schildert Edward P. Jones die Verhältnisse der Jahre 1855 und davor im fiktiven Manchester County im Bundesstaat Virginia. Er erzählt vom Leben, Arbeiten und Sterben der Bewohner und der erschütternden Normalität der Sklaverei, die von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wird.
Alles ist gesetzlich geregelt: der An- und Verkauf, die Behandlung, die Strafen. Entlaufenen Sklaven durchtrennt man wie selbstverständlich die Achillessehnen, Widerspenstige werden ausgepeitscht oder bekommen die Ohren abgeschnitten, auch Henry Townsend übt diese Praxis nach herrschendem Recht und Gesetz, für das Ohrabschneiden bestellt man einen Experten, man will die kostbare Ware ja schließlich nicht verbluten lassen...
Der Autor Jones hat seine literarische Technik mit dem Begriff "god’s eye view" beschrieben – wie ein kalter, neutraler Gott besieht er sich das Schicksal seiner Geschöpfe, er greift nicht ein, er klagt nicht an, er berichtet nur, was geschieht. Der Effekt ist ungeheuerlich, so manches Mal will man das Buch entsetzt zur Seite legen, weil die Brutalität kaum zu ertragen ist.
Es ist nun auf den ersten Blick irritierend, Edward P. Jones‘ eigene Aussagen über seinen Roman zu hören, er sagt:
"Ich habe nicht recherchiert, ich habe alles erfunden, also gelogen, wenn Sie so wollen – um einer höheren Wahrheit willen, um sie ans Licht zu bringen."
Was ist das für eine Wahrheit? Schaudernd verspürt man, dass es sich dabei nicht nur um eine geschichtliche, verschollene Episode aus finsterer amerikanischer Vergangenheit handelt. Sondern um die Erkenntnis vom Wesen des Menschen an sich, wie es sich an alles gewöhnt: an Ungerechtigkeit, an Willkür, an Grausamkeit und sich letztendlich sogar zu eigen macht,– wenn es nichts weiter kennt als die "bekannte Welt".
Edward P. Jones: Die bekannte Welt
Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser,
Verlag Hoffmann & Campe Hamburg,
448 Seiten, 22 €
Im Frühjahr 2005 erhielt Jones den irischen IMPAC-Preis, mit 100.000 Euro die weltweit höchstdotierte Auszeichnung für ein einzelnes literarisches Werk. Jetzt veröffentlicht der Hoffmann und Campe Verlag das Buch auf Deutsch unter dem Titel "Die bekannte Welt" und schon die erste Lektüre zeigt: Dieses Buch ist in der Tat sensationell und wird allen Lorbeeren gerecht!
Edward P. Jones erzählt von einer heute beinahe unglaublichen historischen Tatsache, die in der amerikanischen Geschichtsschreibung bislang keinerlei Rolle spielte, ja den meisten Menschen völlig unbekannt ist: Dass es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, vor dem Sezessions-Krieg, in den Südstaaten Schwarze gab, die selbst Sklaven hielten.
Henry Townsend, die zentrale Figur des Romans, ist ein solcher schwarzer Sklavenbesitzer. Selbst in die Sklaverei hineingeboren, kann er sich von seinem weißen Herrn freikaufen und mit dessen Unterstützung eine eigene Plantage gründen. Ohne Skrupel kauft er Arbeitskräfte, für ihn wie für die meisten Schwarzen bedeutet Sklaverei eine natürliche Ordnung der Dinge, endet die "bekannte Welt" am Horizont ihrer Plantage. Zu Beginn des Buches stirbt Henry, in Rückblenden wird seine Geschichte und die zahlreicher weiterer Figuren geschildert.
Nüchtern und sachlich schildert Edward P. Jones die Verhältnisse der Jahre 1855 und davor im fiktiven Manchester County im Bundesstaat Virginia. Er erzählt vom Leben, Arbeiten und Sterben der Bewohner und der erschütternden Normalität der Sklaverei, die von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wird.
Alles ist gesetzlich geregelt: der An- und Verkauf, die Behandlung, die Strafen. Entlaufenen Sklaven durchtrennt man wie selbstverständlich die Achillessehnen, Widerspenstige werden ausgepeitscht oder bekommen die Ohren abgeschnitten, auch Henry Townsend übt diese Praxis nach herrschendem Recht und Gesetz, für das Ohrabschneiden bestellt man einen Experten, man will die kostbare Ware ja schließlich nicht verbluten lassen...
Der Autor Jones hat seine literarische Technik mit dem Begriff "god’s eye view" beschrieben – wie ein kalter, neutraler Gott besieht er sich das Schicksal seiner Geschöpfe, er greift nicht ein, er klagt nicht an, er berichtet nur, was geschieht. Der Effekt ist ungeheuerlich, so manches Mal will man das Buch entsetzt zur Seite legen, weil die Brutalität kaum zu ertragen ist.
Es ist nun auf den ersten Blick irritierend, Edward P. Jones‘ eigene Aussagen über seinen Roman zu hören, er sagt:
"Ich habe nicht recherchiert, ich habe alles erfunden, also gelogen, wenn Sie so wollen – um einer höheren Wahrheit willen, um sie ans Licht zu bringen."
Was ist das für eine Wahrheit? Schaudernd verspürt man, dass es sich dabei nicht nur um eine geschichtliche, verschollene Episode aus finsterer amerikanischer Vergangenheit handelt. Sondern um die Erkenntnis vom Wesen des Menschen an sich, wie es sich an alles gewöhnt: an Ungerechtigkeit, an Willkür, an Grausamkeit und sich letztendlich sogar zu eigen macht,– wenn es nichts weiter kennt als die "bekannte Welt".
Edward P. Jones: Die bekannte Welt
Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser,
Verlag Hoffmann & Campe Hamburg,
448 Seiten, 22 €