Wenn Sex leer und einsam macht

06.11.2011
Nie war es leichter als im Zeitalter des Internet, schnell, diskret und unverbindlich einen Sexpartner zu finden. Aber macht diese neue Freiheit emotional zufriedener? Fehlanzeige, sagt der Soziologe Jean-Claude Kaufmann. Denn die reale Welt ist komplizierter, als es das Internet vorspielt.
Im Universum der Geschlechterbeziehungen kennt Jean-Claude Kaufmann sich aus. In einer Vielzahl von Büchern hat er die mit Fallen gespickte Suche des modernen Individuums nach einer erfüllten Partnerschaft unter die Lupe genommen. Diesmal interessiert ihn, was das Internet zu dieser Suche beizutragen hat. Denn das Netz hat das Sexleben revolutioniert. Denkbar also, dass es auch die Liebesverhältnisse dauerhaft umkrempelt. Führt es gar zu mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, weil Männer wie Frauen gleichermaßen ihre Triebe ausleben können?

Um Antworten zu finden, hat sich Jean-Claude Kaufmann im Internet auf die Pirsch gelegt, dort wo in Blogs, Chats und Online-Börsen die potenziellen Sexpartner aufeinander treffen – sich anpreisen wie Konsumgüter, miss- oder geglückte Begegnungen schildern und die Rituale für die Anbahnung des Sexes diskutieren. Ausführlich zitiert er aus diesen Foren und verbindet dies gekonnt mit seiner Analyse. Einfach und unterhaltsam geschrieben, liest sich diese nicht nur spannend. Sie birgt vor allem jede Menge Einsichten darüber, welche seelischen Folgen es hat, wenn es einem nur um Sex geht. Denn so grenzenlos und egalitär das Netz auch scheint – dieses Versprechen kann es nicht einhalten.

Die Ernüchterung beginnt schon in den Foren selbst. Wer Freizügigkeit will, muss sich gut tarnen können. Wie in der realen Welt greifen hier historische Raster: Wer lange Single bleibt, wird schnell als abgestanden tituliert. Oder: Eine Frau mit vielen Sexpartnern gilt vielen als "Schlampe". Beim Übergang von der virtuellen in die Offline-Identität, nämlich dann, wenn man sich tatsächlich gegenübersteht, zeigen sich die nächsten Tücken. Jean-Claude Kaufmann beschreibt diesen Prozess ausführlich und stellt fest: Hier beginnt der eigentliche Realitätscheck, denn die virtuelle Schutzmaske fällt. Ein Umstand, der ein Viertel aller Suchenden aus Angst gar nicht erst zum ersten Date erscheinen lässt.

Das alles aber ist nachrangig im Vergleich zu der entscheidenden Frage, in die der Autor schließlich seine Schilderungen kulminieren lässt: Kann Sex als eine Art Freizeitbeschäftigung, als spontanes Ausleben von Gefühlen und losgelöst von Bindungswünschen eine Alternative darstellen zur klassischen Paarbeziehung, bei der ja immer die Gefahr der (sexuellen) Einengung zumindest droht? Hier kann Jean-Claude Kaufmann die spannendsten Antworten liefern. Wie seine Recherchen zeigen, berichten – vor allem Frauen davon – dass Sex nur um seiner selbst willen diese auf die Dauer leer und einsam macht, sich also nicht grundsätzlich von der Zuneigung zum anderen trennen lässt. Sex als reine Freizeitbeschäftigung – das funktioniert nicht.

Zwar lässt der Autor offen, wie viele Menschen sich überhaupt diesem Selbstversuch des Online-Datings unterziehen. Das Fazit dieses überaus lesenswerten lehrreichen Buches ist dennoch überzeugend: Auch wenn das Internet dem Sexleben eine Facette hinzufügt, am Ende bleibt die alte Frage, wie und ob der Einzelne in der Paar-Beziehung sein Glück finden kann.

Besprochen von Vera Linß

Jean-Claude Kaufmann: Sex@mour. Wie das Internet unser Liebesleben verändert
UVK-Verlagsgesellschaft, Konstanz 2011
196 Seiten, 19,90 Euro
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