Wenn Oma alles besser weiß

Rezensiert von Katharina Döbler |
Anders als viele Familiengeschichten, die von Nazizeit, Verfolgung und Exil handeln, erzählt Irene Dische ihre mit Munterkeit und Ironie. Vordergründig schreibt sie aus der Perspektive ihrer Großmutter, was ihr gleichzeitig ermöglicht, Distanz zu wahren und heitere Reflexionen einzubauen.
Dies ist ein autobiografischer Roman – gewissermaßen. Denn die Person, die hier ihr Leben erzählt, hat ihn nicht geschrieben, aber sie beschreibt die Person, die ihn geschrieben hat – und zwar mit allen möglichen, nicht unbedingt schmeichelhaften Details. Dieser Kunstgriff erlaubt der Autorin eine Distanz und eine Leichtigkeit des Tons, die in der Reflexion des eigenen Lebens nur schwer zu gewinnen ist.

Anders als viele Familiengeschichten, die von Nazizeit, Verfolgung und Exil handeln, wird diese von Irene Dische mit Munterkeit und Ironie erzählt. Schon auf den ersten drei Seiten erfährt man, dass die rheinische Großbürgertochter Elisabeth sehr katholisch ist, dass sie dem Sex nicht viel abgewinnen kann, ebenso wenig wie dem Judentum, und dass sie doch aus Liebe und gegen den Widerstand ihrer Familie einen jüdischen Arzt geheiratet hat.

Diese Dame – denn eine Dame war sie, ganz offenkundig, mit allem was dies zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bedeutet hat – ist die Großmutter der Autorin. In den zwanziger Jahren lebt sie mit ihrem – inzwischen katholisch getauften - Mann in einer schlesischen Kleinstadt, als geachtete Honoratiorengattin und in freundlichem Einvernehmen mit der jüdischen Verwandtschaft. Sie bekommt eine Tochter, die auf rätselhafte Weise begabt, undamenhaft und eigensinnig ist.

Dann kommt die Naziherrschaft, die sie zunächst als eine spezifische Unannehmlichkeit wahrnimmt, die mit Politik zu tun hat. Bald spürt sie die Bedrohung, Freunde wenden sich ab, werden zu Verrätern. Ihr wird nahegelegt, sich scheiden zu lassen. Sie steht zu ihrem Mann, organisiert heimlich seine Flucht und schließlich ihre eigene.

In den USA bauen sich die beiden eine neue Existenz auf; die Tochter wird erwachsen, heiratet einen gewissen Dische und bekommt Kinder. Die Enkeltochter, Irene, erweist sich ebenfalls als auf rätselhafte Weise begabt, undamenhaft und eigensinnig.

Großmütter sind, aus der Sicht ihrer Enkel, ein wenig von gestern. Man glaubt ihnen zwar, denn sie sind eine Institution, aber ganz ernst genommen werden sie selten. Irene Dische spielt meist gekonnt mit der Doppelbödigkeit dieser Großmutterperspektive. Großmutter glaubt alles zu wissen: über wünschenswerte Tugenden, über die Wirkung von Erziehung und Vererbung auf den Charakter, über Ehe und Religion. Und vor allem weiß sie, was sich gehört. Und von sehr vielem hat sie keine Ahnung.

Das ist manchmal sehr witzig in seiner gewollten Duchsichtigkeit; manchmal aber verkommt Großmutter Elisabeth - im Dienste der autobiografischen Selbstdarstellung ihrer Enkelin – offensichtlich zur literarischen Hilfskonstruktion. Zum Glück betrifft diese Schwäche nur einen kleinen Teil dieses sonst sehr lesenswerten Buches, dessen größte Stärke vielleicht in seinem heiteren Lob des Alters liegt.


Irene Dische: Großmama packt aus
Roman. Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2005,
368 S., 23 €