"Wenn Neonazis über Neonazis erzählen"

Marcus Böttcher im Gespräch mit André Hatting · 28.09.2012
Anstatt Geld in V-Männer zu pumpen, sollte der Staat lieber Organisationen fördern, die sich gegen rechte Gewalt engagieren, fordert der Buchautor Marcus Böttcher. Der Berliner Verein Apabiz etwa verfüge über einen viel größeren Informationspool, als ihn V-Männer überhaupt jemals liefern könnten.
André Hatting: Seit knapp einem Jahr beschäftigt sich die Republik mit dem nationalsozialistischen Untergrund NSU. Und je länger die Ausschüsse untersuchen, warum das Neonazi-Terror-Trio zehn Jahre lang Menschen unbehelligt erschießen konnte, desto peinlicher die Ergebnisse für die deutschen Sicherheitsorgane.

Der neueste Vorwurf lautet: Einer der Beschuldigten aus dem direkten Umfeld des NSU, der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohleben, soll aus V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet haben, mehr noch: Wohlleben habe dem NSU die Waffe besorgt, mit der die Terroristen zwischen 2000 und 2006 neun der zehn Morde begangen haben sollen, auch den in Kassel, zu dem heute Hessens Ministerpräsident Bouffier befragt wird.

Diese Behauptungen stammen von einem ehemaligen Bundesanwalt. Er ist sich absolut sicher, Wohlebens Namen auf einer Liste von V-Leuten gesehen zu haben. Das würde heißen: Der NSU hat mit Wissen und dem Geld des Verfassungsschutzes getötet.

Darüber möchte ich jetzt mit Marcus Böttcher sprechen, er ist Journalist und hat gemeinsam mit Maik Baumgärtner gerade das Buch "Das Zwickauer Terror-Trio" veröffentlicht. Guten Morgen, Herr Böttcher!

Marcus Böttcher: Guten Morgen, grüße Sie!

Hatting: Herr Böttcher, Sie haben mit Aussteigern der rechten Szene gesprochen, mit Ermittlern von der Polizei bis zum Bundesverfassungsschutz, auch mit Betreuern von V-Leuten, haben zehntausende Akten gelesen, kennen sich also wirklich gut mit der Szene und deren Bekämpfung aus. Halten Sie das für möglich, dass der Verfassungsschutz über einen V-Mann die Neonazis unterstützt hat?

Böttcher: Das halte ich ehrlich gesagt nicht für möglich, nein. Also zumindest gibt es dafür keine Belege, die wir in den Akten gefunden haben, und ich glaube, auch die Behörden sind sich da relativ sicher, dass das nicht stimmt, dass Ralf Wohleben direkt mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet hat als V-Mann. Auch, wie gesagt, die Experten, alle, mit denen ich gesprochen habe, sind sich da doch eher sehr im Zweifel, dass das stimmt. Andere Neonazistrukturen wie zum Beispiel der Thüringer Heimatschutz, der wurde unterstützt natürlich. Aber der NSU direkt – also das glaube ich ehrlich gesagt nicht.

Hatting: Aus Ihrem Buch erfahren wir auch, dass sich die V-Leute untereinander absprechen, also sie klären untereinander, was sie dem Staatsschutz preisgeben und was sie für sich behalten, und dafür kassieren sie Geld, und damit wiederum unterstützen sie die Szene. Tanzen die V-Leute dem Verfassungsschutz auf der Nase herum?

Böttcher: Also dass die direkte Motivation der V-Leute ist, das Geld vom Staat abzuziehen, das glaube ich eher nicht. Das kann man pauschal auch nicht so sagen. Aber klar, Sie haben recht: Die erzählen natürlich nur das, was sie auch wollen, und legen mit ihrem V-Mann-Dasein ja nicht die rechte Ideologie ab. Man muss den Behörden beziehungsweise den V-Mann-Führern da auch den Vorwurf machen: Oft wird und wurde ja gar nicht in Richtung Strafvereitlung oder Aufklärung von Straftaten gefragt. Also die V-Männer kamen überhaupt nicht in die Bredouille, irgendwas Verräterisches zu sagen.

Hatting: Die Betreuer der V-Leute warnen sogar ihre Informanten vor Durchsuchungen. Der Grund ist: Sie wollen sie nicht als Quelle verlieren. Da hat man so ein bisschen den Eindruck, dass die V-Leute in der rechten Szene Narrenfreiheit genießen.

Böttcher: Narrenfreiheit nicht, also so weit würde ich nicht gehen, aber diese V-Leute, die treten natürlich durch das, was Sie eben angesprochen haben, viel selbstsicherer auf, wenn sie wissen, dass man es mit den Behörden so ein bisschen machen kann und die V-Mann-Führer zu lasch oder halt, wie gesagt, überhaupt gar nicht nachfragen. Dies stärkt das Selbstbewusstsein, logisch. Die größere Frage ist aber, die sich mir stellt: Wer hat zum Beispiel in Thüringen damals die V-Männer vor Hausdurchsuchungen gewarnt? Das steht noch im Raume, und das wird unbedingt zu klären sein. Wenn die Behörden nicht selber damit rausrücken, dann halt über die Untersuchungsausschüsse.

Hatting: Eine Möglichkeit wäre: die sogenannten V-Mann-Führer, also die, die die V-Leute betreuen.

Böttcher: Ganz genau richtig. Die müssten dann vorgeladen werden und denen müsste dann klipp und klar gesagt werden: Jetzt mal raus mit der Sprache!

Hatting: Es gibt noch eine andere Lesart, was die Funktion der V-Leute betrifft: Die rechtsextreme NPD spricht vom Staatsterrorismus. Sie sagt, der NSU wurde gezielt vom Staat bezahlt, um die Szene zu schwächen. Hat die NPD am Ende recht?

Böttcher: Natürlich nicht. Also das ist natürlich absurd, absoluter Quatsch. Also diese These vom Staatsterrorismus, die hat sich die Partei schön zurechtgelegt, also indem sie das Übel auf den Staat abschiebt, kommt sie erst überhaupt nicht in Erklärungsnot. Ihre militante Ideologie, ihren Radikalismus und auch die 180 Toten, die es infolge rechter Gewalt seit der Wende gegeben hat, die müssen sie so natürlich nicht erklären. Sie entziehen sich dem öffentlichen Druck, sie entziehen sich dem Druck der Gesellschaft, indem sie alles auf den Staat abwälzen mit ihrer kruden These. Die blenden das halt einfach aus, was natürlich wie gesagt Quatsch ist.

Hatting: Durch den Untersuchungsausschuss zum NSU erfahren wir, wie viele und wie enge Verbindungen es zwischen Staat und Neonazis gibt. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum wurde der NSU nicht früher gestoppt?

Böttcher: Das wird den Grund haben oder hat den Grund, dass die V-Männer natürlich nur die Sachen sagen, die sie auch sagen wollen. Also deren Motivation ist in den meisten Fällen eher sehr fraglich. Denen geht es ja nicht um den Verrat an sich, sondern einfach ums schnöde Geld. Und man muss auch ganz ehrlich sagen – und da muss man die Behörden auch ein bisschen in Schutz nehmen –, wenn die Behörde nichts weiß von einer Organisation wie dem NSU, dann fällt es natürlich auch schwer, danach zu fragen.

Was aber auffällig ist: Nach der Abschaltung des V-Mannes Tino Brandt 2001, der bekanntlich mehr als 100.000 Euro kassiert hat, ist in den Akten, die wir einsehen konnten und in denen wir recherchiert haben, nicht mehr viel an eigenen Ermittlungserkenntnissen über die rechte Szene von den Behörden zusammengetragen worden. Sie haben sich also nach dieser Abschaltung ihres V-Mannes Tino Brandt nur noch auf ihre Kontaktmänner in der rechten Szene verlassen und ihre eigenen Ermittlungen nahezu eingestellt. Und so entstand natürlich ein, in Anführungszeichen, harmloses Bild von Neonazistrukturen in Thüringen, ist ja auch logisch. Wenn Neonazis über Neonazis erzählen, da kann nicht wirklich etwas Sinnvolles, Greifbares dabei rumkommen.

Hatting: Das klingt ein bisschen so, dass trotz aller Kritik – V-Leute erzählen eben nur das, was sie erzählen wollen – sie dennoch nicht überflüssig sind, oder?

Böttcher: Doch, finde ich schon. Ich finde, wir finden, mein Kollege Maik Baumgärtner und ich, dass V-Männer sehr wohl überflüssig sind aus den Punkten, die ich Ihnen eben auch genannt habe. Das führt natürlich zu der Frage: Was kann man besser machen, was kann man stattdessen machen? Und dazu haben wir auch einen Vorschlag, nämlich: Anstatt dieses Geld in V-Männer zu pumpen, sollten lieber die örtlichen Strukturen gefördert werden, also die Leute, die sich jetzt schon aktiv mit der Prävention durch Aufklärungsarbeit auseinandersetzen und diese betreiben.

Das sind Leute wie zum Beispiel das Apabiz in Berlin ist da ganz weit vorn zu nennen, die tragen so viele Informationen, Fotos, Gerüchte über Rechtsextreme zusammen, die haben einen viel größeren Informationspool, als ihn V-Männer überhaupt liefern können. Ebenso gibt es viele sehr gute Fachjournalisten, die sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigen und Informationen ohne Ende liefern könnten. Leider wurde denen halt vor dem Auffliegen der Terrorzelle nicht zugehört. Und diese Leute, die sollten eher subventioniert werden anstatt V-Leute aus der Szene.

Hatting: Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Marcus Böttcher war das. Vielen Dank für das Gespräch!

Böttcher: Vielen Dank Ihnen, bis dahin!

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