"Wenn man singt, sieht man sofort den Menschen"

Von Bettina Ritter |
Zusammen wie eine Stimme, aber jeder für sich unverwechselbar - das ist das Credo der Vokalakademie Berlin, einem Ensemble von professionellen Sängerinnen und Sängern unter der Leitung von Frank Markowitsch.
"Es gibt nichts Schöneres als den Klang der menschlichen Stimme, oder nichts Berührenderes. Man ist so nackt, wenn man singt. Man kann sich nicht verstecken, wie bei einem Instrument, da hat man noch was dazwischen. Wenn man singt, sieht man sofort den Menschen, und das ist toll."

Ein sonnendurchfluteter Probenraum im Berliner Radialsystem, direkt an der Spree. In der Mitte steht Dirigent Frank Markowitsch, seine Arme beschreiben große Kreise. Vor ihm im Halbkreis sitzen zehn Frauen und zehn Männer: Die Vokalakademie Berlin. Die Sängerinnen und Sänger proben Scarlattis Marienvesper.

Gegründet wurde die Vokalakademie 2007 im Rahmen der Innsbrucker Festwochen für Alte Musik. Initiator war damals der belgische Dirigent René Jacobs, mit dem Frank Markowitsch immer wieder eng zusammen arbeitet. Das Ziel der Akademie: Die Lücke in der musikalischen Ausbildung zwischen Solo- und Ensemblegesang zu schließen.

"Die Sänger werden in der Regel eigentlich als Solisten ausgebildet und auch darauf trainiert. Die Stimme wird möglichst individuell gestaltet, möglichst groß gemacht und so weiter. Und die Qualitäten, die man als Ensemble-Sänger braucht, auch vor allem natürlich ein sehr feines Gefühl für Gehör, Intonation, Rücksichtnahme auf den anderen und so weiter, die werden oft ein bisschen vernachlässigt. Und dem wollte man entgegen wirken und hat deshalb ein Akademie-Projekt ins Leben gerufen."

Martin Netter: "Es macht natürlich Spaß, dann auch raus zu treten und für sich selber zu stehen, aber es ist immer ein Schritt, ein bewusster Schritt. So, jetzt bin ich alleine dran."

Lisa Weiß: "Das ist eigentlich ein tolles Gefühl. Eben diese Schritte vor und zurück. Wenn man einfach als Solistin auf der Bühne steht, dann ist es von Anfang an so. Obwohl ich finde, dass es beim Chor-Singen genauso wichtig ist mit Phrasierung und alledem. Man muss sich vorstellen, dass man auch allein singt. Man ist nicht nur in der Gruppe."

Lisa Weiß aus Innsbruck und der Berliner Martin Netter sind seit Anfang an dabei. Der 35-Jährige arbeitet innerhalb der Vokalakademie als Lehrer. Das Prinzip bei der Gründung war, dass jede Stimmgruppe einzeln von einem Profi unterrichtet wird. Inzwischen sei das Ensemble eine homogene Gruppe mit einer ganz besonderen Eigenständigkeit, meint der Tenor.

"Das Schöne an dem Chor ist, dass man sich nicht nur dem Dirigat oder dem Gesamtklang unterordnet, sondern man organisiert das auch unter sich, also der Kontakt unter den Sängern ist sehr wichtig. Wie in einem kleinen Ensemble, das sich unter den Sängern regelt. Durch Aufmerksamkeit, durch Zuhören."

Zusammen wie eine Stimme, aber jeder für sich unverwechselbar, dieses Prinzip verwirklicht die Vokalakademie. Seit der Gründung vor drei Jahren hat sich der Chor fünfmal zusammen gefunden, um in Projektarbeit gemeinsam zu singen. Der Höhepunkt? Bachs Magnificat vor zwei Jahren unter der Leitung von René Jacobs in Innsbruck.

Netter: "Der Chor war sehr gut aufeinander eingespielt, wir haben einfach Spaß gehabt auch bei den virtuosesten Koloraturen, und René Jacobs hat uns dann auch herausgefordert und hat das alles schön schnell und mit viel Verve genommen. Das war eine Herausforderung, und das hat alle ziemlich begeistert."

Anfragen für weitere Projekte gibt es bereits. Außerdem ist geplant, dass die Vokalakademie auch im nächsten Jahr wieder beim Chorfestival in Berlin dabei ist. Frank Markowitsch und seine Sängerinnen und Sänger sind auf jeden Fall hoch motiviert.

"Wir wollen auf allen Ebenen Lust verbreiten. Das Singen, das sehen wir auch als gesellschaftlichen Auftrag an, Singen ist etwas, das dem Menschen gut tut, was schön ist, es ist etwas unglaublich Belebendes sozusagen."

Zum Thema:
Frank Markowitsch, der die Vokalakademie Berlin leitet, ist zugleich Mitorganisator des Festivals Chor@Berlin" target="_blank" href="http://www.deutscher-chorverband.de/index.php?page=chor-berlin" class="click-tracking-paragraph" data-tracking="{"name":"Link in Beitrag","chapter1":"http://www.deutscher-chorverband.de/index.php?page=chor-berlin","chapter2":"Chor@Berlin","chapter3":"\"Wenn man singt, sieht man sofort den Menschen\"","level2":1}">Chor@Berlin, das noch bis zum 16. Januar im Berliner Radialsystem stattfindet.

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.