Wenn Künstler die Welt retten wollen

Von Anne Phillips-Krug |
Holzwindräder am U-Bahnhof, Abwärme aus Klimaanlagen, Salate in Hydrokulturen: Das Festival "Über Lebenskunst" im Berliner Haus der Kulturen der Welt ist ein künstlerisches Experimentierfeld für nachhaltige Alltagspraxis.
Auf dem U-Bahnhof Neukölln drehen sich zehn an Säulen angebrachte Holzwindräder im Luftzug der ein- und ausfahrenden Züge. Per Kabel sind sie mit dem Schaffnerhäuschen verbunden, aus dessen Lautsprechern in variierender Lautstärke verschiedene Audiobeiträge klingen: eine poetisch-politische Soundcollage unterschiedlichster Stimmen zu alternativen Energien und Gesellschaftsformen.

Künstlerin Myriel Milicevic:

"Wenn man am Bahnsteig steht, spürt man den Wind, den der Zug vor sich hertreibt und der treibt auch die Windmühlen an. Die generieren dann wiederum den Strom, der zu dem Häuschen geleitet wird und da das Audio verstärkt."

Das in Zusammenarbeit mit der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst entstandene Projekt "Underground Currents" ist eine von 14 Initiativen im Berliner Stadtraum, zu denen der Aktionstag des "Über Lebenskunst"-Festivals führte. Dabei sammeln die Künstler Myriel Milicevic und Hanspeter Kadel mit selbst konstruierten Kollektoren die Energie, die als Abfallprodukt urbaner Prozesse übrig bleibt. Lichtemissionen von Leuchtreklamen und Schaufenstern, von Fluglärm erzeugte Schwingungen oder die Abwärme von Klimaanlagen, die wieder in nutzbare Energie zurück gewandelt werden können.

Beim Festival "Über Lebenskunst" sollte es nicht um neue theoretische Erkenntnisse gehen, sondern darum, auf spielerische und sinnliche Weise andere, nachhaltigere Lebensformen erfahrbar zu machen. Kurator Janek Müller:

"Nachhaltigkeit ist ja nicht nur eine ökologische Fragestellung, sondern es ist auch eine Frage des gemeinsamen Kommunizierens, der Arbeitsprozesse. Künstler sind da in gewisser Weise Vorbilder, weil sie immer das Neue suchen, ausprobieren und auch in eine ästhetische Form gießen wollen, also ein Bild suchen oder einen Prozess deutlich machen. Wir sehen den Klimawandel als abstrakte Katastrophe vor uns stehen und wir haben keine rechten Bilder, an die wir uns halten können, die uns motivieren, nicht unbedingt dagegen anzukämpfen, aber eine Lebenskunst oder Aktivitäten zu entwickeln in dieser Zeit, in der wir gerade sind."

Solche Bilder zeigten deutsche und internationale Künstler und Aktivisten während des "Über Lebenskunst"-Festivals und verwandelten das Haus der Kulturen der Welt in ein Experimentierfeld für angewandte nachhaltige Alltagspraxis.

In den Wasserbecken vor dem Haus wuchs Salat in Hydrokultur, angepflanzt von der Künstlergruppe myvillages.org, die die Besucher während der vier Festivaltage aus der eigens angelegten Vorratskammer mit Lebensmitteln aus der Region versorgte. Auf der Dachterrasse verwandelte die Filteranlage des Künstlerkollektivs Das Numen H2O Spreewasser in Trinkwasser.

Dass der aufwendige Klärprozess eigentlich dem Prinzip der Nachhaltigkeit widerspreche, sei sogar Absicht, so Markus Hoffmann von Das Numen:

"Man muss viel Energie reinstecken, um Wasser rauszukriegen, wo sich die Frage stellt, erstens, woher kommt die Energie und die Energie ist ja dann auch wieder gleichzusetzen mit einem monetären Wert, wo sich dann vielleicht die Frage anschließen könnte, ist Wasser eigentlich eine Ware oder ist das ein Grundrecht?"

Der an eine Satellitenschüssel erinnernde Sonnenspiegel Helioflex des Künstlers Christoph Keller ist mit einem Sensor ausgestattet, der auf Sonnenlicht reagiert und sich entsprechend des Himmelstandes ausrichtet. Beim "Über Lebenskunst"-Festival beleuchtete er das dunkle Café im Haus der Kulturen der Welt:

"Ich habe versucht, einen Spiegel zu entwickeln, der den sozialen Gradienten des Lichts umgeht und Licht dorthin spiegelt, wo vorher Schatten war. Und das mit so einfachen Konstruktionen, die so einfach und preisgünstig zu produzieren sind, dass die Leute, die in diesen dunklen Wohnungen wohnen, sich das auch leisten können. Der Spiegel reflektiert das Sonnenlicht in die dunklen Bereiche, aber er reflektiert natürlich auch über die Verteilung des Lichts."