Wenn Konsonanten wie Fäuste auf den Boxball knallen

Von Astrid Mayerle |
Der Lautpoet und Autor Michael Lentz erhielt 2001 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Man trifft ihn inzwischen in allen literarischen Gattungen: Lyrik, Erzählung, Roman, Hörbuch. Wortgewaltige Auftritte, um nicht zu sagen sportliche Selbstüberbietungen sind das Markenzeichen seiner Lesungen.
Für Michael Lentz sind Schreiben und Lesen geradezu sportliche Disziplinen: Adrenalinstöße und Temposteigerungen bis zum Exzess spielen eine wichtige Rolle und haben ihm schon manchen Literaturpreis eingebracht.

Michael Lentz : " nein eniennein, es ist es ist, nein etwas anderes, anders nein, eine das verstehe aber wirklich, das verstehe aber ewirklich, nein neinein,... das isit das neinenieneninein das vesteht aber wirklich, ganz klar, ganz klar.... und jetznochmal … "

In seinen Lesungen kommt der Laut – und Rappoet durch, der 1998 seinen ersten öffentlichen Zungenschläge vollführte. "Physische Poesie" nannte Lentz die Performances, bei denen er sich auch körperlich verausgabte. Regelmäßiges Training erfordern seine Texte, und gäbe es eine Kampagne, unter dem Motto "Literatur hält schlank", wäre Michael Lentz ihr Botschafter schlechthin.

Trainieren heißt Lautlesen. Ganz langsam anfangen, meint der wettkampferfahrene Literat und dann vorsichtig das Tempo steigern. So bleiben die Konsonanten hart und knallen wie Fäuste auf den Boxball. Letzteren traktiert Lentz, wenn er eben nicht gerade Sprache und Wörter zerlegt.

Michael Lentz : " ... ein quasi annagrammatisches abc-darium mit vielen unbekannten: aristoteles teletot, toter barlach lach auch celan andandte ante ... olle tolle olle, fallada falt faht da ... grabbe, rabe bar aber, heine nie eine ehe hin ihn ah ne ... ein immermann im reim mir nimmermann..."

Auf halber Strecke zwischen Köln und Aachen liegt Düren, wo der heute 41-Jährige aufwuchs. Die 90.000- Einwohner-Stadt kommt nicht besonders gut weg in seinen Erzählungen, insbesondere in seinem Buch "Muttersterben", erschienen 2002.

"Bitte alle Düren schließen", heißt der Satz, der nahe am Kalauer entlangschrammt und sich bei Lesern und Kritikern als beliebtestes Lentz-Zitat eingeprägt hat. Fünfzehn Jahre lebte der Autor in München, wo er studierte und über Lautpoesie promovierte, heute pendelt er zwischen zwei Städten und zwei Wohnungen hin und her – Berlin und Leipzig.


Michael Lentz : " Eine Stadt wie Berlin lässt einem ja die Chance, die Stadt nicht mögen zu müssen und nicht großflächig wahrnehmen zu müssen, was einem mit München schwieriger fällt. Wenn man aber eine Stadt verlassen hat, stellt man nachher nicht unbedingt nur fest, was man verloren hat. Der Blick, wenn man die Stadt wieder besucht, siehe München, der ist ehrlicher, weil er aus dem Kontrast heraus erfolgt. Leipzig ist für mich die Stadt, in den neuen Bundesländern, die sich am besten gemacht hat."

Die wichtigsten Gegenstände zu Hause? In Leipzig die Schreibtischlampe, meint Lentz, in Berlin eine Einladungskarte des Dadaisten Raoul Hausmann, aus dem Jahr 1959 mit einem handgeschriebenen Gedicht.

Wenn Michael Lentz vom Deutschen Literaturinstut Leipzig nach Hause kommt, wo er angehende Autoren unterrichtet, und – wenn es sein muss – zu Hause die Wohnung aufräumt, hört er Björk, Eminem, Gustav Mahler oder Skunk Anansies "Post Orgasmic Chill":

Musik ist wichtig, denn Sprache ist bei Lentz etwas Rhythmisches und Musikalisches, nicht nur in seinen Gedichten, auch in der Prosa, etwa seinem Roman "Liebeserkärung":

Michael Lentz : " Zuneigung ist das Wort. Das lange gesuchte. Das verlorene. Zuneigung ist eine verkürzte Zueignung. Ich neige dir zu, könnte auch ein Schiefstand sein. Es könnte auf eine verbesserungswürdige Körperhaltung schließen lassen. Ich empfinde unter dem Wort Zuneigung etwas Umfassendes. Ganz zugeneigt. Unberührbar und triebhaft zugleich. "

"Liebeserklärung", sein letztes Buch, erzählt die Geschichte einer Trennung. Sie wird von ihrem Ende her aufgerollt, auf einer Zugfahrt. Parallel zu den vorbeiziehenden Landstrichen und Stationen lässt der Ich-Erzähler die Bilder Deutschlands nicht nur Revue passieren, sondern zeichnet auch ein kritisches Bild seiner Lebensverhältnisse. Privat zieht Michael Lentz, was den Status quo der Republik betrifft, gerne mal einen sportlichen Vergleich:

" Ich glaube, dass etwas nicht stattgefunden hat, was ja im deutschen Fußball längst passiert ist, in den letzten fünf oder sechs Jahren: dass die Selbstwahrnehmung noch nicht auf dem realistischen Standpunkt ist. Wenn man einfach mal feststellen würde, es wird keinen Aufschwung mehr geben, der Nichtaufschwung ist Status quo, dann könnte man sich auch endlich wieder anderen Dingen widmen: der allgemeinen Lebensgestaltung oder dem Blick über Deutschlands Tellerrand hinaus. "

Ironische Metaphern liegen Michael Lentz und seine bildreichen Wortschöpfungen möchte man gerne im Duden wiederfinden: etwa "männergesinnungsfreundschaft", "poesieparasiten", "hooliganwachträume", "sparsprache" und "multiexistenz". Am besten mit einer Definition vom Autor selbst, fangen wir mal mit "multiexistenz" an:

" Farbenfroh, lebenszugewandt, unterschiedliche Tätigkeiten ausübend, nicht zu viel nachdenkend."