Wenn jiddische Musik fasziniert

18.09.2009
Einen ihrer letzten Auftritte hatte "Gofenberg&Co" beim internationalen Klezmer-Festival im litauischen Vilnius. Zu hören waren dort von den 30 Sänger des Berliner Chores vor allem jiddische Volkslieder.
Eine Musikschule in der Berliner Auguststrasse, versteckt in einem Hinterhof. Ungestört von den zahlreichen Touristen, die hier zwischen Neuer Synagoge und ehemaliger Jüdischer Mädchenschule Spuren jüdischen Lebens suchen, treffen sich knapp 30 Männer und Frauen.

"So meine Lieben, wo ist...?
Vielleicht wartet sie auf Tina.
Jaja, und die muss noch abschließen
Kommt denn Tina überhaupt?
Wir können nicht warten."

Chorleiter Jossif Gofenberg drängt. Heute ist die letzte Probe vor der Generalprobe – "Gofenberg&Chor" wurden zu einem Festival im litauischen Vilnius eingeladen. Sie singen auch dort ausschließlich jiddische Lieder.

Noch ist viel vorzubereiten. Jossif Gofenberg, von allen zärtlich Jossel genannt, ist der ruhende Pol unter den Sängern und Sängerinnen, von denen keiner Profi ist. Er selbst, im ukrainischen Czernowitz geboren, spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Akkordeon. Der ausgebildete klassische Chordirigent arbeitet als Jazzmusiker und leitet auch eine Klezmer-Band, ein Vollblutmusiker. Und Jiddisch hat er noch im Elternhaus gelernt.

Jossif Gofenberg: ""Bis sechs Jahre zuhause hab ich nur jiddisch und deutsch gesprochen. Czernowitz gehörte bis 1918 zu Österreich, östereichisch-ungarische Monarchie. Und da haben meine Großeltern von Vaters Seite nur deutsch gesprochen zuhause und meine Mutter und Großeltern von Mutter Seite haben nur jiddisch gesprochen."

Seit 1990 lebt Gofenberg in Berlin. An der Jüdischen Volkshochschule gab er zuerst Kurse über jiddische Volkslieder. Etliche seiner Studenten kamen regelmäßig wieder. Daraus entwickelte sich vor einigen Jahren "Gofenberg&Chor". Von Anfang an mit dabei: Sopran Monika Peschke, eine ehemalige Richterin.

Monika Peschke: "Da sind wir zuerst auch in Jugendheime, in Altenheime in Krankenhäuser gegangen und haben dort gesungen, und dann wurden wir aber auch eingeladen. Jetzt sind wir nach Vilnius eingeladen, also es spricht sich herum, dass wir diese Lieder ganz hübsch singen, da gibt es nicht sehr viel andere, die das machen, es ist ja auch eine nicht mehr sehr oft gesprochene Sprache, leider, und da halten wir ein bisschen das Fähnlein aufrecht."

Die Motive der einzelnen Chormitglieder, ausgerechnet jiddische Lieder zu singen, sind so unterschiedlich wie ihr Alter. Heiko Steffen ist Anfang 70. Er singt Tenor. Der ehemalige Professor, lange Jahre Deutschlands oberster Verbraucherschützer, kam in den Chor, weil er dort jemanden kannte.

Heiko Steffen: "Und auf der anderen Seite habe ich den Chor auch gesucht, weil die jiddische Sprache mich immer fasziniert hat und auch die Musik, die ich aus unterschiedlichen Zusammenhängen her kennengelernt hatte - schon in den 60ern Jahren. Abi und Esther Ofarim oder auch Joan Baez. Und dadurch war von vornherein ’ne gewisse Vorliebe da für diese Musik."

Die jiddische Sprache und vor allem die Inhalte der Lieder zogen auch Nadia Grintzewitsch an. Sie ist Mitte 20, das Nesthäkchen in der Gruppe.

Nadia Grintzewitsch: "Ich studiere Judaistik an der FU Berlin und da habe ich nen Jiddischkurs gemacht, und weil ich halt der Meinung bin, dass man Sprachen besser lernt, wenn man sie singt, bin ich auf diesen Chor gestoßen. Für mich haben diese Lieder sehr viel mit Liebe zu tun."

Maria Ulrich singt Sopran und Mezzo-Sopran. Sie arbeiet im Kulturbereich und ist Geschäftsführerin von "Gofenberg&Chor". Wie alle, die sich hier treffen, betont sie die soziale Komponente, die das gemeinsame Singen mitbringt.

Maria Ulrich: "Ja ich sag’s mal, ist ’nen großes Wort, da soll man gar nicht so inflationär mit umgehen, aber es ist auch so eine Art von Liebe, die unter uns da ist, auch im praktischen Wortsinne. Wenn einer nicht so kann, dann ruft man an, und sagt, wo bleibst du, wollen wir zusammen üben? Es ist ein Freundeskreis geworden. Und das beflügelt."

Jossif Gofenberg: "Ich wollte immer, dass wir nicht nur singen zusammen. Es ist selbstverständlich sehr schön, aber ich wollte aus dieser Gruppe eine Familie gründen noch, wo jeder ruft andern an, und danachen, nach einer Probe gehen sie noch Cafe trinken zusammen."

Letzte organisatorische Anweisungen für den großen Auftritt beim Musikfestival in Vilnius.

Dort, im ehemaligen "Jerusalem des Ostens", haben "Gofenberg&Chor" aus Berlin an die untergegangene Welt des jüdischen Schtedls erinnert. Die begeisterten Zuhörer tanzten und haben gemeinsam mit dem Chor das Leben gefeiert.


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