Wenn im Umkleideraum die Kamera läuft

Moderation: Christopher Ricke |
Die Datenschutzbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol, fordert ein Datenschutzgesetz für Arbeitnehmer. Die Bespitzelungen von Mitarbeitern bei Discountern seien für sie nicht überraschend, sagte Sokol. Es seien ihr schon einige solcher Fälle auf den Tisch gekommen. In Berlin findet derzeit eine Konferenz der Datenschützer statt.
Christopher Ricke: Glaubt man der Online-Ausgabe des Magazins "Stern", so waren die Mitarbeiterbespitzelungen bei Lidl kein Einzelfall. Dann hat es so etwas offenbar auch bei anderen Lebensmittelketten gegeben. In vielen Filialen sollen private Angelegenheiten der Mitarbeiter penibel protokolliert worden sein. Immer die ähnliche Masche. Die Spitzel treten auf als Ladendetektive, spähen aber die Mitarbeiter aus. In Berlin tagen heute die Datenschutzbeauftragten. Ich spreche jetzt mit Bettina Sokol. Sie ist die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens. Guten Morgen, Frau Sokol!

Bettina Sokol: Guten Tag, Herr Ricke!

Ricke: Überrascht es Sie denn, dass es möglicherweise vielfach zu solchen Bespitzelungen gekommen ist?

Sokol: Obwohl wir keine konkreten Informationen bislang darüber besitzen, überrascht es mich ehrlich gesagt leider nicht. Denn wir können natürlich nicht überall flächendeckend anlasslos kontrollieren. Aber es sind uns schon einige Fälle auch durchaus auf den Tisch gekommen, in denen es um Mitarbeiterkontrolle gegangen ist.

Ricke: Wird man denn so kurzfristig Zeit finden auf der Konferenz der Datenschutzbeauftragten, darüber zu diskutieren?

Sokol: Die Konferenz wird sich offiziell damit nicht befassen können. Denn nicht alle Landesbeauftragten sind zugleich Aufsichtsbehörde im privatwirtschaftlichen Bereich. Wir in Nordrhein-Westfalen sind das, aber beispielsweise in Bayern oder in Baden-Württemberg ist das nicht der Fall. Da ist die Aufsichtsbehörde anderswo angesiedelt.

Ricke: Aber vielleicht findet man ja am Rande der Konferenz Zeit, darüber zu sprechen. Dann spricht man vielleicht auch über die Initiative des Verbraucherschutzministers Horst Seehofer, der will ein eigenes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Wäre das sinnvoll?

Sokol: Das fordern wir als Konferenz schon seit mindestens zehn bis zwölf Jahren, wenn nicht gar noch länger. Das wäre sehr sinnvoll. Wir haben bisher die richterliche Rechtsprechung im Arbeitsrecht zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber eine Kodifizierung, also ein wirkliches Gesetz, in sich schlüssig, in dem die Datenschutzrechte der Kolleginnen und Kollegen geschützt werden, das wäre schon sehr sinnvoll.

Ricke: Braucht es das wirklich? Würde es nicht reichen, die geltenden Regeln einzuhalten?

Sokol: Das wäre natürlich schon einmal der erste Schritt. Aber es ist schon auch sinnvoll, das alles im einem Gesetzeswerk zusammenzufassen.

Ricke: Es hat sich ja die Wahrnehmung des Datenschutzes verändert in den letzten Jahren. Viele Menschen geben heute ihre Daten zum Beispiel im Internet ganz ungeschützt preis, wundern sich dann später, wenn sie Spam-Mails bekommen, wenn sie Warenangebote bekommen. Sind wir an einem Punkt gekommen, wo wir grundsätzlich in der Gesellschaft noch einmal über den Umgang mit unseren Daten diskutieren müssen?

Sokol: Das ist sicherlich sinnvoll und notwendig. Denn gerade die junge Generation ist häufig viel zu sorglos und unbedacht mit ihren Daten, insbesondere im Netz. Denken Sie an diese ganzen sozialen Netzwerke, diese Portale, wo sich über Hobbys unterhalten wird, wo Daten über das Freizeitverhalten, aber auch über viele persönliche Wünsche und Neigungen eingestellt werden. Und denken Sie an die Arbeitgeber zum Beispiel dann auch, die in ein paar Jahren dann das Profil dieser Jugendlichen sich anschauen und natürlich im Bewerbungsverfahren zunehmend häufiger die Menschen googlen, wie es Neudeutsch heißt, und dann bestimmte Informationen bekommen, die den Jugendlichen vielleicht gar nicht mehr so recht sind und wo sie nach Jahren gar nicht mehr unbedingt wollen, dass das über sie bekannt ist, weil sie ihre Einstellung geändert haben oder Ähnliches. Aber das Netz vergisst eben nicht.

Ricke: Es ist Eigenverantwortung gefragt?

Sokol: Es ist Eigenverantwortung gefragt. Es ist aber natürlich auch Aufklärung und insbesondere in den Schulen mehr Vermittlung von Datenschutzbewusstsein erforderlich.

Ricke: Jetzt gibt es aber Bereiche, die kann ich selbst nicht beeinflussen. Ich denke mal zum Beispiel an die Telefondatenspeicherung, an die geforderte europäische Fingerabdruckdatei, über Erhebungen von Einrichtungen wie Kreditreform. Wir sind doch eigentlich inzwischen der Datensammelleidenschaft mancher Gruppen ziemlich ausgeliefert?

Sokol: Im Rahmen der geltenden Gesetze oder eben auch unter Verstoß gegen diese geltenden Gesetze in der Tat. Und das Bundesverfassungsgericht ist ja, was den staatlichen Bereich angeht, auch immer häufiger genötigt, Gesetze aufzuheben oder zu korrigieren, sie einzuschränken, um eben den Grundrechten, in diesem Falle dem Datenschutzgrundrecht, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, zur Wirklichkeit zu verhelfen.

Ricke: Das haben wir ja gerade im Augenblick erlebt, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, eine Einschränkung, absehbar bei der Vorratsdatenspeicherung. Brauchen wir wirklich Gerichte, die die Politiker bremsen?

Sokol: Es scheint im Moment so zu sein. Ich finde das außerordentlich bedauerlich. Denn das Verfassungsgericht lotet natürlich die äußersten Grenzen aus. Aber die Politik sollte entscheiden, ob sie wirklich bis an diese Grenzen gehen will oder ob sie nicht ein wenig davor schon haltmacht. Im Moment ist aber die Tendenz eher die, immer mehr Gesetze in immer größerem Umfang, anlasslos und flächendeckend die gesamte Bevölkerung zu erfassen. Sie haben das Stichwort Vorratsdatenspeicherung genannt. Dazu kommt aber auch zum Beispiel die Videoüberwachung, die wir allerorten haben. Es kommt aber auch der Abgleich der Kraftfahrzeugkennzeichen mit allen möglichen Registern dazu. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht Grenzen einziehen müssen und sagen müssen, halt, bis hierher und nicht weiter, keine flächendeckende, anlasslose Überwachung zu einem völlig unbestimmten Zweck. Solche Hürden muss das Gericht errichten, und es ist bedauerlich, dass wir zunehmend stärker auf das Gericht angewiesen sind. Und ich appelliere an die Politik, sich vorher bereits zu überlegen, ob man wirklich an das gehen will, was verfassungsrechtlich das äußerst Machbare ist oder ob man nicht vorher schon die Grundrechte ein wenig mehr mit Respekt behandelt.

Ricke: Bettina Sokol, sie ist die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens. Vielen Dank, Frau Sokol!

Sokol: Ich danke!