"Wenn ich nicht geschrieben hätte, wäre ich wohl verrückt geworden“
Obwohl sie ihn als Kind nicht mochte, ist die Titelgeschichte ihres Erzählungsbandes "Einfache Rezepte" der Zubereitung von Reis gewidmet. Den Tod ihrer Mutter konnte die 33-jährige Autorin Madeleine Thien nach eigener Auskunft nur schreibend verarbeiten. Sie wurde im letzten Jahr mit ihrem Romandebüt "Jene Sehnsucht nach Gewissheit" gefeiert.
"Ich bin nicht gut darin, das Aussehen von Menschen zu beschreiben. Stattdessen versuche ich, ihre Empfindungen einzufangen, ihre Sicht auf die Welt, ihr Wesen."
Madeleine Thien, eine zierliche, asiatisch aussehende Frau mit schulterlangen, glatten schwarzen Haaren, blickt lächelnd auf ihre Cappuccino-Tasse. Die 32 Jahre junge Schriftstellerin trägt einen hellbraunen Cordblazer und einen grünen Samtschal. Auch in ihrem Debüt-Roman "Jene Sehnsucht nach Gewissheit" konzentriert sich Madeleine Thien auf die Gefühle und Gedanken ihrer Figuren. Das Bedürfnis, diesen Roman zu schreiben, rief eine Geschichte ihres Vaters hervor:
"Mein Vater erzählte mir von seinem eigenen Vater, der während des Zweiten Weltkriegs getötet wurde. Mich beeindruckte nicht nur, was mein Vater erzählte, sondern vor allem, wie er es tat: sein Gesichtsausdruck, das Ringen um Worte."
Madeleine Thiens Großvater wurde 1945 von den Japanern erschossen, vor den Augen ihres Vaters. Eine Geschichte, die sich so auch im Roman wiederfindet. Auch sonst hat das Buch autobiographische Züge: Die Hauptfigur, Gail, ist wie sie in Vancouver aufgewachsen und hat chinesisch-malaysische Vorfahren.
1974 verließ Madeleines Familie Malaysia und siedelte nach Kanada über. Die Mutter war gerade mit Madeleine schwanger. So wurde Vancouver Thiens Heimat und Englisch ihre Muttersprache. Die wichtigste Vertrauensperson der damals vierjährigen Madeleine war ihre Großmutter:
"Sie hat mich immer mit in ihr Bett genommen, und wir sind gemeinsam eingeschlafen. Irgendwie hatte ich damals Probleme mit dem Abendessen. Und meine Eltern verbaten mir aufzustehen, bevor nicht das letzte Reiskorn von meinem Teller verschwunden war. Als Kind hasste ich Reis. Und wenn dann meine Eltern schon aufgestanden und abgelenkt waren, machte meine Großmutter heimlich meinen Teller leer, damit ich aufstehen konnte. Jeden Abend befreite sie mich geradezu vom Esstisch."
Pizza und Pommes - das liebte Madeleine Thien als Kind. Heute kann sie sich ein Leben ohne Reis gar nicht mehr vorstellen. Es ist kein Zufall, dass in ihrem literarischen Debüt, einem Erzählungsband, die Titelgeschichte der Zubereitung von Reisgerichten gewidmet ist. Vielleicht auch, weil ihr Vater in Vancouver in einem Restaurant gearbeitet hat. Und das, obwohl er in Malaysia Ingenieur war. Madeleine Thien erlebte Malaysia erst mit 26 Jahren:
"Das war ein seltsames Gefühl. Ich kam mir zugleich zuhause und fremd vor. Die Gesichter, der Klang der Sprache, das Essen waren mir sehr vertraut. Auch die Hitze und den Staub kannte ich aus den Erzählungen meines Vaters. Aber zugleich kam ich mir fremd vor, weil die Sprache, das Hakka, das Malaiische Chinesisch, nicht meine Muttersprache ist. In jeder Sprache macht man andere Erfahrungen, hat andere Erwartungen und kommt sich vor wie in einem anderen Land."
Vollkommen fremd fühlte sich Madeleine Thien in den Niederlanden. Der Umzug von der multikulturellen Großstadt Vancouver in ein 2000-Seelen-Dorf in Friesland war für sie ein Kulturschock. Drei Jahre lang lebte sie dort gemeinsam mit ihrem niederländischen Freund und späteren Ehemann. Er schrieb an seiner Doktorarbeit, sie an ihrem Roman. Damals war gerade ihre Mutter völlig überraschend gestorben.
"Ich habe versucht, mit dem Tod meiner Mutter klarzukommen, indem ich mich aufs Schreiben konzentrierte. So ließ ich meine Emotionen, wenn auch verändert, in meinen Roman einfließen. Mittlerweile frage ich mich, wie andere Menschen überhaupt mit dem Tod einer geliebten Person klarkommen können, ohne zu schreiben. Wenn ich nicht geschrieben hätte, wäre ich wohl verrückt geworden."
Das Schreiben lernte die 1974 geborene Thien im Creative-Writing-Kurs an einer Universität in Vancouver. Zwar wollte sie eine Zeitlang Hörfunkjournalistin werden wie die Hauptfigur ihres Romans. Aber das kreative Schreiben lag ihr dann doch mehr. Und das schon in der Schule. In der ersten Klasse erhielt sie einmal die Hausaufgabe, irgendeine Geschichte in der Länge eines Absatzes zu verfassen. Madeleine Thien streicht sich schmunzelnd eine Haarsträhne hinter das Ohr:
"Am nächsten Tag kam ich mit zehn Seiten in die Schule. Und die Geschichte war noch nicht fertig. Ich war ein unglaublich schüchternes Kind. Wenn ich aber etwas schreiben durfte, verlor ich meine Hemmungen. Dann stand mir die Welt offen. Ich fühlte mich richtig frei."
Madeleine Thien, eine zierliche, asiatisch aussehende Frau mit schulterlangen, glatten schwarzen Haaren, blickt lächelnd auf ihre Cappuccino-Tasse. Die 32 Jahre junge Schriftstellerin trägt einen hellbraunen Cordblazer und einen grünen Samtschal. Auch in ihrem Debüt-Roman "Jene Sehnsucht nach Gewissheit" konzentriert sich Madeleine Thien auf die Gefühle und Gedanken ihrer Figuren. Das Bedürfnis, diesen Roman zu schreiben, rief eine Geschichte ihres Vaters hervor:
"Mein Vater erzählte mir von seinem eigenen Vater, der während des Zweiten Weltkriegs getötet wurde. Mich beeindruckte nicht nur, was mein Vater erzählte, sondern vor allem, wie er es tat: sein Gesichtsausdruck, das Ringen um Worte."
Madeleine Thiens Großvater wurde 1945 von den Japanern erschossen, vor den Augen ihres Vaters. Eine Geschichte, die sich so auch im Roman wiederfindet. Auch sonst hat das Buch autobiographische Züge: Die Hauptfigur, Gail, ist wie sie in Vancouver aufgewachsen und hat chinesisch-malaysische Vorfahren.
1974 verließ Madeleines Familie Malaysia und siedelte nach Kanada über. Die Mutter war gerade mit Madeleine schwanger. So wurde Vancouver Thiens Heimat und Englisch ihre Muttersprache. Die wichtigste Vertrauensperson der damals vierjährigen Madeleine war ihre Großmutter:
"Sie hat mich immer mit in ihr Bett genommen, und wir sind gemeinsam eingeschlafen. Irgendwie hatte ich damals Probleme mit dem Abendessen. Und meine Eltern verbaten mir aufzustehen, bevor nicht das letzte Reiskorn von meinem Teller verschwunden war. Als Kind hasste ich Reis. Und wenn dann meine Eltern schon aufgestanden und abgelenkt waren, machte meine Großmutter heimlich meinen Teller leer, damit ich aufstehen konnte. Jeden Abend befreite sie mich geradezu vom Esstisch."
Pizza und Pommes - das liebte Madeleine Thien als Kind. Heute kann sie sich ein Leben ohne Reis gar nicht mehr vorstellen. Es ist kein Zufall, dass in ihrem literarischen Debüt, einem Erzählungsband, die Titelgeschichte der Zubereitung von Reisgerichten gewidmet ist. Vielleicht auch, weil ihr Vater in Vancouver in einem Restaurant gearbeitet hat. Und das, obwohl er in Malaysia Ingenieur war. Madeleine Thien erlebte Malaysia erst mit 26 Jahren:
"Das war ein seltsames Gefühl. Ich kam mir zugleich zuhause und fremd vor. Die Gesichter, der Klang der Sprache, das Essen waren mir sehr vertraut. Auch die Hitze und den Staub kannte ich aus den Erzählungen meines Vaters. Aber zugleich kam ich mir fremd vor, weil die Sprache, das Hakka, das Malaiische Chinesisch, nicht meine Muttersprache ist. In jeder Sprache macht man andere Erfahrungen, hat andere Erwartungen und kommt sich vor wie in einem anderen Land."
Vollkommen fremd fühlte sich Madeleine Thien in den Niederlanden. Der Umzug von der multikulturellen Großstadt Vancouver in ein 2000-Seelen-Dorf in Friesland war für sie ein Kulturschock. Drei Jahre lang lebte sie dort gemeinsam mit ihrem niederländischen Freund und späteren Ehemann. Er schrieb an seiner Doktorarbeit, sie an ihrem Roman. Damals war gerade ihre Mutter völlig überraschend gestorben.
"Ich habe versucht, mit dem Tod meiner Mutter klarzukommen, indem ich mich aufs Schreiben konzentrierte. So ließ ich meine Emotionen, wenn auch verändert, in meinen Roman einfließen. Mittlerweile frage ich mich, wie andere Menschen überhaupt mit dem Tod einer geliebten Person klarkommen können, ohne zu schreiben. Wenn ich nicht geschrieben hätte, wäre ich wohl verrückt geworden."
Das Schreiben lernte die 1974 geborene Thien im Creative-Writing-Kurs an einer Universität in Vancouver. Zwar wollte sie eine Zeitlang Hörfunkjournalistin werden wie die Hauptfigur ihres Romans. Aber das kreative Schreiben lag ihr dann doch mehr. Und das schon in der Schule. In der ersten Klasse erhielt sie einmal die Hausaufgabe, irgendeine Geschichte in der Länge eines Absatzes zu verfassen. Madeleine Thien streicht sich schmunzelnd eine Haarsträhne hinter das Ohr:
"Am nächsten Tag kam ich mit zehn Seiten in die Schule. Und die Geschichte war noch nicht fertig. Ich war ein unglaublich schüchternes Kind. Wenn ich aber etwas schreiben durfte, verlor ich meine Hemmungen. Dann stand mir die Welt offen. Ich fühlte mich richtig frei."