"Wenn i wär wia i sein sott"

30.10.2009
Martin Heidegger als Mensch und Schwabe: Das Hörbuch "Von der Sache des Denkens" versammelt Tondokumente des Philosophen aus den 50er- und 60er-Jahren. Sympathischer wird der Meister von Meßkirch dabei nicht.
"Liebe Mitbürger, liebe Freunde, liebe Gäste..."

Meßkirch im Jahre 1959. Martin Heidegger bekommt in seiner schwäbischen Heimatstadt die Ehrenbürgerschaft verliehen.

"...es bleibt mir nur der Dank, und es nicht möglich, dem rein zu entsprechen, was mir heute an Ehre zu Teil geworden ist."

Der Mann ist gerührt. Fast bleibt ihm bei den einleitenden Sätzen die Stimme weg, doch als draußen vor dem Rathaus ein Lastwagen vorüberfährt, klingt er gleich weniger feierlich – und streut zur Freude seiner Zuhörer ein paar Worte im Dialekt seiner Heimat ein.

"Es ist viel Lobendes gesagt worden, und der Maßstab, nach dem gemessen wurde hat, sein eigenes Recht [Lastwagengeräusch],aber derjenige, den es angeht, hat noch einen anderen Maßstab, den ich mit einem schwäbischen Spruch kurz formulieren kann: Wenn i wär wia i sein sott." [Lacher]

Der genuschelte Stoßseufzer hat durchaus seine Abgründe: Wenn er "so wäre", wie er "sein sollte", nämlich einfach nur ein weltberühmter Philosoph von mittlerweile 70ahren, dann wäre das Lob für den Bub aus Meßkirch wohl noch herzlicher ausgefallen.

"An solchen Tagen sieht man den Abstand und die Ferne und das Unzureichen dessen, was einer auf einem solchen Weg gewagt hat."

Anders gesagt: Seine Liaison mit dem Nationalsozialismus hatte Martin Heideggers Ruf nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst schwer beschädigt. In den 50er- und 60er-Jahren trat er trotzdem wieder öffentlich in Erscheinung. Vorträge, Reden und Gespräche aus dieser Zeit sind jetzt als Hörbuch erschienen, unter dem Titel "Die Sache des Denkens". Fünf CDs, über sechs Stunden Laufzeit: eigentlich ein Traumprodukt für den geisteswissenschaftlichen Devotionalienhandel.

"Was heißt denken?"

...lautet die wie in Stein gemeißelte Überschrift über einem Radiovortrag des Philosophen. 25 Jahre nach dem Erscheinen seines nicht ganz einfach zu lesenden Hauptwerkes "Sein und Zeit" gibt Martin Heidegger sich jetzt betont schlicht. Er hangelt sich vom "Willen" zur "Vernunft", von der "Vernunft zum "Vermögen", und vom "Vermögen" über das "Mögen" zur "Zuneigung":

"Die Zuneigung ist Zuspruch. Der Zuspruch spricht uns auf unser Wesen an, ruft uns ins Wesen hervor."

Das ist der Sound des späten Heideggers, eine Mischung aus phantasievoller Etymologie und philosophischer Altersweisheit:

"Halten heißt eigentlich hüten."

Warum muss man das hören? Das Angebot an philosophischen Audio-Büchern ist zu recht überschaubar. Ein bisschen Platon, ein bisschen Hegel, Luhmann natürlich. Komplizierte Gedanken erschließen sich eben doch leichter auf dem Papier, mit einem Bleistift in der Hand. Und auch wenn man Heideggers Ideen verstehen will, schlägt man besser ein richtiges Buch auf. Das Paket mit den leicht angerauschten Tondokumenten ist eher von biografischem Wert:

"Das Vorgehen, die Sprache von der stimmlichen Verlautbarung her vorzustellen, drängt sich unmittelbar auf..."

Martin Heidegger rückt einen in diesen historischen Aufnahmen näher. Sympathisch wird er einem dabei allerdings nicht. So sind Eitelkeit und Triumph in seiner Stimme kaum zu überhören, wenn er am Ende seines schulmeisterlichen Vortrags über das "Denken" wieder am Ausgangspunkt seiner Überlegungen ankommt – und das letzte Wort über das geistige Schicksal der Menschheit spricht:

"Wir denken noch nicht eigentlich."

Auch das ist der "Jargon der Eigentlichkeit", den Adorno ein paar Jahre später in seiner scharfen Polemik gegen Heidegger analysieren wird: Nicht der Inhalt ist das Entscheidende, sondern der Tonfall des Gesagten. Das Hörbuch zeigt die menschliche Seite dieses Phänomens – und taugt genau deshalb nicht zur Heiligenverehrung: In jedem Satz klingt die unausgesprochene Gewissheit eines selbstverliebten Intellektuellen mit, trotz eines klaren Bekenntnisses zum Nationalsozialismus als Meisterdenker von Meßkirch in die Geschichte einzugehen.

"Ja, diese letzte Kritik ist ein großes Missverständnis...","

erklärt der hörbar gealterte Martin Heidegger, als er 1969, nur wenige Jahre vor seinem Tod, in einem Fernsehinterview nach der gesellschaftlichen Relevanz seiner Philosophie befragt wird. Seine Antworten fallen jetzt fast schnippisch aus, kurzatmig zitiert er aus eigenen Schriften. Heidegger hat sich selbst nichts mehr hinzuzufügen:

""Damit dürfte die Frage erledigt sein."

Besprochen von Kolja Mensing

Martin Heidegger: Von der Sache des Denkens. Vorträge, Reden und Gespräche aus den Jahren 1952-1969
Hörverlag
5 CDs, ca. 356 Minuten, 34,95 Euro