Wenn Facebook schwermütig macht

Von René Weiland · 02.08.2011
Kaum ein anderes Medium scheint markanter sowohl für die Veränderung unserer sozialen Beziehungen als unseres Selbstbegriffs einzustehen als "Facebook". Die wuchernden Listen von Freunden, Freundesfreunden und Freundesfreundesfreunden geben bei näherem Hinsehen jedoch weniger Auskunft über unsere Beziehungen oder unsere Beziehungsfähigkeit als von unserem Bedürfnis nach Rückspiegelung und Selbstaufwertung durch die, mit denen wir uns befreundet wähnen.
Seit jeher ist das Ich auf Bestätigungen durch ein Du angewiesen. Was, wenn das Ich seine Bestätigungen, statt sie von jemandem geschenkt zu bekommen, selber herausfordert? Wir reden dann von Geltungssucht, von einer narzisstischen Störung. Was auf diesem Bedürfnis aufbaut, kann sich schwerlich ein soziales Netzwerk nennen. Eher schon ist es ein pan-narzisstisches Spiegelkabinett, in dem wir uns mehr oder minder sorglos alle einander etwas vormachen. Die Frage ist allerdings, inwieweit wir dies aufs reale Leben hochrechnen können, wo sich ja nicht nur die Dinge im Raum stoßen, sondern durchaus Egos zerbrechen.

Es bedarf keiner sonderlichen Urteilskraft, schon gar nicht aufwendiger soziologischer Untersuchungen, um sich vor Augen zu führen, dass virtuelle Beziehungen keine realen ersetzen können und die Fertigkeit, sich aller Welt mitzuteilen, sich mit allem und jedem zu verbandeln, nicht Einsamkeit ausschließt, sondern eine solche anzeigt. Dass das Leben insgesamt zum geisternden Chatroom werde, da ist das Leben selber vor. Wir gehen nie vollständig in unseren Absichten und Gewohnheiten auf, schon gar nicht in unseren Produkten. Solange wir leben, bleibt unser Inneres vom Außen geschieden, möge es uns auch noch so sehr bedrängen und locken. Nichts und niemand kann uns unsere Verantwortung für unser Leben nehmen, uns von unserer Freiheit erlösen, mithin von dem Gefühl der Verlassenheit, von der diese nicht zu trennen ist. Dies hat nicht zuletzt der Fall der jungen Simone Back aus Brighton gezeigt, die via Facebook ihre Absicht, Selbstmord zu begehen, ankündigte und von niemandem ihrer unzähligen "Freunde" zurückgehalten wurde.

Kein Mensch, erst recht nicht Facebook, hindert uns daran, die Kontakte, die wir virtuell eingehen, real fortzuführen oder, bei Tageslicht betrachtet, schnellstens zu beenden. Nichts hindert uns daran als unsere eigene Schwermut. Wir werden schwermütig, sobald wir unser Inneres einem Außen überantworten – einem anderen Menschen, einer Institution oder eben einem Medium. Wenn der IT-Philosoph Luciano Floridi feststellt, unser "epistemologisches Ich" - also: was wir zu sein uns einbilden - würde dank der interaktiven Netzwerke wie Facebook auf unser "ontologisches Ich" – also: auf unser wahres Selbst - zurückwirken, dann stellt dieser so triviale wie kurzschlüssige Gedanke, einschließlich seiner begrifflichen Aufgeblähtheit, eine blitzblanke Theorie selbstverschuldeter Schwermut dar.

Die Wahrheit eines sozialen Netzwerks liegt nicht in ihm selbst, sondern in seinem Gebrauch. Das heißt: in unserem Gebrauch von uns selber. Vom bloßen Narzissmus zur Affirmation unseres Selbst ist es noch ein langer Weg - in letzter Konsequenz ein politischer. Dasselbe Bedürfnis, das sich in Ägypten 2008, anlässlich der Afrika-Meisterschaft, als Stolz auf die eigene Fußballnationalmannschaft artikulierte und binnen kürzester Zeit über 40.000 Mitglieder zu einer Facebook-Gruppe zusammenfinden ließ; dieselbe Freude an sich selber brachte die Ägypter drei Jahre später dazu, sich, unter anderem mittels Facebook, von einem korrupten wie freudlosen Regime zu befreien.

René Weiland, geboren 1957 in Berlin. Publizist. Langjähriger Mitarbeiter der RIAS-Funkuniversität. Letzte Buchveröffentlichungen: "Das Äußerste, was ein Mensch sein kann. Betrachtung und Gespräch über Thomas von Aquin" , sowie (zusammen mit Matthias Eckoldt): "Wozu Tugend? Über den Gebrauch eines missbrauchten Begriffs".