"Wenn es hart auf hart kommt, sie mögen dich nicht"

Von Stefanie Oswalt · 23.03.2013
Als vor 75 Jahren Adolf Hitler seine österreichische Heimat "heim ins Reich" holte, wie er das sagte, jubelten in der Alpenrepublik viele. Doch die Österreicher haben sich bis heute nur sehr zaghaft mit ihrer Schuld in den sieben Jahren im Großdeutschen Reich auseinandergesetzt. Auch der damalige und bis heute existierende Antisemitismus wurde lange Zeit kaum thematisiert.
Ari Rath: "Was ich hier in Österreich nach dem Anschluss erlebt habe und, noch schlimmer, dass es so lange gedauert hat mit den Österreichern – im großen Unterschied zu Deutschland, dass sie erst über 40 Jahre nach dem Krieg 1986 in der Folge der so genannten Waldheim-Affäre ernsthaft angefangen haben, sich mit ihrer Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen - das stört mich auch heute."

Ari Rath, Journalist und langjähriger Herausgeber der "Jerusalem Post", Jahrgang 1925, 1938 nach Palästina geflohen, hat seit zwei Jahren in Wien eine kleine Wohnung und pendelt zwischen dort und Israel.

Sandra Kreisler: "Ich glaube nicht, dass der De-Facto-Antisemitismus weniger ist in Deutschland, aber er ist deutlich stärker sanktioniert und wird als Unrecht empfunden, auch wenn er da ist, während er in Österreich auch nicht als Unrecht empfunden wird. In Deutschland bohrt man damit in eine noch nicht wirklich geheilte Wunde. In Österreich gibt’s diese Wunde nicht, daher fällt’s nicht auf."

Sandra Kreisler, Schauspielerin und Sängerin, Jahrgang 1961, hat an vielen Orten gelebt, unter anderem in den USA und Wien, derzeit lebt sie in Berlin.

Julius H. Schoeps: "Spezifisch ist aus meiner Sicht eine gewisse Brutalität im österreichischen Milieu. Eine Brutalität, die sich in ein freundliches Gewand steckt."

Julius H. Schoeps, Jahrgang 1942, Historiker und Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums für Europäisch-jüdische Studien in Potsdam, war 1993-1997 Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Wien.

Rath, Kreisler und Schoeps sind jüdisch. Obwohl sie unterschiedlichen Generationen angehören, haben alle drei ein ambivalentes Gefühl gegenüber der Alpenrepublik - ihrem Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Antisemitismus. Diese Haltung wird verständlich, wenn man die Studie des Wiener Kommunikationswissenschaftlers Maximilian Gottschlich hinzuzieht, die 2012 unter dem Titel "Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich?" erschienen ist.

Maximilian Gottschlich: "Die Anfälligkeit für die antisemitische Versuchung, mit der hat man sich nie auseinandergesetzt – weil weder die Politik noch die Medien wert gelegt haben darauf. Die Österreicher haben sich selbst als Opfer begriffen, deshalb haben sie kaum Empfinden gehabt für die wirklichen Opfer der Shoah."

Jahrzehnte der Verdrängung des kollektiven Judenhasses
Bis heute, so Gottschlich, leide die österreichische Gesellschaft an der "sozialen Krankheit" Antisemitismus. Eine Ursache dafür sieht Gottschlich im Christentum, in den tradierten antijudaistischen Klischees.

Nun wurde durch 2000 Jahre hindurch alles Böse der Welt auf die Juden projiziert, das ist die einzige gesellschaftliche Gruppe, die sozusagen zum Abschuss freigegeben wurde, wo staatliche Autoritäten und kirchliche Autoritäten die Möglichkeit eingeräumt haben: Man darf die Juden schuldfrei und ohne schlechtes Gewissen hassen. Und dieses Programm des kollektiven Hasses, das durch zwei Jahrtausende gelaufen ist, das kriegt man nicht so schnell weg.

Ari Rath erinnert sich bis heute mit Schrecken an die besondere Brutalität, mit der sich der Hass der Bevölkerung im März 1938 auf die etwa 200.000 österreichischen Juden entlud:

"Über Nacht waren wir vogelfrei. Man hatte keine Rechte mehr – nur weil man Jude ist."

Glockengeläut am Wiener Hrdlitschka-Denkmal

Maximilian Gottschlich: "Wir befinden uns hier bei dem berühmten Holocaust-Denkmal hier, das Gedenken an die Shoah von Hrdlitschka gegenüber der Albertina und was vor allem ins Auge fällt, ist vor allem dieser straßenwaschende Jude."

Seit 1988 Jahren erinnert in der Wiener Innenstadt ein Denkmal an die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Es steht am Helmut Zilk-Platz, benannt nach dem sozialistischen Bürgermeister Wiens. Nach Jahrzehnten der Verdrängung kämpfte er für ein öffentliches Gedenken an die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Diktatur. Ein gefährliches Engagement, wie auch Julius Schoeps wenige Jahre später als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums erlebte.

Julius H. Schoeps: "Ich erschien plötzlich auf Todeslisten von Rechtsradikalen, und in der damaligen Zeit wurde auch der Mann, mit dem ich faktisch zusammenarbeitete, der Bürgermeister Zilk, da wurde ein Bombenanschlag gegen ihn ausgeführt. Da schickte man ihm ein Paket ins Haus und das kostete ihn eine Hand. Das sind schon Formen von Antisemitismus, die im praktischen Leben Wirkung gezeigt haben."

Sandra Kreisler ist mit solch militantem Antisemitismus noch nicht konfrontiert worden. Sie beklagt eine generelle Ablehnung alles Fremden:

Sandra Kreisler: "Ich hab einmal mit einem indischen Lokalbesitzer gesprochen, und der war sehr lustig, weil der war ein klassischer Wiener Wirt, in seiner ganzen Art: Der war dick und hat starken Dialekt gesprochen und er war wirklich so, wie man sich einen Wiener Wirt vorstellt, aber er war halt Inder. Und der hat erzählt: I hob a so an Nachbarn, der is imma freindlich. Aba i was genau: Der mog mi ned. Und genauso geht’s uns Juden auch: Die sind alle immer freundlich und nett, aber man weiß: Wenn es hart auf hart kommt, sie mögen dich nicht."

Um Antisemitismus zu entlarven, muss man genau hinhören
Sandra Kreisler weiß, wovon sie spricht. Sie ist die Tochter des in Wien geborenen Komponisten und Sängers Georg Kreisler, der in den 50er-Jahren aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurückkehrte und sich bis zu seinem Tod 2011 an seiner ehemaligen Heimat rieb.

Sandra Kreisler: "Ich weiß, als ich in Österreich gelebt habe, hat mein Vater das immer wieder thematisiert: Den Antisemitismus und dass man dadurch nicht weiterkommt. Und dann bin ich von Österreich weg. Und seit ich von außen auf dieses Land gucke, sehe ich, wie recht er hatte mit allem, was er gesagt hat."

Eine künstlerische Karriere hält sie dort für unmöglich:

"Ich bin scharfzüngig, bös, nicht diplomatisch, also genau wie mein Vater, Jüdin und noch eine Frau: No chance!"

Um Antisemitismus zu entlarven, sagt Historiker Schoeps müsse man genau hinhören und hinsehen. Das gelte nicht nur für Österreich.

Julius H. Schoeps: "Das antisemitische Vorurteil ist ja nicht derart, dass ein Politiker heute schreit Die Juden sind unser Unglück – das kommt ja viel subtiler daher."

Zum Beispiel:

Ari Rath: "Das war im Januar letztes Jahr, da haben die Burschenschaften in der Hofburg ihren Ball abgehalten und niemand hat da aufgepasst, und gerade am 27. Januar, der wie bekannt jetzt der offizielle Gedenktag des Holocaust und der Ermordung von 6 Millionen in ganz Europa ist, denn am 27. Januar hat die russische Rote Armee Auschwitz befreit."

Maximilian Gottschlich: "Da weiß man schon, wenn man von den Opfern des Zweiten Weltkriegs spricht als Mitglied der freiheitlichen Partei in Österreich, dass man nicht die Juden meint, sondern dass man die gefallenen Soldaten, meint. Wenn der Herr Strache Israel besucht, und in Yad Vashem keine Kippa aufsetzt, sondern seinen Verbindungsdeckel von der schlagenden Burschenschaft aufsetzt, dann weiß man, was das zu bedeuten hat."

Bei den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen erzielte die FPÖ mit ihrem Bürgermeister-Kandidat Heinz-Christian Strache im Jahr 2010 knapp 26 Prozent der Stimmen, ein beachtlicher Wahlerfolg für einen von vielen als rechtspopulistisch angesehenen Politiker. Schoeps und Gottschlich verweisen auf einen weiteren Aspekt der Judenfeindschaft:

Julius H. Schoeps: "Das antisemitische Vorurteil richtet sich heute sehr stark gegen Israel in Form des Antizionismus."

Maximilian Gottschlich: "Der Mechanismus geht so: Je mehr es mir gelingt, die Nachfahren der Opfer zu diskreditieren, den jüdischen Staat zu delegitimieren, zu dämonisieren, desto mehr Möglichkeit habe ich, mich für die Gräuel der Vergangenheit zu rechtfertigen – die sind auch nicht besser, als die Nazis früher waren! Und in der Tat – in Deutschland wird es vielleicht nicht anders sein – die Daten zeigen, dass 42 Prozent – jeder zweite Österreicher – stimmt dem Satz zu: Die Israelis verhalten sich den Palästinensern gegenüber genauso schlecht wie die Nazis gegenüber den Juden."

In Deutschland wurde der Zusammenhang zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an der israelischen Politik im Kontext der Augstein-Debatte unlängst breit diskutiert. Gottschlich begrüßt solche Kontroversen:

""Es verweist auf den Umstand, dass die Dinge noch lange nicht ausgehandelt sind und eigentlich ist man als Österreicher ein bisschen beschämt, dass diese Diskussion in Österreich nie geführt wurde und auch nie möglich wäre."


Literatur:
Maximilian Gottschlich: Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich? Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit, Czernin Verlag, Wien 2012
Rezension von "Die große Abneigung" in der Sendung Andruck (Karla Engelhard)
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