Wenn die Steuerschätzung zu Steuererleichterungen verleitet

Peter Jacoby im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 02.11.2011
Die aktuelle Steuerschätzung wird dem Staat voraussichtlich Rekordeinnahmen vorhersagen. Die Bundesregierung plant deshalb Steuersenkungen. Der saarländische Ministerpräsident Peter Jacoby (CDU) rät jedoch zur Zurückhaltung. Denn "möglicherweise droht im nächsten Jahr ein konjunktureller Einbruch."
Jörg Degenhardt: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber es gibt Themen, zu denen scheint alles gesagt, trotzdem kommen sie immer wieder auf den Tisch: Steuersenkungen zum Beispiel. Wer könnte etwas dagegen haben? Andererseits: Wer glaubt wirklich daran in diesen Zeiten? Jetzt erhält die Debatte neuen Auftrieb, die aktuelle Steuerschätzung, die heute in Halle beginnt, ist schuld, sie wird dem Staat voraussichtlich bis 2016 Rekordeinnahmen vorhersagen. Die Bundesregierung ist sich deshalb sicher, dass die öffentlichen Haushalte eine Steuersenkung um sechs bis sieben Milliarden Euro verkraften können, ohne neue Schulden machen zu müssen. Ist das wirklich so und auf welchem Wege können die Bürger entlastet werden? Das will ich Peter Jacoby fragen, der CDU-Politiker ist Finanzminister im Saarland. Guten Morgen, Herr Jacoby!

Peter Jacoby: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Ist das jetzt wirklich die Zeit für Steuersenkungen?

Jacoby: Also ich denke, zunächst einmal müssen wir die Ergebnisse der Steuerschätzung abwarten. Dann muss das Ergebnis kritisch hinterfragt werden, denn das wäre die erste Steuerschätzung, die Bestand hätte für die Dauer von fünf Jahren. Und zeitgleich mit dieser Steuerschätzung muss man zur Kenntnis nehmen, dass es andere gutachterliche Äußerungen gibt, etwa das Herbstgutachten der Sachverständigen, die darauf hinweisen: Möglicherweise droht im nächsten Jahr ein konjunktureller Einbruch. Das wäre dann auch verbunden mit wiederum geringeren Steuereinnahmen. Also die ganze Prognose ist sozusagen mit Vorsicht zu bewerten, und deshalb bin ich auch äußerst zurückhaltend, was die Diskussion über weitere Steuermaßnahmen anbelangt.

Degenhardt: Das heißt, den vorausgesagten Rekordeinnahmen stehen auf der anderen Seite auch schwer zu überblickende Risiken gegenüber, zum Beispiel die Griechenlandkrise, über die wir heute Morgen ausführlich berichtet haben. Warum gibt es da jetzt wieder das laute Gerede über möglicherweise in Anführungszeichen Steuergeschenke? Braucht Ihre Partei, die CDU, braucht die Koalition in Berlin Pluspunkte beim Wähler?

Jacoby: Jede Partei, die sich im Wettbewerb befindet, sucht nach Pluspunkten für Wähler, das scheint mir nicht das Spezifische etwa der CDU zu sein. Es ist ja sinnvoll, darüber zu diskutieren: Wie beseitigen wir etwa die kalte Progression? Dass das ein Missstand ist, über den schon seit geraumer Zeit diskutiert wird, das ist die eine Seite.

Degenhardt: Da müssen wir vielleicht kurz erklären, die kalte Progression, damit ist der Effekt gemeint, wenn Arbeitnehmer in höhere Zonen rutschen der Besteuerung, obwohl ihre Löhne nur der Inflation angepasst wurden, das nur kurz zur Erklärung.

Jacoby: Exakt so, exakt so. Das ist ein berechtigtes Anliegen. Auf der anderen Seite muss man sehen: Selbst eine solche überschaubare Maßnahme ist mit Einbußen für Bund und Länder verbunden. Und wir haben im Moment die Schuldenbremse, wir sind im zweiten Jahr der Organisation der Schuldenbremse, es gibt zudem fünf Bundesländer, die in einer besonderen haushaltsbezogenen Zuspitzung sich befinden, denen man Konsolidierungshilfe unter der Voraussetzung, dass sie alles tun, um ihre Defizite zurückzufahren, auszahlt. In einer solchen Situation dann politisch gewollt weitere Einnahmeverluste zu programmieren – das ist ja ein Widerspruch, über den muss man sich dann auch unterhalten, wenn es um Steuersenkungen geht.

Degenhardt: Nun könnte man ja den Soli, den Solidaritätszuschlag, kürzen oder abschaffen, das ist eine Steuer, die verantwortet der Bund, da wären die Länder nicht betroffen. Sind Sie dafür?

Jacoby: Es ist richtig, wenn der Bundesfinanzminister darauf hinweist: Das ursprüngliche Ziel ist ja dasjenige, Geringverdienende, mittlere Einkommen von der kalten Progression zu verschonen. Der Soli stellt eine ganze Reihe von Steuerzahlerinnen und Steuerzahler von vorneherein frei, weil er erst einsetzt ab einer gewissen Bemessungsgrenze. Von daher bezweifle ich, dass die Senkung des Soli geeignet ist, das Ziel, auch sozialpolitisch zu wirken, zu erreichen. Von daher: Früher oder später ist der Bund und alle Bundesländer doch dann wieder im Boot. Im Übrigen ist zu befürchten, dass der Bund sich dann an anderer Stelle versucht, schadlos zu halten mit Hinweis darauf, er habe ja bei der Senkung des Soli sozusagen eine Vorleistung erbracht. Also ich rate zur äußersten Zurückhaltung angesichts der Risiken und der Unwägbarkeiten, mit denen wir es im Moment zu tun haben.

Degenhardt: Trotzdem muss ich an der Stelle noch mal nachfragen: Der Bund wäre bei Absenkung des Soli oder Streichung um zwölf Milliarden reicher, das ist ja nicht zu verachten. Also die konkrete Frage: Ist dieser Zuschlag noch zeitgemäß?

Jacoby: Das muss man der weiteren Prüfung überlassen, da will ich mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht festlegen. Mich macht besorgt, dass in einer Zeit, in der Bund und Länder sich vereinbart haben, das kommende Jahrzehnt gehört dem Defizitabbau, das kommende Jahrzehnt wird die Schuldenbremse exemplarisch organisiert und von Deutschland aus auch exportiert in andere Staaten Europas, dass zum selben Zeitpunkt in politisch gewollt Maßnahmen diskutiert und aufs Gleis gesetzt werden, die mit der Defizitabsenkung schwer in Übereinstimmung zu bringen sind. Das, glaube ich, das passt nicht zusammen.

Degenhardt: Ich höre da ein mehr oder weniger klares Nein zu Steuersenkungen heraus oder wie lautet, Herr Jacoby, Ihre Botschaft an das Koalitionstreffen am Wochenende, wenn dann CDU und FDP im Bundeskanzleramt zusammenkommen, um auch über diese Frage zu sprechen?

Jacoby: Erstens äußerste Zurückhaltung, zweitens Berücksichtigung der Haushaltslage der Länder, insbesondere der Länder, denen es besonders schwer fällt, die Schuldenbremse zu erfüllen, und wie gesagt der Verzicht auf Maßnahmen, die nicht in Rechnung stellen, mit welchen Risiken wir es in den vor uns liegenden Zeiten zu tun haben.

Degenhardt: Wenn die Steuerschätzung zur Steuersenkung verleitet – Peter Jacoby, CDU und Finanzminister im Saarland, ist da sehr vorsichtig. Vielen Dank, Herr Jacoby, für das Gespräch und Ihnen einen guten Tag.

Jacoby: Danke, Ihnen auch, vielen Dank!

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