Wenn die Freundin die Katze jagt

Von Stefan Keim |
Trashtheater wollen viele machen. Auf der Bühne einmal so cool sein wie die Helden der Filme von Tarantino und Rodriguez, scheint der Traum vieler Schauspieler zu sein. Doch meistens zitieren die Regisseure nur ein paar Bilder und Sprüche, haben aber keinen Schimmer von der Faszination des echten Trashkinos. Hinter den durchgeknallten Typen und Geschichten stecken immer echte Gefühle, Sehnsüchte, manchmal sogar Visionen. Nur wenn man diese Genrecharaktere in ihrem Wahnsinn ernst nimmt, entsteht guter Trash.
In Essen hat das geklappt. Kai Hensel ist mit pointierten, spannenden Stücken wie "Klamms Krieg" und "Welche Droge passt zu mir?" zu einem Helden der Kammer- und Jugendtheater geworden. Sein Haustier-Thriller "Das Meerschweinchen" könnte diesen Erfolg fortsetzen.

Hensel zeigt zunächst ein junges Paar, das konsequent aneinander vorbei lebt. Björn zeichnet Comics um einen niedlichen Frosch, Franziska betreut schwierige Jugendliche während ihrer Ausbildung, von denen eine ständig anruft. Da findet Björn vor dem Haus ein Meerschweinchen, das verdächtig viele Einstiche am Bauch aufweist.

Das Tier stammt aus einem Versuchslabor. Kurz darauf erscheint Juri, ein Russe, der das Meerschweinchen unbedingt zurückkaufen will. Inzwischen hat das flauschige Etwas Franziska in den Finger gebissen. Mit seltsamen Folgen. Plötzlich apportiert die junge Frau, jagt die Katze des Nachbarn und kauft kiloweise Fleisch im Supermarkt. Das Meerschweinchen wurde im Labor mit Genen eines deutschen Schäferhundes voll gepumpt. Und die Schauspielerin Katja Heinrich legt den Kopf schief, schnüffelt den Herren im Schritt und knurrt, grandios grotesk, zum Brüllen komisch.

Juri hat alles nur gut gemeint. Wie der Schurke Magneto aus den "X-Men"-Filmen hat er eine Leidensvergangenheit, die bei ihm bis in Stalins Zeiten zurück reicht. Dann kam ihm die Erleuchtung, er will die Menschheit gentechnisch verbessern. In diesem Moment beleuchtet ihn ein Scheinwerfer von hinten. Mit einfachen, aber effektvollen Mitteln und rasantem Tempo jagt die Regisseurin Cilli Drexel die Thrillerkomödie über die Bühne. Und Rezo Tschchikwischwili läuft als Juri zu großer Form auf, explodiert im augenrollenden Wahnsinn, ist im nächsten Moment verletzlich menschlich.

Friedemann Thiele spielt als Björn den Normalo, der in einer durchdrehenden Welt die Kontrolle zu behalten versucht. Und am Schluss eine überraschende Wendung vollzieht. In Kai Hensels "Meerschweinchen" steckt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit Tierversuchen und Gentechnik, nicht einmal unterschwellig. Aber das Stück ist ein wilder, witziger Theaterspaß, ideal für die Spielwut des Essener Ensembles, und ein Riesenvergnügen für alle, die auch das Trashkino lieben.

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Theater Essen