Wenn der Zivildienst wegfällt

Von Kersten Knipp |
Zahlreiche europäische Länder haben den Wehrdienst inzwischen abgeschafft – auch mit Konsequenzen für soziale Dienste.
Seitdem man kaum mehr weiß, wo der Feind als Nächstes zuschlägt, nützt es wenig, ihn mit konventionellen Mittel zu bekämpfen. Stattdessen sind Flugzeuge nötig, Radargeräte und Spezialtruppen, etwa mit Erfahrung im Häuserkampf. Für solche Situationen sind normale Wehrpflichtige kaum geeignet, denn die entsprechenden Techniken lernt man nicht so schnell.

Vor allem können Staaten mit ethischem Anspruch an sich selbst ihre jungen Bürger kaum zu Einsätzen zwingen, in denen weder ihre Überlebens-, noch ihre Siegeschancen sonderlich hoch sind. Zahlreiche europäische Länder haben den Wehrdienst darum inzwischen abgeschafft.

Frankreich hob ihn im Jahr 2001 auf – und mit ihm auch den Wehrdienst. Trotzdem nahm das Sozialsystem keinen großen Schaden. Denn der Zivildienst bis zu seiner Abschaffung dauerte 24 Monate – und damit genau doppelt so lange wie der Wehrdienst. Die allermeisten jungen Franzosen zogen darum den Dienst an der Waffe vor – sodass die Sozialeinrichtungen keinen nennenswerten Personalverlust hinnehmen mussten. Dennoch richtete das Land einen Freiwilligen-Dienst ein, der wahlweise 6 bis 24 Monate dauern kann. Bislang meldeten sich allerdings nur sehr wenige Freiwillige – was daran liegen mag, das der Staat für sie nur die Sozialversicherung übernimmt.

Auch in Spanien ist die Tradition des Zivildienstes wenig ausgebildet. Dort wurden Wehrpflicht und Zivildienst 2002 abgeschafft. Da die Verweigerung des Kriegsdienstes aber ohnehin viel schwieriger und aufwendiger war als in Deutschland und zudem auch eine viel geringere Akzeptanz fand, wurden die Sozialdienste mit dem Wegfall der Zivildienstleistenden vergleichsweise gut fertig.

Anders sah es in Italien aus: Dort hatte sich die Zahl der Zivildienstleistenden in den letzten 15 Jahren des vergangenen Jahrhundert versechsfacht: auf rund 44.000 im Jahr 2001. Als sich das Land vier Jahre später entschloss, Wehr- und Ersatzdienst abzuschaffen, wurde darum ein freiwilliger Dienst in Sozialeinrichtungen ins Leben gerufen – mit Erfolg: zwei Jahre später leisteten beinahe genauso viele Menschen den freiwilligen Dienst wie vorher den obligatorischen.

Allerdings werben nun Berufsarmee und Nationaler Zivildienst um die jungen Menschen. Und auch innerhalb der Sozialeinrichtungen herrscht Konkurrenz: Ob Krankenhäuser, Kultureinrichtungen, Umwelt- und Katastrophenschutz: Alle versuchen sie sich die Freiwilligen einander abzujagen. Erstaunlich ist das nicht, denn diese arbeiten konkurrenzlos gründlich: Knapp 450 Euro erhält ein Freiwilliger pro Monat – und zwar nicht von der Sozialreinrichtung, sondern vom Staat.

Noch einen anderen Weg ging Portugal: Als Wehr- und Ersatzdienst 2004 abgeschafft wurden, versuchte man die Zivildienstleistenden – sie dienten ohnehin nur vier Monate lang – durch Arbeitslose zu ersetzen. Auf sie hofft man auch in der tschechischen Republik. Dort hatten im Jahr 2004, als Wehr- und Zivildienst abgeschafft wurden, rund 8000 junge Männer ihren Sozialdienst geleistet, ein gutes Drittel aller Eingezogenen überhaupt. An ihre Stelle traten seitdem Menschen ohne Arbeit – der Wegfall des obligatorischen Dienstes wurde auf diese Weise gut abgefedert.

Zusammen mit Österreich, Finnland und Griechenland ist Deutschland eines der letzten europäischen Länder, das noch einen obligatorischen Wehr- und Zivildienst kennt. Zugleich ist die Tradition des Zivildienstes hier mit am stärksten ausgeprägt. Wie sich der Wegfall der Zivildienstleistenden kompensieren ließe, darüber lassen sich aus den anderen europäischen Ländern mangels Masse nur bedingt Schlüsse ziehen: An die 70.000 Zivildienstleistenden, die in Deutschland derzeit aktiv sind, kommt kein anderes Land heran. Wie ihr Wegfall gegebenenfalls zu kompensieren sein wird, darüber wird man hier ganz neu nachdenken müssen.