Wenn der Weltgeist regiert
Wer glaubt, wir würden von Stümpern regiert, irrt womöglich. Es ist weit schlimmer. Die EU-Krise macht erschreckend deutlich, dass wir uns in rasender Geschwindigkeit postdemokratischen Zuständen nähern.
Vielleicht sind wir da bereits angelangt. Denn es sieht so aus, als ob eine schwach legitimierte Mehrheit von Bundestagsabgeordneten sich anschickt, die Souveränität des Parlaments und damit auch die der Nation preiszugeben – in einer entscheidenden Frage, der des Budgetrechts.
Wird der EU-Rettungsschirm wie geplant installiert, so entscheiden über Milliardenbeträge nicht mehr die gewählten Volksvertreter, sondern Teile der Exekutive. Kurz: eine Elite, die schon in Gründungszeiten der EU ohne das Votum der Bürger darüber befunden hat, was denen frommt. Die sollen stillgehalten werden mit sozialen Leistungen und Wahlgeschenken. Das mag Massenloyalität sichern, doch wer weiß, wie lange noch. Wie steht es aber um die Volksvertreter? Wissen Abgeordnete, die dabei sind, ihrer Selbstentmachtung zuzustimmen, was sie tun?
Womöglich nicht. Man muss kein billiges Ressentiment gegen unsere "Volksvertreter" hätscheln, wenn man deren Überblick bezweifelt. Schon optisch wirkt jene Auslese, die uns heute regiert, zwergenhaft gegen frühere Haudegen, an die man sich nur noch erinnert, wenn man älter ist als 30. Das derzeitige Kabinett Merkel zeigt sich geradezu dominiert von 30-Jährigen, denen man nichts Böses unterstellt, wenn man ihren Erfahrungshorizont für schmal hält. Was hat denn ein Daniel Bahr, ein Philipp Rösler, was hat eine Kristina Schröder schon groß erlebt? Für seine Jugend kann niemand etwas, die vergeht von allein. Und an Finanzminister Schäuble könnte man durchaus einen Starrsinn diagnostizieren, der sich auf Erfahrung stützt. Aber angesichts der Dimensionen der aktuellen Krise wünscht man sich an der politischen Spitze Menschen, die sich auch mit anderen Dingen auskennen als mit jenem strategischen Machtkampfspiel, das sich Politik nennt.
Die heutige Politikergeneration ist im Wortsinn "abgehoben". Das ist ein Strukturproblem des deutschen Systems: Es begünstigt den Berufspolitiker. Schließlich gerät die Hälfte der Abgeordneten über die Liste ins Parlament, über deren Zusammensetzung die Partei bestimmt. Da ist es wichtiger, sich in der Partei auszukennen als im wirklichen Leben. Zumal viel zu viele von denen, die das wirtschaftliche Geschehen in Deutschland bestimmen, gar nicht erst wählen gehen. Die Nichtwähler stellten bei der letzten Bundestagswahl mit einem guten Drittel der Wahlberechtigten die stärkste Partei. Die Parteien aber orientieren sich an denen, von denen sie sich Stimmenmehrheiten erhoffen – und deshalb sind ihnen die Interessen der in ihrem Einkommen vom Staat Abhängigen näher als die all der anderen. Den sogenannten "Reichen" muss man deshalb nehmen. Und die Mittelschicht, tragende Säule der deutschen Wirtschaft und des Steueraufkommens, kommt erst gar nicht ins Visier. Steuerlich gesehen sind hier die wahrhaft Ausgebeuteten zu finden.
A propos Steuerbürger: Wer in gutem Glauben mehr als 40 Prozent seines Einkommens in die Verfügung des Staates gibt, darf erwarten, dass damit pfleglich umgegangen wird. Was aber, wenn dieser Staat, vertreten von seiner Regierung, schon längst nicht mehr frei in seinen Entscheidungen ist?
Auch deshalb wäre die Selbsteinschränkung des Bundestags, was die Verfügung über den Staatshaushalt betrifft, fatal. Doch haben sich die Abgeordneten nicht längst schon selbst entmündigt? Kaum eine Entscheidung, die nicht eine Mängelrüge vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Hier werden unbequeme Dinge ganz offensichtlich einer höheren, aber nicht unbedingt weiseren Instanz überlassen.
Oder gar einer selbsternannten Elite? Es gibt zu denken, dass die Bundeskanzlerin in einer Angelegenheit, bei der es fundamental wichtig ist, mit Sachverstand zu operieren, nämlich, was den vorzeitigen Ausstieg aus der Atomenergie und den Übergang zu anderen Energieträgern betrifft, eine "Ethikkommission" eingesetzt hat. Wodurch deren Mitglieder sich legitimiert haben? Keine Ahnung. Sie werden offenbar auf dem Markt der Meinungen als ethisch wertvolle Ressource gehandelt.
So sieht moralisch drapierte Selbstentmachtung aus. Doch wollen wir wirklich künftig vom Weltgeist statt von demokratisch legitimierten Repräsentanten regiert werden?
Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin, arbeitet als freie Publizistin und schreibt unter dem Pseudonym Anne Chaplet Kriminalromane. Nach Büchern wie "Der Betroffenheitskult" und "Handwerk des Krieges" heißt ihre jüngste Veröffentlichung "Angela Merkel. Ein Irrtum", erschienen 2011 im Knaus Verlag. Cora Stephan lebt in Frankfurt am Main.
Wird der EU-Rettungsschirm wie geplant installiert, so entscheiden über Milliardenbeträge nicht mehr die gewählten Volksvertreter, sondern Teile der Exekutive. Kurz: eine Elite, die schon in Gründungszeiten der EU ohne das Votum der Bürger darüber befunden hat, was denen frommt. Die sollen stillgehalten werden mit sozialen Leistungen und Wahlgeschenken. Das mag Massenloyalität sichern, doch wer weiß, wie lange noch. Wie steht es aber um die Volksvertreter? Wissen Abgeordnete, die dabei sind, ihrer Selbstentmachtung zuzustimmen, was sie tun?
Womöglich nicht. Man muss kein billiges Ressentiment gegen unsere "Volksvertreter" hätscheln, wenn man deren Überblick bezweifelt. Schon optisch wirkt jene Auslese, die uns heute regiert, zwergenhaft gegen frühere Haudegen, an die man sich nur noch erinnert, wenn man älter ist als 30. Das derzeitige Kabinett Merkel zeigt sich geradezu dominiert von 30-Jährigen, denen man nichts Böses unterstellt, wenn man ihren Erfahrungshorizont für schmal hält. Was hat denn ein Daniel Bahr, ein Philipp Rösler, was hat eine Kristina Schröder schon groß erlebt? Für seine Jugend kann niemand etwas, die vergeht von allein. Und an Finanzminister Schäuble könnte man durchaus einen Starrsinn diagnostizieren, der sich auf Erfahrung stützt. Aber angesichts der Dimensionen der aktuellen Krise wünscht man sich an der politischen Spitze Menschen, die sich auch mit anderen Dingen auskennen als mit jenem strategischen Machtkampfspiel, das sich Politik nennt.
Die heutige Politikergeneration ist im Wortsinn "abgehoben". Das ist ein Strukturproblem des deutschen Systems: Es begünstigt den Berufspolitiker. Schließlich gerät die Hälfte der Abgeordneten über die Liste ins Parlament, über deren Zusammensetzung die Partei bestimmt. Da ist es wichtiger, sich in der Partei auszukennen als im wirklichen Leben. Zumal viel zu viele von denen, die das wirtschaftliche Geschehen in Deutschland bestimmen, gar nicht erst wählen gehen. Die Nichtwähler stellten bei der letzten Bundestagswahl mit einem guten Drittel der Wahlberechtigten die stärkste Partei. Die Parteien aber orientieren sich an denen, von denen sie sich Stimmenmehrheiten erhoffen – und deshalb sind ihnen die Interessen der in ihrem Einkommen vom Staat Abhängigen näher als die all der anderen. Den sogenannten "Reichen" muss man deshalb nehmen. Und die Mittelschicht, tragende Säule der deutschen Wirtschaft und des Steueraufkommens, kommt erst gar nicht ins Visier. Steuerlich gesehen sind hier die wahrhaft Ausgebeuteten zu finden.
A propos Steuerbürger: Wer in gutem Glauben mehr als 40 Prozent seines Einkommens in die Verfügung des Staates gibt, darf erwarten, dass damit pfleglich umgegangen wird. Was aber, wenn dieser Staat, vertreten von seiner Regierung, schon längst nicht mehr frei in seinen Entscheidungen ist?
Auch deshalb wäre die Selbsteinschränkung des Bundestags, was die Verfügung über den Staatshaushalt betrifft, fatal. Doch haben sich die Abgeordneten nicht längst schon selbst entmündigt? Kaum eine Entscheidung, die nicht eine Mängelrüge vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Hier werden unbequeme Dinge ganz offensichtlich einer höheren, aber nicht unbedingt weiseren Instanz überlassen.
Oder gar einer selbsternannten Elite? Es gibt zu denken, dass die Bundeskanzlerin in einer Angelegenheit, bei der es fundamental wichtig ist, mit Sachverstand zu operieren, nämlich, was den vorzeitigen Ausstieg aus der Atomenergie und den Übergang zu anderen Energieträgern betrifft, eine "Ethikkommission" eingesetzt hat. Wodurch deren Mitglieder sich legitimiert haben? Keine Ahnung. Sie werden offenbar auf dem Markt der Meinungen als ethisch wertvolle Ressource gehandelt.
So sieht moralisch drapierte Selbstentmachtung aus. Doch wollen wir wirklich künftig vom Weltgeist statt von demokratisch legitimierten Repräsentanten regiert werden?
Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin, arbeitet als freie Publizistin und schreibt unter dem Pseudonym Anne Chaplet Kriminalromane. Nach Büchern wie "Der Betroffenheitskult" und "Handwerk des Krieges" heißt ihre jüngste Veröffentlichung "Angela Merkel. Ein Irrtum", erschienen 2011 im Knaus Verlag. Cora Stephan lebt in Frankfurt am Main.