Wenn der Motor stottert

Von Anke Petermann, Friederike Schulz und Ulrike Greim |
Der amerikanische Automobilkonzern General Motors will an den deutschen Standorten seiner Tochtergesellschaft Opel zwischen 4500 und 5400 Jobs streichen. Die Hauptlast tragen dabei die Standorte Rüsselsheim und Bochum. Aber auch in Eisenach bangt man um die Zukunft.
Überlebensgroß in Bronze gegossen steht der Firmengründer vorm alten Opel-Hauptportal mit den wuchtigen Backsteinpilastern und -bögen. Von drei Touristen zückt einer die Kamera, um ein Gruppenbild gemeinsam mit der Statue von Adam Opel zu machen, dem Rüsselsheimer Pionier der Nähmaschinen-, Fahrrad- und Automobilproduktion. 15.000 Menschen arbeiten am Opel-Stammsitz, knapp 60.000 Einwohner hat Rüsselsheim. Dass der US-Mutterkonzern General Motors im größten europäischen Werk laut unbestätigter Angaben des Betriebsrats 2500 Stellen abbauen will, verunsichert und empört die Opelaner und ihre Angehörigen. Die junge Mutter, die den Kinderwagen am Hauptportal vorbei schiebt, genauso wie den Mittfünfziger, der hungrig in die Mittagspause strebt. Thomas Becker ist seit über drei Jahrzehnten bei Opel und hat drei erwachsene Kinder.

Becker: "Die haben auch Ängste, die arbeiten auch hier, und mein Vater hat auch hier gearbeitet und mein Opa und mein Uropa auch. Also wir sind schon sehr lange Rüsselsheimer Opelaner, und wir haben alle mehr oder weniger die ganzen Jahre gut gelebt, aber jetzt haben wir alle Angst, das ist ja klar."

Junge Frau: "Mein Opa hat früher schon im Kraftwerk bei den Stanzen gestanden, jahrelang hat der sich die Knochen kaputt gearbeitet. Dafür, dass jetzt so was mit Opel passiert, finde ich das echt schade. Und die Leute, die jahrelang hart für Opel gearbeitet haben, die sitzen jetzt ohne Job da mit Familien und Kindern und wissen nicht mehr, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, ich finde, das ist einfach nur ne Frechheit."

So die düstere Zukunftsvision. Mehr als 1100 Jobs stehen laut Betriebsrat in der Verwaltung am Stammsitz auf dem Spiel, weit über 800 in der Produktion, mehr als 500 im Internationalen Technischen Entwicklungszentrum. Das ist die Denkfabrik, in der 6000 Menschen an Opel-Modellen und Technologien tüfteln. Der Mutterkonzern hat die Streichliste bislang nicht bestätigt. Thomas Becker zuckt die Schultern.

"Die Zahlen schweben so rum, aber wer das im Einzelnen ist, weiß man ja nicht. Die Vorgesetzten wissen auch nichts."

Der 54-Jährige im hellblauen Hemd und brauner Lederjacke wirkt nach außen hin ausgeglichen, ein ruhiger Typ. Aber die Nerven liegen blank, gibt er zu. Man kann nur abwarten, klagt der Alleinverdiener:

Becker: "Jetzt sind wir erst mal alle froh, dass wir Weihnachtsgeld gekriegt haben. Persönlich kann man nichts machen. Das ist ne unbefriedigende Geschichte. Und das geht ein ganzes Jahr so, oder mehr als ein Jahr so, rein raus, rein raus. Und man kann es selbst nicht ändern, wir haben ja nichts mehr in der Hand. Wir sind ja jetzt der Spielball von jedem, der da irgendwie meint, seinen Senf dazugeben zu können."

Fiersbach: "Gerade jetzt in der Weihnachtszeit mit den Kindern und alles ist man sehr frustriert. Von der Arbeitsmoral ist es sehr schlecht im Augenblick."

... ergänzt Helmut Fiersbach aus dem Entwicklungszentrum. "Finanziell habe ich noch Reserven", bilanziert der dreifache Familienvater. "In diesem Jahr kaufe ich Weihnachtsgeschenke wie gewohnt", erzählt der 51-Jährige, "nächstes Jahr werden die Karten dann neu gemischt." Der Kollege, der hinter Fiersbach aus dem Portal tritt, hat in den vergangenen Jahren kaum etwas beiseitelegen können. Bei ihm wird's eng, wenn - wie befürchtet - im kommenden Jahr das Weihnachtsgeld wegfällt:

"Man kann sagen, jeden Monat geht fast Null auf Null auf. Man hat ja n Häuschen gebaut, das kostet jeden Monat sein Geld. Man tut weniger ausgeben, ganz klar. Man weiß ja, man wird die nächsten Jahre weniger verdienen."

Becker: "Also, ich hab' da jetzt was gehört von 15 Prozent niedrigerem Tarif, das ist dann schon richtiges Geld. Oder Entlassung: Was da so rauskommt, wissen wir ja alle: Arbeitslosengeld, Hartz IV, das sind ja alles irgendwie ganz komische Perspektiven."

... die kursieren, seit der Mutterkonzern General Motors im vergangenen Februar ankündigte, 26.000 Stellen außerhalb der USA abbauen zu wollen. Kurz darauf zeigt sich GM bereit, Opel freizugeben: Die Bieterschlacht ist eröffnet. Fiat, der Finanzinvestor RHJ und der austro-kanadische Zulieferer Magna buhlen um Opel. Ende Mai scheint der Weg frei dafür, dass Magna Opel vor der Insolvenz rettet, mithilfe eines Milliarden schweren staatlichen Überbrückungskredits. Opelaner und Gewerkschafter fangen an zu träumen - davon nämlich, dass sie sich gegen finanzielle Zugeständnisse an ihrem Traditionsunternehmen beteiligen könnten. Thomas Becker, seit über dreißig Jahren Gewerkschafter in der IG Metall, strahlt noch heute, wenn er davon erzählt:

"Klar, logisch - Eigenständigkeit, ein bisschen mehr Mitbestimmung, auch die Modellpolitik, auch die Märkte erschließen, selbst, die da noch brachliegen für uns, aber das ist ja alles schon wieder obsolet - vorbei. Alle sind damit auf die Nase gefallen mit der Unternehmensbeteiligung. So ganz alte Opelaner haben gesagt, das wird's nie geben bei General Motors. Das werden die nie machen. Mein Vater zum Beispiel, der hat gesagt, so was gibt's nie, der Ami macht des net, der gibt da nix mehr her, nie, und so ist es ja auch gekommen."

Jetzt schimpfen die einen laut, die anderen schieben still ihre Frustration vor sich her, die einen halten dem Mutterkonzern die geballte Faust entgegen, die anderen fahren die Ellenbogen gegeneinander aus. In meinem Arbeitsumfeld allerdings noch nicht, sagt Thomas Becker:

"Aber ich weiß von anderen Leuten speziell in der Produktion, oder in der Produktionsvorbereitung, dass es da schon Leute gibt, die sagen, schick den lieber heim, der ist Doppelverdiener, wie's halt so ist - Hauen und Stechen wird dann werden, denke ich."

"Bis jetzt noch nicht, da sind wir immer noch solidarisch - wir kämpfen noch. Klar - so lange es geht, wird gekämpft."

Doch wie lange es das Kämpfen noch geht - dazu wagt der Mann aus dem Entwicklungszentrum keine Prognose.


Von einer Krise in die nächste – die Geschichte der Ruhrgebietsstadt Bochum

Von Friederike Schulz

Auch in Bochum bangen viele Opelaner derzeit um ihre Arbeitsplätze. Denn General Motors will das Werk zwar erhalten, droht jedoch auch hier mit Stellenabbau.

Die Entdeckung der Steinkohle ist es, die Bochum im 18. Jahrhundert zur Industriemetropole werden lässt. Das "Schwarze Gold" wird in den nahegelegenen Stahlwerken verfeuert, die mehr und mehr Arbeiter beschäftigen. In der Blütezeit, den 1920er-Jahren gibt es 81 Zechen im ganzen Stadtgebiet, sie sind der Hauptarbeitgeber, mehr als 100.000 Kumpel – ein Drittel der Stadtbevölkerung - schuften unter Tage. Im Nachkriegsdeutschland gelten die Produktionsmengen der deutschen Steinkohle als Synonym für das anlaufende Wirtschaftswunder. Innerhalb von nur fünf Jahren verdoppelt sich die Kohleproduktion bis 1950. 1956 erreicht sie mit rund 150 Millionen Tonnen ihren Höhepunkt.

Danach beginnt der Niedergang. Die Förderung des "Schwarzen Goldes", das im Ruhrgebiet tief unter der Erde liegt, wird zu teuer. 1958 schließt in Bochum die erste Zeche. Selbst staatliche Subventionen helfen auf Dauer nicht. Erdöl und Erdgas, später auch die Atomkraft, entwickeln sich rasch zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz. Die Folge: Die Kohle wird zum Ladenhüter. Millionen Tonnen liegen auf Halde. Trotz des Kohlepfennigs fühlen sich die Bergleute von der Politik im Stich gelassen. Reporter Walter Fischer im Jahr 1975:
"Und unter den Bergleuten an der Ruhr breitet sich wieder einmal Enttäuschung aus, dass erneut eine Bundesregierung zwar große Versprechungen für die Arbeitsplätze im Bergbau gemacht hat, bisher es jedoch an konkreter Energiepolitik hat fehlen lassen."

Herbert Grönemeyer, Auszug aus "Bochum":
"Tief im Westen
Wo die Sonne verstaubt
Ist es besser
Viel besser, als man glaubt
Tief im Westen"


Die Hymne auf die Stadt mit dem Pulsschlag aus Stahl dichtet Herbert Grönemeyer Mitte der 80er-Jahre. Doch der Text passt schon damals nicht mehr. Die letzte Zeche schließt Anfang der 70er-Jahre ihre Tore. 45.000 Kumpel und bald auch 15.000 Stahlarbeiter verlieren ihre Jobs. Aber da steht schon das Opel-Werk, 40.000 neue Stellen werden geschaffen. "Junge, geh zu Opel", sagen die einstigen Bergleute jetzt zu ihren Kindern. Bald schon heißt Bochum in Anlehnung an das wohl populärste Modell der Marke "Stadt der Kadetten". Aber im Laufe der Jahre werden immer mehr Arbeiten von Maschinen übernommen, 2004 stehen nur noch 10.000 Opelaner in Bochum am Band.

Gesang: "Steht denn das alte Opel-Werk noch? Opelwerk noch? Ja, es steht noch, es steht noch, es steht noch bestimmt!"
Im Oktober 2004 streiken die verzweifelten Schweißer, Monteure und Lagerarbeiter spontan eine ganze Woche lang. Auch damals ist es der Mutterkonzern General Motors in den USA, der mit der Schließung des Standorts droht. Der Streik ist erfolgreich, der Preis für die Erhaltung des Werks in Bochum allerdings hoch. Knapp die Hälfte der Kollegen muss gehen. Sie bekommen Abfindungen, werden in Beschäftigungsgesellschaften ausgegliedert. Eine Garantie für den Bestand des Werks will der stellvertretende Chef von GM für Europa, Karl-Peter Forster, dennoch nicht geben:

"Das Einzige, was wir garantieren können, ist: Wenn dieses Werk wettbewerbsfähig ist, wenn es sich im internationalen Vergleichsmaßstab mit Werken in Belgien, in England messen kann, dann hat dieses Werk eine Zukunft."

Eine Zukunft, die jetzt wieder infrage steht, auch wenn General Motors zugesichert hat, dass in Deutschland keine Werke geschlossen werden. An einem weiteren Arbeitsplatzabbau führt jedoch auch diesmal in Bochum wohl kein Weg vorbei. Dabei ist der letzte Schicksalsschlag für die Stadt im Revier gerade mal zwei Jahre her.

Musik Gunter Gabriel "Bochum": "Bochum, du darfst nicht untergehen!"

15.000 Demonstranten sind es, die sich im Januar 2008 auf dem Bochumer Markplatz versammelt haben, um gegen die Schließung des Nokia-Werks zu protestieren. Der finnische Handyhersteller hat beschlossen, sein Werk in der Stadt zu schließen und die Produktion nach Rumänien zu verlagern. IG-Metall-Chef Berthold Huber gibt sich kämpferisch, machte den 2300 Bochumer Nokianern Mut und sagt der Konzernführung den Kampf an:

"Wenn Sie noch einen Funken Anstand haben, dann nehmen Sie Ihre Entscheidung zurück! So geht das nicht!"
So geht es dann aber doch, trotz des wütenden Protests der Landesregierung, die ihre Subventionen in Millionenhöhe zurückfordert. Schließlich muss sie klein beigeben.

Tillmann Neinhaus seufzt. Als Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, der die Krisen der vergangenen Jahre miterlebt hat, können ihn auch die neuesten Schreckensnachrichten von General Motors nicht mehr schockieren:

"Bochum ist keinesfalls eine sterbende Stadt. Hier sind die Lichter nicht ausgegangen, sie werden auch nicht ausgehen. Inzwischen haben wir gelernt, und das ist, glaube ich, auch eine wichtige Erfahrung, mit Krisen umzugehen."

Was wie trotzige Eigenwerbung klingen mag, stimmt. Betrachtet man die Zahl der Arbeitsplätze, die seit Anfang der 70er-Jahre verloren gegangen sind, scheint es fast ein Wunder, dass die Arbeitslosenquote in Bochum auch nach dem Weggang von Nokia im vergangenen Jahr bei unter zehn Prozent lag. Denn so sehr das Image der Stadt noch mit der industriellen Vergangenheit verbunden ist: Nur noch ein Drittel der Arbeitsplätze in der Stadt ist im produzierenden Gewerbe zu finden – der Hauptteil, 65 Prozent, ist im Dienstleistungsbereich angesiedelt. Das ehemalige Nokia-Gelände ist verkauft – an einen Investor. 400 Arbeitsplätze sind dort bereits bei mehreren kleinen Firmen wieder entstanden, weitere 1000 sollen hinzukommen. Außerdem hat das kanadische Mobilfunkunternehmen RIM, der Hersteller des Internet-Handys "Blackberry", im vergangenen Jahr sein europäisches Forschungszentrum in Bochum angesiedelt. RIM übernahm von Nokia 100 Ingenieure, weitere 400 Stellen sind geplant.

Doch im Hochtechnologiebereich werden nun mal nicht auf einmal Tausende Stellen geschaffen wie in einer Autofabrik. Außerdem geht es neben den 5000 Arbeitsplätzen im Opel-Werk, auch noch um weitere 5000 in der Zulieferindustrie. Und längst nicht alle Mitarbeiter sind qualifiziert genug, um einfach in einer der hoch spezialisierten kleinen Firmen anzufangen. Deswegen möchte derzeit auch niemand eine Prognose wagen, ob sich Bochum von einem erneuten Schlag so gut erholen würde wie von den ganzen anderen Krisen, die die Stadt im Ruhrgebiet in den vergangenen 50 Jahren mitgemacht hat.


Stadt am Tropf – Opelstadt Eisenach

Von Ulrike Greim

Wenn Advent die Zeit der Erwartung ist, dann ist in Eisenach seit vielen Monaten Advent. Denn hier wartet eine ganze Stadt, eine ganze Region auf Sicherheit für eines seiner Werke. Es ist nicht unbedingt groß - 1700 Beschäftigte. Aber es ist ein Symbol. Der Kreis mit dem Blitz drin steht für eine der ersten prominenten Investitionen der deutschen Einheit, und es ist die Lebensader dieser Stadt: Opel.

Adventsmarkt in Eisenach. Vor der beschaulichen Kulisse zwischen Schloss, Rathaus und der Georgenkirche, in der Bach getauft wurde und Luther gepredigt hat, gibt es Glühwein und Rostbratwurst. Es ist ein normaler Advent. Verhalten zwar, aber überschwänglich geht es in dem 43.000-Einwohner-Städtchen am Fuße der Wartburg ohnehin nicht oft zu. Eine leichte Grunddepression liegt über der Szenerie. Und solange niemand sicher weiß, wie das mit dem Opel-Werk in der Oststadt weitergeht, bleibt das flaue Gefühl, es könnte auch ganz schrecklich kommen. Aber noch halten sich die Eisenacher in der Schwebe zwischen Bangen und Hoffen. Im Moment: mehr Hoffen. Denn GM-Europa-Chefs Nick Reilly hat gerade erst zugesagt, dass der Standort Eisenach erhalten bleibt

"Gerechtnet haben wir nicht damit", "

Man kann auf dem Markt jeden ansprechen auf die aktuellen Entwicklungen bei Opel.

" "aber ganz schlimm gehofft, dass es so bleibt. Für die Region und für das, was im Umfeld ist. Das ist für uns wichtig."

Händler, Passanten - alle verfolgen intensiv, wie die Stadt, der Freistaat Thüringen, die Bundesregierung, die anderen Opel-Standorte, GM in Detroit und der amerikanische Präsidenten Politik machen. Denn Opel ist der Name für den Nerv der Stadt.

"Ich glaube 1800 Arbeitsplätze sind für unsere Region nun doch schon ziemlich viel und ziemlich wichtig. Und nun hängen ja nicht nur direkt die Arbeitsplätze im Werk, sondern rundherum ab. Zulieferer, die Geschäfte hier alle, Gaststätten, alles Mögliche also. Es ist ja nicht nur das Werk."
Das Werk - das sind die großen weißen Fabrikhallen in der Weststadt. Und die vielen Betriebe, die sich in direkter Umgebung angesiedelt haben. Die Automobilindustrie inklusive der Zulieferer ist die erste Wirtschaftsmacht in der beschaulichen Wartburgstadt, der stärkste Industriezweig. Auf 1000 Einwohner kommen 136 Industriearbeitsplätze. Viele hochqualifizierte. Die kaufen hier ein, bauen hier Häuser, haben Familien. Würde Opel weg brechen, die Stadt würde vergreisen und langsam eingehen. Wenn der Oberbürgermeister, Matthias Doht, vom Rathaus auf den Markt schaut, möchte er sich das Bild nicht vorstellen. Schon jetzt ist das Publikum auf dem Markt eher älter. Eisenach braucht die Autobauer.

"Ich habe allein in der Stadt neben Opel noch drei weitere Firmen, die zu hundert Prozent abhängen von Opel, die jede Schwankung mitmachen, die genau so bedroht sind."

Matthias Doht ist einer der prominentesten Fürsprecher für das Eisenacher Opel-Werk. Gerade bei Landtag und Landesregierung steht er mit schöner Regelmäßigkeit in der Tür, um sich der Rückendeckung der Politik zu versichern.

"Wenn man sogar die breiter aufgestellte Zulieferindustrie betrachtet, insgesamt arbeiten 25.000 im Automobilbau und in der Zulieferindustrie."

Er gehörte selbst zu denen, die eine Familie vom Autobau ernährten. Er hat als Ingenieur Kugelgelenke für den Wartburg konstruiert, arbeitete im Automobilwerk Eisenach, von dem heute nicht mehr viel übrig ist. Damals gehörte er zu den knapp 10.000 Beschäftigten. Und er erlebte den Niedergang dieses in der DDR so begehrten Wagens. Bei einer Demo für den Erhalt von Opel erinnerte er daran.

"Wir kennen nur zu gut noch die letzten Bilder des Wartburgs am 10. April 1991. Einen zweiten 10. April 91 werden wir nicht zulassen (Applaus)"

1991 hielt die ganze Region den Atem an. Das Werk schloss - ein Albtraum.

Arbeiter: "Wenn ich das heute gesehen habe, wie Arbeiter heute geweint haben, ist mir das absolut verständlich. Die Verbindung zwischen Stadt und Automobil, zwischen den Bürgern dieser Stadt und dem Automobil, die ist ja da und die war sehr fest. Und es tut schon weh, wenn dieses Auto jetzt - das letzte - vom Band läuft."

Doch die Hoffnung kam im Huckepack. Bosch, BMW siedelten sich an und Opel stand vor der Tür. Und kam, Bill Clinton eröffnete das Werk. Ein Adrenalinschub für die Region. 1,5 Milliarden Euro investierte der Konzern. Es entstand eines der modernsten und effektivsten Werke im europäischen Opelverbund. Gut 2,3 Millionen Fahrzeuge sind seitdem vom Band gerollt.

1896 wurden in Eisenach die ersten Fahrzeuge hergestellt: Munitionswagen für das kaiserliche Heer. 1928 kam BMW, die Eisenacher bauten Sportwagen. Nach dem Krieg ging es mit den Eisenacher Motorenwerken, EMW, weiter. Nach dem Wartburgwerk nun: Opel. Eine ungebrochene Traditionslinie.

Doht: "Der Automobilbau hat Eisenach erst den wirtschaftlichen Aufstieg von einer kleinen Residenzstadt ermöglicht und zu der Stadt gemacht, die wir heute lieben."

Die Residenzzeit sieht man Eisenach sehr wohl noch an. Das große Villenviertel im Süden der Stadt erzählt davon, wie Kunst- und Naturliebhaber herzogen, wie sie Prachthäuser bauten, und einen kurzen Weg zur Wartburg und die Berge und Wälder wollten. Luther, Johann Sebastian Bach - Tourismus ist das zweites Standbein der Stadt. Aber es würde nicht ansatzweise ausreichen, um einen Verlust der Automobilindustrie wett zu machen.

"Ich bin seit 12 Jahren in der Firma. Zum Glück durfte ich hier bleiben", "

sagt die Frau, die bei einem der Zulieferer am Automaten sitzt und Innenraumleuchten zusammenbaut. Ihre Kollegin hat gerade ein Haus gebaut. Der Mann ist arbeitslos. Sie muss Geld verdienen.

" "weil wir auch Kredite haben usw. und sehen müssen, dass wir irgendwie finanziell zurecht kommen."

Wenn Opel Kurzarbeit fährt, bekommt sie weiche Knie. Opel ist ein wichtiger Kunde der Firma. Das Haus, die Familie, sie hängen an Konzernentscheidungen, die in Detroit getroffen werden, an der Modellpolitik von GM. Ebenso, wie die Händler, bei denen die beiden einkaufen gehen. Das große Kaufhaus im Zentrum beobachtet schon, wie die Leute ihr Geld zusammen halten. Etliche kleinere Läden in der Karlstraße, der Einkaufsstraße können sich nicht halten. Die Mieten sind zu hoch, die Hoffnung zu klein.

Vielleicht fallen die Geschenke zu Weihnachten in diesem Jahr etwas bescheidener aus bei all denen, die in den letzten Monaten öfters auf Kurzarbeit gesetzt waren.
Eisenach hat auf das Auto gesetzt. Hofft auf neue Technologien. Alternativen dazu gibt es nicht. Im allergrößten Notfall fährt der Oberbürgermeister bei der Konkurrenz Klinken putzen. Andere Hersteller bauen auch gute Autos. Aber natürlich: am liebsten bleibt Eisenach, was es jetzt ist: Opelstadt.
Mitarbeiter der Opel-Werke in Bochum blockieren am 18. Okt. 2004 das Tor 1
Mitarbeiter der Opel-Werke in Bochum© AP
Arbeiter des Opelwerkes in Eisenach stehen vor dem Betriebstor während eines Warnstreiks.
Arbeiter des Opelwerkes in Eisenach während eines Warnstreiks.© AP