Wenn der Motor stockt
Autohalden, Arbeitsplatzabbau, Zwangsbetriebsferien, Lohnausfall – der Wachstumsmotor Autoindustrie ist ins Stocken geraten. Das merken nicht nur die Beschäftigten bei den Pkw-Herstellern, sondern auch die vielen Mitarbeiter bei den großen und kleinen Zulieferbetrieben.
Auf löchrigem Pflaster
Beispiel Baden-Württemberg
Von Uschi Götz
In Baden-Württemberg schien immer alles ein bisschen besser. Weniger Kriminalität, mehr Arbeitsplätze, manche Gegend im Südwesten meldete bisweilen Vollbeschäftigung. Doch die Lage ist momentan eine andere. Seit Beginn des Jahres sind viele Mitarbeiter des Autobauers Daimler in Kurzarbeit.
Das exportorientierte Bundesland ist mit am stärksten von der Weltwirtschaftskrise betroffen. Wenig verwunderlich, denn 26 Prozent aller Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie arbeiten in Baden-Württemberg. Hinzu kommen Tausende von Beschäftigten in der Zuliefererindustrie. Kleine und große. Zusammen macht das über 400.000 Beschäftigte, die allein in Baden-Württemberg mehr oder weniger mit dem Autobau zusammenhängen.
Nun hat das Bundesland frühzeitig reagiert und als erstes ein Konjunkturpaket ausgearbeitet. Doch für manch mittelständisches Unternehmen kommt die Hilfe möglicherweise zu spät. Beispiel Sindelfingen. Die einst reichste deutsche Stadt geht langsam in die Knie.
Montag bis Donnerstag ist alles normal. Morgens kommt die Frühschicht und bleibt bis kurz nach zwei, dann kommt die Spätschicht und die Frühschicht geht. Sie kommen mit Pendlerbussen aus dem ganzen Umfeld, noch mehr Mitarbeiter mit eigenen Autos.
Fast 30.000 Pendler zählt die Stadt Sindelfingen an normalen Wochentagen. Doch normal ist nichts mehr beim Daimler. Freitags stehen die Bänder still, dann ist es ruhig in Sindelfingen. Daimler-Personalvorstand Günther Fleig:
„Wir fahren unser Unternehmen auf Sicht und das hängt jetzt davon ab, wie jetzt die Auftragseingänge sich in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln. Bis zur Stunde sehen wir, dass nur die Kurzarbeit, die wir beantragt haben, auch benötigen werden. Und wir werden zur gegebenen Zeit vor der dann bekannten Auftragslage zu entscheiden haben, ob wir weiter mit Kurzarbeit arbeiten müssen oder ob wir sie aufheben können.“
Sindelfingen ist das größte Werk von Daimler; über 30.000 Menschen arbeiten in der schwäbischen Stadt, rund 15 Autominuten von Stuttgart entfernt. Daimler bildet mit seinen zig Werken in Sindelfingen eine eigene Stadt in der Stadt. Und doch hängt alles zusammen. Wenn der Daimler Schnupfen hat, ist Sindelfingen krank – heißt es im Schwäbischen. Jetzt hat es den Daimler richtig erwischt.
„Wir sind tatsächlich abhängig von neuen Produkten, die Daimler auf den Markt bringt, weil wir daraus natürlich unsere Steuern bekommen.“
Doch Daimler wird in diesem Jahr keine Gewerbesteuern an die Stadt Sindelfingen zahlen. Eine fatale Situation für Sindelfingen – die Stadt ist quasi pleite. Finanzbürgermeister Helmuth Riegger wird in seiner diesjährigen Haushaltsrede Hiobsbotschaften verkünden.
„Dass wir einen historischen Tiefstand bei der Gewerbesteuer haben. Wir haben nächstes Jahr nur noch 15 Millionen Euro Gewerbesteuer. Im Vergleich: Vor einem Jahr hatten wir einen Gewerbesteueransatz von 44 Millionen Euro. Und da kann sich jeder ausrechnen, dass wir mit dem Geld nicht auskommen können. Wir haben 63.000 Bürgerinnen und Bürger in der Stadt, wir haben eine Infrastruktur aufgebaut mit Schulen, Kindergärten und sonstigen öffentlichen Einrichtungen. Die müssen unterhalten werden. Und wenn wir nur 15 Millionen haben ... das reicht uns hinten und vorne nicht.“
Sindelfingen galt lange als die reichste Stadt Deutschlands. Bis heute ist vieles vom Feinsten und was öffentliche Einrichtungen angeht, meist in mehrfacher Form vorhanden. Zum Rathaus führen Zebrastreifen aus Marmor. Noch vor ein paar Jahren war die Nutzung von städtischen Parkhäusern kostenlos. Jetzt gehen die Uhren anders: Seit Dezember 2007 musste die Stadt fast 60 Millionen Euro Rückzahlung an Gewerbesteuer leisten.
„Und das können sie natürlich nur aus den Rücklagen nehmen. Ergo, wir haben null Rücklagen. Und deshalb müssen wir jetzt Kredite aufnehmen bei den Banken.“
Und bereits in wenigen Monaten erfolgt ein neuer Kassensturz.
„Wenn es tatsächlich weiter nach unten laufen würde, müssen wir tatsächlich in der zweiten Jahreshälfte uns überlegen, wie wir 2010 vorgehen. Das würde dann konkret bedeuten … also weiter Schuldenaufnahme über 50 Millionen hinaus bis 2012 könnten wir nicht leisten, weil wir die hohen Schulden unseren Kindern nicht zumuten wollen. Das würde dann bedeuten, dass wir konkret Einrichtungen schließen.“
Nicht nur auf dem Rathaus geht die Angst um. Große und kleine Betriebe rund um Sindelfingen sind von Daimler abhängig ist. Doch keiner möchte das aussprechen, gar in ein Mikrofon sagen.
Ein paar Kilometer von Sindelfingen entfernt, in Rutesheim, steht der Betrieb von Harald Belling. Sein Unternehmen stellt Dichtungen her. Das deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum gehört zu seinen Kunden, ebenso Unternehmen aus dem Bereich der Medizintechnik und des Maschinenbaus. Bellings’ Kunden sind aber auch Automobilzulieferer. Und das ist das Problem. Sein Dichtungslager ist zur Zeit randvoll mit Abrufaufträgen im Wert von rund 200 000 Euro.
„Wenn sie einen Abrufantrag machen über ein Jahr und das wird dann mehr und mehr herausgezogen, es wird geschoben und geschoben; wir haben das alles hier schon vorfinanziert, das bricht uns dann das Genick, weil letztendlich, wir haben hier alles bezahlt und wir bekommen natürlich erst dann unser Geld, wenn wir den Abruf von unserem Kunden bekommen.“
Der kommt aber nicht. Also musste der Kleinunternehmer, der sein Geschäft vor knapp 20 Jahren aufgebaut hat, bereits Mitarbeiter entlassen. Von elf Leuten mussten schon sechs gehen. Jüngst bat er seine Hausbank um einen Überbrückungskredit, um die nächsten Monate zu überstehen. Für ein paar tausend Euro verlangt die Bank nun Sicherheiten.
„Sicherheiten – müsste ich mein komplettes Lager, dann müsste ich meine kompletten Aufträge, die ich im Hause habe, und die sind auch in sechsstelliger Höhe, die müsste ich abtreten. Ich müsste auf meine private Immobilie nochmals einen Eintrag machen. Und ich müsste selbst persönlich nochmals bürgen. Das ist eine unmögliche Situation! Das ist eine unmögliche Situation! Das werde ich nicht annehmen, das ist für mich das Todesurteil, weil dann habe ich gar keine Möglichkeit mehr zu handeln.“
Kein Einzelschicksal. Und auch nicht auf das Umfeld von Sindelfingen begrenzt. Kleine und große Unternehmen hätten eigentlich Aufträge, aber durch den Absatzrückgang in der Schlüsselindustrie Autobau sind ihnen die Hände gebunden. Harald Belling ist verzweifelt.
„Es ist Tatsache: Wir können noch mehr machen, aber wenn man uns dahingehend nicht unterstützt, sind wir im Prinzip sogar mehr vor dem Aus. Es gab mal eine Aussage von einem Mitarbeiter einer Bank, da hat der zu mir gesagt: „Sie wären nicht der Erste, der mit vollen Auftragsbüchern in die Insolvenz geht.“
Zurück nach Sindelfingen, in die Innenstadt. Dort hat Pfarrer Hartmut Zweigle sein Büro. Pfarrer Zweigle ist seit 1995 Betriebsseelsorger in Sindelfingen und natürlich eng mit dem Unternehmen Daimler verbunden. Bei ihm suchen in diesen Tagen viele Zuflucht, vor allem Mitarbeiter von Daimler.
„Also es lässt sich feststellen, dass seit zwei, drei Monaten die Nachfragen zunehmen. Ich habe schon den Eindruck, dass dieses Gefühl, was kommt da auf mich zu, dass das dazu führt, dass man sagt, ich muss mit jemand sprechen, wo möglicherweise auch davon ausgegangen wird, der hat ein bisschen Einblick in die Arbeitswelt und kann das vielleicht auch ein bisschen einschätzen.“
Keine Panik sei bei den Daimler-Mitarbeitern zu spüren, sagt der Betriebsseelsorger, sondern vielmehr eine diffuse Angst.
„Eine Angst, die nicht genau weiß, was auf einen zukommt.“
Und alle im Umfeld vom größten deutschen Daimler-Werk in Sindelfingen sind davon abhängig, ob und wann die Unternehmensleitung einen Ausweg aus der Krise finden wird.
„Es kann natürlich ganz schlimm kommen, dass unser ganzes Wirtschaftssystem kollabiert, aber da behüte uns der liebe Gott davor, dass das passiert. Und was auch klar ist: Wenn bei uns diese Herzrhythmusstörungen, die der Daimler hat, in eine Herzerkrankung übergehen zu einer ernsthaften Krankheit, dann wird das für die Region hier dramatisch werden. Von daher steht und fällt das Umfeld hier mit Daimler. Man kann das wirklich so sagen.“
Der nächste Kehraus?
Zulieferer in Thüringen
Von Ulrike Greim
Ein Glied in der Kette – wie ein Zulieferer die Krise mühsam ausbalanciert. Dies sind die Stichworte für den nächsten Beitrag.
Die Krise der Automobilbranche – sie trifft die großen Marken, also auch die vielen kleinen und mittelständische Firmen, die für die Schwergewichte am Markt zuliefern. Und diesen kleinen und mittelständischen Firmen kommt so schnell kein staatliches Rettungspaket zur Hilfe. Ihnen bleibt nur – wie ein Beispiel einer Firma für Kraftfahrzeugleuchten aus Thüringen zeigt – der Appell an die alten unternehmerischen Werte.
Ein nettes kleines Detail: Wenn Frau im Auto die Sonnenblende herunterklappt, um eben noch einen Blick in den Schminkspiegel zu werfen, dann geht ein kleines Lämpchen an. Damit der Lidstrich nicht schief gezogen werden muss. Dieses kleine Lämpchen ist eines der Extras, die die Autos gehobenen Stils mittlerweile ungefragt mitliefern. Und so hört es sich an, wenn eben so ein Lämpchen für einen Schminkspiegel produziert wird:
Die Firma Truck-Lite in Eisenach produziert täglich 11.000 solcher Make-Up-Lämpchen. Dazu rund 500 weitere Leuchten für die deutsche Automobilindustrie – für Mercedes, VW, Audi, Fiat, Ford, Porsche und viele andere. Überall soll es hell sein, sagt der Kunde. Im Innenraum, im Kofferraum, in der Tür, im Handschuhfach, über dem Nummernschild – je nach Marke und Ausstattung.
Hier, in der Fertigungshalle von Truck-Lite, stehen Männer und Frauen, hauptsächlich Frauen, an Automaten, an Bändern, an Kisten, und bauen Lämpchen und Blinker aller Art zusammen und prüfen sie.
„Das ist jetzt ne Kennzeichenleuchte von Ford.“
Die Leuchte sichert dieser Frau einen vollen Lohn seit zwölf Jahren. Stück für Stück.
„Am Tag in der Schicht, sagen wir mal, wenn wir zu zweit hier sitzen 3200 Teile.“
Momentan habe sie den Eindruck, dass ihre Firma verschont bleiben könnte vom großen Crash, sagt diese Mitarbeiterin. Noch habe sie keine Sorge um ihren Arbeitsplatz. Die Firma sei gut, sie sei froh, hier zu arbeiten. An ihrer Kollegin gehen die Meldungen über die großen Auftraggeber wie Mercedes, nicht spurlos vorbei.
„Weil wir auch Kredite haben und sehen müssen, das man finanziell irgendwie zurecht kommt.“
Werkleiter Ralf Urban geht grüßend durch die Fertigungshalle. 180 Beschäftigte gehören zur Firma, zusätzlich 30 Zeitarbeiter. Das waren vor Kurzem noch hundert. Die meisten musste er wieder nach Hause schicken. Die festen Beschäftigten will er halten, so lange es geht. Aber natürlich: die Auftragseinbrüche der Autohersteller schlagen eins zu eins bei ihm durch.
„Im Vergleich Januar 2008 haben wir in diesem Januar etwa 30 Prozent weniger Abrufe unserer Kunden.“
Es kommen an einem Tag Bestellungen herein, die am anderen schon wieder zurückgezogen werden. Wer soll da planen, fragt Ralf Urban? Denn auch Truck-Lite bestellt Material, hat Lieferanten, denen gegenüber die Firma auch im Wort ist. Dazu komme, dass auch die großen Abnehmer gelegentlich nicht zahlen, und nicht frühzeitig Bescheid sagen, wenn sie ihre Produktion herunterfahren.
„Wir haben keine Kurzarbeit, erfreulicherweise sind wir noch nicht in der Situation. Aber wir sind in Verhandlungen mit unserem Betriebsrat, was die Flexibilisierung von unseren Arbeitszeitmodellen angeht, und haben da bisher einvernehmlich recht gute Lösungen gefunden, um nicht in Kurzarbeit gehen zu müssen.“
Vielleicht sei das Tal ja auch bald durchschritten. Andererseits drücke der Weltmarkt. Denn mit Preisen in Fernost oder Ost-Mitteleuropa können die Fachkräfte in Eisenach – trotz Ost-Abschlag nicht mithalten. Truck-Lite-Geschäftsführer Stephan Pfingsten:
„Es kommt häufig vor: man hat vertragliche Absprachen, die mit sehr spitzem Stift kalkuliert sind, das heißt: für uns ist die Marge ohnehin schon sehr gering. Über mehrere Jahre wird das kalkuliert. Und dann passiert es ihnen, dass in die Laufzeit der Projekte hinein die Kunden dann sagen: Ja, es tut uns leid, wenn sie nicht noch mal zehn Prozent mit dem Preis runter gehen, dann werden wir gucken, ob wir nicht im Weltmarkt jemanden finden, der es billiger machen kann.“
Auch Truck-Lite hat sich international aufgestellt. Der Eisenacher Betrieb mit Tradition produziert unter der Marke FER seit DDR-Zeiten, er wird mit der Wende privatisiert. 2002 übernimmt die amerikanische Penske-Gruppe die Mehrheit. Nun hat Truck-Lite Standorte in Polen, Weißrussland und Mexico. Dahin müsse man zunehmend ausweichen, sagt der Firmenchef. Das ingenieurtechnische Knowhow bleibe aber weiter hier das große Pfand.
Ingenieure von Truck-Lite waren es, die damals für die E-Klasse von Mercedes die Blinkleuchten in Seitenspiegel hinein konstruierten.
Bis zur Krise sei die Firma gesund gewesen, sagt ihr Chef, man wollte expandieren am Standort Eisenach. Doch nun werde ihr von der Bank eine Kreditlinie nicht verlängert. Eigentlich wäre es eine Formalie gewesen.
„Man sagt uns zwischen den Zeilen recht deutlich, dass es einzig und allein mit unserer Zugehörigkeit zu dieser Industrie zu tun hat. Das heißt, die Automobilindustrie wird von den Banken sehr skeptisch gesehen.“
Von den Banken, die nun von Steuergeldern gestützt werden. Steuern, die sie als Firma erwirtschaften. Hier stehe Vieles auf dem Kopf, sagt Stephan Pfingsten. Die alten Werte gelten nicht mehr.
„Ich glaube nur, dass sich die Probleme nicht auf die Wirtschaft beschränken, also auch nicht auf die Automobilindustrie. Genauso wie das Ganze keine Finanzkrise ist. Sondern ich glaube, das ist eine Krise unseres westlichen Wertesystems, wo es in den letzten Jahren – wir alle, ich schließe mich da nicht aus – drauf gedrillt werden ‚erstmal Ego‘, erstmal ich selbst, wie komme ich selbst am besten weiter, wie mache ich Karriere.“
Die Krise könne aber, so hofft der Unternehmer, einen Umschwung bewirken. Zurück zu den alten Werten, wie sozialer Verantwortung, wie Respekt und Verlässlichkeit. Denn das dies alles auf der Strecke blieb, sei der wahre Grund der Krise.
Der Zuzulieferer
Beispiel Schleswig-Holstein
Von Matthias Günther
Die Krise auf dem Automobilmarkt hat längst auch den hohen Norden getroffen, denn auch hier gibt es eine ganze Reihe von Zulieferfirmen. Das erste Unternehmen mit rund 100 Beschäftigten hat schon vor Weihnachten Insolvenz angemeldet. Andere Firmen haben Kurzarbeit beantragt oder angekündigt. Darunter sind große Zulieferer mit 1000 Beschäftigten, aber auch kleine – wie ein Zulieferer von Zulieferern bei Bad Segeberg: die Firma heißt „Holstein Flachs“ und versorgt unter anderem die großen Zulieferer der Autokonzerne mit Flachsfasern zur Herstellung von Bremsbelägen.
Die Maschinen stehen still. Egon Heger ist an diesem Nachmittag allein in der Firma. Er ist Geschäftsführer von Holstein Flachs in Mielsdorf bei Bad Segeberg. Für die fünf Mitarbeiter hat er Anfang des Jahres Kurzarbeit beantragt:
„Wir haben statt zwei Leuten in der Produktion maximal einen, und statt fünf Tage arbeiten wir vier Tage. Wenn die Bestellungen gegen Ende des Monats reintrudeln – Kurzarbeit ist ein angenehmes Instrument –, kann ich sofort drauf reagieren. Und wenn sie es nicht tun, dann werden wir es eben weiter auf kleiner Flamme köcheln lassen.“
Holstein Flachs produziert hauptsächlich Fasern für Bremsbeläge. Aus Flachs kann eben nicht nur Leinen hergestellt werden. Die Firma hat schon Anfang der 90er Jahre nach Alternativen gesucht, denn die Produktion von Garnen für die Textilindustrie lohnte sich nicht mehr:
„Wir haben damals schon begonnen, eine ganz spezielle Faser für die Reibbelag-Industrie herzustellen. Reibbeläge: das sind Bremsbeläge oder Kupplungsbeläge, wie man sie in Automobilen, aber auch Zügen und so fort findet. Und das hat sich aus wirklich kleinen Anfängen inzwischen zu einem Kerngeschäft entwickelt.“
Vor allem die Automobilbranche war schnell an Spezialfasern aus Flachs interessiert – für Bremsbeläge, aber auch für Karosserie-Formpressteile und Rohre von Kühlsysteme. Die Firma Holstein-Flachs beliefert die Automobilhersteller allerdings nicht direkt:
„Wir liefern an einen Zulieferer. Mit dem schließt man eine Geheimhaltungsvereinbarung ab und erwartet, dass er seinerseits dann auch nicht mit anderen über das gelieferte Material plaudert.“
Soviel immerhin verrät Egon Heger: für Daimler-Benz liefert Holstein Flachs Fasern, aus denen Formpressteile für die Karosserie der Marke mit dem Stern hergestellt werden, wie er sagt. Darüber, welche Autos mit Flachsfasern aus Mielsdorf bremsen, schweigt er:
„Wir hören das in der Regel nicht, in welchem Automobil unsere Produkte verbaut sind. Und wenn wir es hören, dann vergessen wir es gleich wieder. Also wenn ich jetzt mal an Bremsbeläge denke, dann meine ich schon, dass wir in fünf, sechs Herstellern inzwischen einigermaßen gelandet sind.“
Die starke Abhängigkeit von der Automobilbranche ist in der Firma seit Monaten spürbar. Einer der Zulieferer, die Flachsfasern aus Mielsdorf beziehen, hat gerade Insolvenz angemeldet:
„Jetzt liegt auf dem Tisch ein Schreiben des Insolvenz-Verwalters: Bitte liefern, das operative Geschäft geht weiter, aber wenn Ihr geliefert habt, dann – Pech gehabt, sorry, kriegt nichts oder ihr kriegt nur eine kleine Quote.“
Für eine kleine Quote liefert Holstein Flachs aber keine Fasern. Und frühere Rechnungen hatte der Kunde noch bezahlt.
„Wir haben glücklicherweise bei dem Genannten eben nichts offen.“
Egon Heger sieht aber auch bei anderen Kunden Anzeichen der Krise:
„Wir merken schon, dass der eine oder andere seine übliche Zahlungsweise nicht einhält. Umgekehrt gibt es auch sehr gute Beispiele, also ich will jetzt nicht alle unsere Kunden in Bausch und Bogen verdammen, um Gottes Willen, aber die Schere geht einfach auseinander, das muss man sagen. Es gibt welche, die zahlen perfekt, da läuft alles wunderbar, bei anderen, na ja, da würde man auf dem Lande sagen, die suchen in Krümeln, damit sie vier Wochen später zahlen können.“
Dass schon im vorigen Quartal weniger Autos hergestellt wurden, hat sich auf den Absatz bei Holstein Flachs unerwartet stark ausgewirkt. Eine Prognose für dieses Jahr fällt Egon Heger schwer. Aber er hält die Firma für durchaus überlebensfähig:
„Also wir haben gute Chancen, auch durch diese Krise hindurch zu kommen. Aber so etwas funktioniert natürlich auch nur, wenn Banken entsprechende Darlehensrahmen zur Verfügung stellen. Und man kann heute nicht sagen, dass die Banken nun gerade sehr begeistert wären, die Wirtschaft, insbesondere kleine und mittlere mittelständische Unternehmen mit Liquidität zu versorgen.“
Insoweit ist also nicht nur die Krise der Automobilbranche in Mielsdorf bei Bad Segeberg angekommen, sondern auch die Finanzmarktkrise. Wenn Egon Heger aber einen Kredit – er spricht von einer sechsstelligen Summe – bekommen könnte, dann würde er zu derzeit günstigen Preisen Rohstoffe einkaufen und weiter produzieren – auf Vorrat. Denn Bremsbeläge werden irgendwann wieder gebraucht – nicht nur in neuen Autos, auch in den alten.
„Die Autos werden gefahren, die Leute bremsen damit, die Bremsbeläge gehen irgendwann kaputt und müssen ersetzt werden. Ein Auto bleibt nicht stehen, nur weil es keine Reibbeläge mehr gibt. Der Markt wird damit versorgt werden. Und ich könnte natürlich jetzt – unter vernünftigen Marktgesichtspunkten – könnte ich Rohstoffe einkaufen und die jetzt schön kontinuierlich durcharbeiten.“
Wenn Egon Heger dafür keinen Kredit bekommt, dann können er und seine fünf Mitarbeiter nur hoffen, dass Bremsbeläge möglichst schnell knapp werden, damit neue Flachsfasern gebraucht werden und bei Holstein Flachs wieder voll gearbeitet werden kann.
Beispiel Baden-Württemberg
Von Uschi Götz
In Baden-Württemberg schien immer alles ein bisschen besser. Weniger Kriminalität, mehr Arbeitsplätze, manche Gegend im Südwesten meldete bisweilen Vollbeschäftigung. Doch die Lage ist momentan eine andere. Seit Beginn des Jahres sind viele Mitarbeiter des Autobauers Daimler in Kurzarbeit.
Das exportorientierte Bundesland ist mit am stärksten von der Weltwirtschaftskrise betroffen. Wenig verwunderlich, denn 26 Prozent aller Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie arbeiten in Baden-Württemberg. Hinzu kommen Tausende von Beschäftigten in der Zuliefererindustrie. Kleine und große. Zusammen macht das über 400.000 Beschäftigte, die allein in Baden-Württemberg mehr oder weniger mit dem Autobau zusammenhängen.
Nun hat das Bundesland frühzeitig reagiert und als erstes ein Konjunkturpaket ausgearbeitet. Doch für manch mittelständisches Unternehmen kommt die Hilfe möglicherweise zu spät. Beispiel Sindelfingen. Die einst reichste deutsche Stadt geht langsam in die Knie.
Montag bis Donnerstag ist alles normal. Morgens kommt die Frühschicht und bleibt bis kurz nach zwei, dann kommt die Spätschicht und die Frühschicht geht. Sie kommen mit Pendlerbussen aus dem ganzen Umfeld, noch mehr Mitarbeiter mit eigenen Autos.
Fast 30.000 Pendler zählt die Stadt Sindelfingen an normalen Wochentagen. Doch normal ist nichts mehr beim Daimler. Freitags stehen die Bänder still, dann ist es ruhig in Sindelfingen. Daimler-Personalvorstand Günther Fleig:
„Wir fahren unser Unternehmen auf Sicht und das hängt jetzt davon ab, wie jetzt die Auftragseingänge sich in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln. Bis zur Stunde sehen wir, dass nur die Kurzarbeit, die wir beantragt haben, auch benötigen werden. Und wir werden zur gegebenen Zeit vor der dann bekannten Auftragslage zu entscheiden haben, ob wir weiter mit Kurzarbeit arbeiten müssen oder ob wir sie aufheben können.“
Sindelfingen ist das größte Werk von Daimler; über 30.000 Menschen arbeiten in der schwäbischen Stadt, rund 15 Autominuten von Stuttgart entfernt. Daimler bildet mit seinen zig Werken in Sindelfingen eine eigene Stadt in der Stadt. Und doch hängt alles zusammen. Wenn der Daimler Schnupfen hat, ist Sindelfingen krank – heißt es im Schwäbischen. Jetzt hat es den Daimler richtig erwischt.
„Wir sind tatsächlich abhängig von neuen Produkten, die Daimler auf den Markt bringt, weil wir daraus natürlich unsere Steuern bekommen.“
Doch Daimler wird in diesem Jahr keine Gewerbesteuern an die Stadt Sindelfingen zahlen. Eine fatale Situation für Sindelfingen – die Stadt ist quasi pleite. Finanzbürgermeister Helmuth Riegger wird in seiner diesjährigen Haushaltsrede Hiobsbotschaften verkünden.
„Dass wir einen historischen Tiefstand bei der Gewerbesteuer haben. Wir haben nächstes Jahr nur noch 15 Millionen Euro Gewerbesteuer. Im Vergleich: Vor einem Jahr hatten wir einen Gewerbesteueransatz von 44 Millionen Euro. Und da kann sich jeder ausrechnen, dass wir mit dem Geld nicht auskommen können. Wir haben 63.000 Bürgerinnen und Bürger in der Stadt, wir haben eine Infrastruktur aufgebaut mit Schulen, Kindergärten und sonstigen öffentlichen Einrichtungen. Die müssen unterhalten werden. Und wenn wir nur 15 Millionen haben ... das reicht uns hinten und vorne nicht.“
Sindelfingen galt lange als die reichste Stadt Deutschlands. Bis heute ist vieles vom Feinsten und was öffentliche Einrichtungen angeht, meist in mehrfacher Form vorhanden. Zum Rathaus führen Zebrastreifen aus Marmor. Noch vor ein paar Jahren war die Nutzung von städtischen Parkhäusern kostenlos. Jetzt gehen die Uhren anders: Seit Dezember 2007 musste die Stadt fast 60 Millionen Euro Rückzahlung an Gewerbesteuer leisten.
„Und das können sie natürlich nur aus den Rücklagen nehmen. Ergo, wir haben null Rücklagen. Und deshalb müssen wir jetzt Kredite aufnehmen bei den Banken.“
Und bereits in wenigen Monaten erfolgt ein neuer Kassensturz.
„Wenn es tatsächlich weiter nach unten laufen würde, müssen wir tatsächlich in der zweiten Jahreshälfte uns überlegen, wie wir 2010 vorgehen. Das würde dann konkret bedeuten … also weiter Schuldenaufnahme über 50 Millionen hinaus bis 2012 könnten wir nicht leisten, weil wir die hohen Schulden unseren Kindern nicht zumuten wollen. Das würde dann bedeuten, dass wir konkret Einrichtungen schließen.“
Nicht nur auf dem Rathaus geht die Angst um. Große und kleine Betriebe rund um Sindelfingen sind von Daimler abhängig ist. Doch keiner möchte das aussprechen, gar in ein Mikrofon sagen.
Ein paar Kilometer von Sindelfingen entfernt, in Rutesheim, steht der Betrieb von Harald Belling. Sein Unternehmen stellt Dichtungen her. Das deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum gehört zu seinen Kunden, ebenso Unternehmen aus dem Bereich der Medizintechnik und des Maschinenbaus. Bellings’ Kunden sind aber auch Automobilzulieferer. Und das ist das Problem. Sein Dichtungslager ist zur Zeit randvoll mit Abrufaufträgen im Wert von rund 200 000 Euro.
„Wenn sie einen Abrufantrag machen über ein Jahr und das wird dann mehr und mehr herausgezogen, es wird geschoben und geschoben; wir haben das alles hier schon vorfinanziert, das bricht uns dann das Genick, weil letztendlich, wir haben hier alles bezahlt und wir bekommen natürlich erst dann unser Geld, wenn wir den Abruf von unserem Kunden bekommen.“
Der kommt aber nicht. Also musste der Kleinunternehmer, der sein Geschäft vor knapp 20 Jahren aufgebaut hat, bereits Mitarbeiter entlassen. Von elf Leuten mussten schon sechs gehen. Jüngst bat er seine Hausbank um einen Überbrückungskredit, um die nächsten Monate zu überstehen. Für ein paar tausend Euro verlangt die Bank nun Sicherheiten.
„Sicherheiten – müsste ich mein komplettes Lager, dann müsste ich meine kompletten Aufträge, die ich im Hause habe, und die sind auch in sechsstelliger Höhe, die müsste ich abtreten. Ich müsste auf meine private Immobilie nochmals einen Eintrag machen. Und ich müsste selbst persönlich nochmals bürgen. Das ist eine unmögliche Situation! Das ist eine unmögliche Situation! Das werde ich nicht annehmen, das ist für mich das Todesurteil, weil dann habe ich gar keine Möglichkeit mehr zu handeln.“
Kein Einzelschicksal. Und auch nicht auf das Umfeld von Sindelfingen begrenzt. Kleine und große Unternehmen hätten eigentlich Aufträge, aber durch den Absatzrückgang in der Schlüsselindustrie Autobau sind ihnen die Hände gebunden. Harald Belling ist verzweifelt.
„Es ist Tatsache: Wir können noch mehr machen, aber wenn man uns dahingehend nicht unterstützt, sind wir im Prinzip sogar mehr vor dem Aus. Es gab mal eine Aussage von einem Mitarbeiter einer Bank, da hat der zu mir gesagt: „Sie wären nicht der Erste, der mit vollen Auftragsbüchern in die Insolvenz geht.“
Zurück nach Sindelfingen, in die Innenstadt. Dort hat Pfarrer Hartmut Zweigle sein Büro. Pfarrer Zweigle ist seit 1995 Betriebsseelsorger in Sindelfingen und natürlich eng mit dem Unternehmen Daimler verbunden. Bei ihm suchen in diesen Tagen viele Zuflucht, vor allem Mitarbeiter von Daimler.
„Also es lässt sich feststellen, dass seit zwei, drei Monaten die Nachfragen zunehmen. Ich habe schon den Eindruck, dass dieses Gefühl, was kommt da auf mich zu, dass das dazu führt, dass man sagt, ich muss mit jemand sprechen, wo möglicherweise auch davon ausgegangen wird, der hat ein bisschen Einblick in die Arbeitswelt und kann das vielleicht auch ein bisschen einschätzen.“
Keine Panik sei bei den Daimler-Mitarbeitern zu spüren, sagt der Betriebsseelsorger, sondern vielmehr eine diffuse Angst.
„Eine Angst, die nicht genau weiß, was auf einen zukommt.“
Und alle im Umfeld vom größten deutschen Daimler-Werk in Sindelfingen sind davon abhängig, ob und wann die Unternehmensleitung einen Ausweg aus der Krise finden wird.
„Es kann natürlich ganz schlimm kommen, dass unser ganzes Wirtschaftssystem kollabiert, aber da behüte uns der liebe Gott davor, dass das passiert. Und was auch klar ist: Wenn bei uns diese Herzrhythmusstörungen, die der Daimler hat, in eine Herzerkrankung übergehen zu einer ernsthaften Krankheit, dann wird das für die Region hier dramatisch werden. Von daher steht und fällt das Umfeld hier mit Daimler. Man kann das wirklich so sagen.“
Der nächste Kehraus?
Zulieferer in Thüringen
Von Ulrike Greim
Ein Glied in der Kette – wie ein Zulieferer die Krise mühsam ausbalanciert. Dies sind die Stichworte für den nächsten Beitrag.
Die Krise der Automobilbranche – sie trifft die großen Marken, also auch die vielen kleinen und mittelständische Firmen, die für die Schwergewichte am Markt zuliefern. Und diesen kleinen und mittelständischen Firmen kommt so schnell kein staatliches Rettungspaket zur Hilfe. Ihnen bleibt nur – wie ein Beispiel einer Firma für Kraftfahrzeugleuchten aus Thüringen zeigt – der Appell an die alten unternehmerischen Werte.
Ein nettes kleines Detail: Wenn Frau im Auto die Sonnenblende herunterklappt, um eben noch einen Blick in den Schminkspiegel zu werfen, dann geht ein kleines Lämpchen an. Damit der Lidstrich nicht schief gezogen werden muss. Dieses kleine Lämpchen ist eines der Extras, die die Autos gehobenen Stils mittlerweile ungefragt mitliefern. Und so hört es sich an, wenn eben so ein Lämpchen für einen Schminkspiegel produziert wird:
Die Firma Truck-Lite in Eisenach produziert täglich 11.000 solcher Make-Up-Lämpchen. Dazu rund 500 weitere Leuchten für die deutsche Automobilindustrie – für Mercedes, VW, Audi, Fiat, Ford, Porsche und viele andere. Überall soll es hell sein, sagt der Kunde. Im Innenraum, im Kofferraum, in der Tür, im Handschuhfach, über dem Nummernschild – je nach Marke und Ausstattung.
Hier, in der Fertigungshalle von Truck-Lite, stehen Männer und Frauen, hauptsächlich Frauen, an Automaten, an Bändern, an Kisten, und bauen Lämpchen und Blinker aller Art zusammen und prüfen sie.
„Das ist jetzt ne Kennzeichenleuchte von Ford.“
Die Leuchte sichert dieser Frau einen vollen Lohn seit zwölf Jahren. Stück für Stück.
„Am Tag in der Schicht, sagen wir mal, wenn wir zu zweit hier sitzen 3200 Teile.“
Momentan habe sie den Eindruck, dass ihre Firma verschont bleiben könnte vom großen Crash, sagt diese Mitarbeiterin. Noch habe sie keine Sorge um ihren Arbeitsplatz. Die Firma sei gut, sie sei froh, hier zu arbeiten. An ihrer Kollegin gehen die Meldungen über die großen Auftraggeber wie Mercedes, nicht spurlos vorbei.
„Weil wir auch Kredite haben und sehen müssen, das man finanziell irgendwie zurecht kommt.“
Werkleiter Ralf Urban geht grüßend durch die Fertigungshalle. 180 Beschäftigte gehören zur Firma, zusätzlich 30 Zeitarbeiter. Das waren vor Kurzem noch hundert. Die meisten musste er wieder nach Hause schicken. Die festen Beschäftigten will er halten, so lange es geht. Aber natürlich: die Auftragseinbrüche der Autohersteller schlagen eins zu eins bei ihm durch.
„Im Vergleich Januar 2008 haben wir in diesem Januar etwa 30 Prozent weniger Abrufe unserer Kunden.“
Es kommen an einem Tag Bestellungen herein, die am anderen schon wieder zurückgezogen werden. Wer soll da planen, fragt Ralf Urban? Denn auch Truck-Lite bestellt Material, hat Lieferanten, denen gegenüber die Firma auch im Wort ist. Dazu komme, dass auch die großen Abnehmer gelegentlich nicht zahlen, und nicht frühzeitig Bescheid sagen, wenn sie ihre Produktion herunterfahren.
„Wir haben keine Kurzarbeit, erfreulicherweise sind wir noch nicht in der Situation. Aber wir sind in Verhandlungen mit unserem Betriebsrat, was die Flexibilisierung von unseren Arbeitszeitmodellen angeht, und haben da bisher einvernehmlich recht gute Lösungen gefunden, um nicht in Kurzarbeit gehen zu müssen.“
Vielleicht sei das Tal ja auch bald durchschritten. Andererseits drücke der Weltmarkt. Denn mit Preisen in Fernost oder Ost-Mitteleuropa können die Fachkräfte in Eisenach – trotz Ost-Abschlag nicht mithalten. Truck-Lite-Geschäftsführer Stephan Pfingsten:
„Es kommt häufig vor: man hat vertragliche Absprachen, die mit sehr spitzem Stift kalkuliert sind, das heißt: für uns ist die Marge ohnehin schon sehr gering. Über mehrere Jahre wird das kalkuliert. Und dann passiert es ihnen, dass in die Laufzeit der Projekte hinein die Kunden dann sagen: Ja, es tut uns leid, wenn sie nicht noch mal zehn Prozent mit dem Preis runter gehen, dann werden wir gucken, ob wir nicht im Weltmarkt jemanden finden, der es billiger machen kann.“
Auch Truck-Lite hat sich international aufgestellt. Der Eisenacher Betrieb mit Tradition produziert unter der Marke FER seit DDR-Zeiten, er wird mit der Wende privatisiert. 2002 übernimmt die amerikanische Penske-Gruppe die Mehrheit. Nun hat Truck-Lite Standorte in Polen, Weißrussland und Mexico. Dahin müsse man zunehmend ausweichen, sagt der Firmenchef. Das ingenieurtechnische Knowhow bleibe aber weiter hier das große Pfand.
Ingenieure von Truck-Lite waren es, die damals für die E-Klasse von Mercedes die Blinkleuchten in Seitenspiegel hinein konstruierten.
Bis zur Krise sei die Firma gesund gewesen, sagt ihr Chef, man wollte expandieren am Standort Eisenach. Doch nun werde ihr von der Bank eine Kreditlinie nicht verlängert. Eigentlich wäre es eine Formalie gewesen.
„Man sagt uns zwischen den Zeilen recht deutlich, dass es einzig und allein mit unserer Zugehörigkeit zu dieser Industrie zu tun hat. Das heißt, die Automobilindustrie wird von den Banken sehr skeptisch gesehen.“
Von den Banken, die nun von Steuergeldern gestützt werden. Steuern, die sie als Firma erwirtschaften. Hier stehe Vieles auf dem Kopf, sagt Stephan Pfingsten. Die alten Werte gelten nicht mehr.
„Ich glaube nur, dass sich die Probleme nicht auf die Wirtschaft beschränken, also auch nicht auf die Automobilindustrie. Genauso wie das Ganze keine Finanzkrise ist. Sondern ich glaube, das ist eine Krise unseres westlichen Wertesystems, wo es in den letzten Jahren – wir alle, ich schließe mich da nicht aus – drauf gedrillt werden ‚erstmal Ego‘, erstmal ich selbst, wie komme ich selbst am besten weiter, wie mache ich Karriere.“
Die Krise könne aber, so hofft der Unternehmer, einen Umschwung bewirken. Zurück zu den alten Werten, wie sozialer Verantwortung, wie Respekt und Verlässlichkeit. Denn das dies alles auf der Strecke blieb, sei der wahre Grund der Krise.
Der Zuzulieferer
Beispiel Schleswig-Holstein
Von Matthias Günther
Die Krise auf dem Automobilmarkt hat längst auch den hohen Norden getroffen, denn auch hier gibt es eine ganze Reihe von Zulieferfirmen. Das erste Unternehmen mit rund 100 Beschäftigten hat schon vor Weihnachten Insolvenz angemeldet. Andere Firmen haben Kurzarbeit beantragt oder angekündigt. Darunter sind große Zulieferer mit 1000 Beschäftigten, aber auch kleine – wie ein Zulieferer von Zulieferern bei Bad Segeberg: die Firma heißt „Holstein Flachs“ und versorgt unter anderem die großen Zulieferer der Autokonzerne mit Flachsfasern zur Herstellung von Bremsbelägen.
Die Maschinen stehen still. Egon Heger ist an diesem Nachmittag allein in der Firma. Er ist Geschäftsführer von Holstein Flachs in Mielsdorf bei Bad Segeberg. Für die fünf Mitarbeiter hat er Anfang des Jahres Kurzarbeit beantragt:
„Wir haben statt zwei Leuten in der Produktion maximal einen, und statt fünf Tage arbeiten wir vier Tage. Wenn die Bestellungen gegen Ende des Monats reintrudeln – Kurzarbeit ist ein angenehmes Instrument –, kann ich sofort drauf reagieren. Und wenn sie es nicht tun, dann werden wir es eben weiter auf kleiner Flamme köcheln lassen.“
Holstein Flachs produziert hauptsächlich Fasern für Bremsbeläge. Aus Flachs kann eben nicht nur Leinen hergestellt werden. Die Firma hat schon Anfang der 90er Jahre nach Alternativen gesucht, denn die Produktion von Garnen für die Textilindustrie lohnte sich nicht mehr:
„Wir haben damals schon begonnen, eine ganz spezielle Faser für die Reibbelag-Industrie herzustellen. Reibbeläge: das sind Bremsbeläge oder Kupplungsbeläge, wie man sie in Automobilen, aber auch Zügen und so fort findet. Und das hat sich aus wirklich kleinen Anfängen inzwischen zu einem Kerngeschäft entwickelt.“
Vor allem die Automobilbranche war schnell an Spezialfasern aus Flachs interessiert – für Bremsbeläge, aber auch für Karosserie-Formpressteile und Rohre von Kühlsysteme. Die Firma Holstein-Flachs beliefert die Automobilhersteller allerdings nicht direkt:
„Wir liefern an einen Zulieferer. Mit dem schließt man eine Geheimhaltungsvereinbarung ab und erwartet, dass er seinerseits dann auch nicht mit anderen über das gelieferte Material plaudert.“
Soviel immerhin verrät Egon Heger: für Daimler-Benz liefert Holstein Flachs Fasern, aus denen Formpressteile für die Karosserie der Marke mit dem Stern hergestellt werden, wie er sagt. Darüber, welche Autos mit Flachsfasern aus Mielsdorf bremsen, schweigt er:
„Wir hören das in der Regel nicht, in welchem Automobil unsere Produkte verbaut sind. Und wenn wir es hören, dann vergessen wir es gleich wieder. Also wenn ich jetzt mal an Bremsbeläge denke, dann meine ich schon, dass wir in fünf, sechs Herstellern inzwischen einigermaßen gelandet sind.“
Die starke Abhängigkeit von der Automobilbranche ist in der Firma seit Monaten spürbar. Einer der Zulieferer, die Flachsfasern aus Mielsdorf beziehen, hat gerade Insolvenz angemeldet:
„Jetzt liegt auf dem Tisch ein Schreiben des Insolvenz-Verwalters: Bitte liefern, das operative Geschäft geht weiter, aber wenn Ihr geliefert habt, dann – Pech gehabt, sorry, kriegt nichts oder ihr kriegt nur eine kleine Quote.“
Für eine kleine Quote liefert Holstein Flachs aber keine Fasern. Und frühere Rechnungen hatte der Kunde noch bezahlt.
„Wir haben glücklicherweise bei dem Genannten eben nichts offen.“
Egon Heger sieht aber auch bei anderen Kunden Anzeichen der Krise:
„Wir merken schon, dass der eine oder andere seine übliche Zahlungsweise nicht einhält. Umgekehrt gibt es auch sehr gute Beispiele, also ich will jetzt nicht alle unsere Kunden in Bausch und Bogen verdammen, um Gottes Willen, aber die Schere geht einfach auseinander, das muss man sagen. Es gibt welche, die zahlen perfekt, da läuft alles wunderbar, bei anderen, na ja, da würde man auf dem Lande sagen, die suchen in Krümeln, damit sie vier Wochen später zahlen können.“
Dass schon im vorigen Quartal weniger Autos hergestellt wurden, hat sich auf den Absatz bei Holstein Flachs unerwartet stark ausgewirkt. Eine Prognose für dieses Jahr fällt Egon Heger schwer. Aber er hält die Firma für durchaus überlebensfähig:
„Also wir haben gute Chancen, auch durch diese Krise hindurch zu kommen. Aber so etwas funktioniert natürlich auch nur, wenn Banken entsprechende Darlehensrahmen zur Verfügung stellen. Und man kann heute nicht sagen, dass die Banken nun gerade sehr begeistert wären, die Wirtschaft, insbesondere kleine und mittlere mittelständische Unternehmen mit Liquidität zu versorgen.“
Insoweit ist also nicht nur die Krise der Automobilbranche in Mielsdorf bei Bad Segeberg angekommen, sondern auch die Finanzmarktkrise. Wenn Egon Heger aber einen Kredit – er spricht von einer sechsstelligen Summe – bekommen könnte, dann würde er zu derzeit günstigen Preisen Rohstoffe einkaufen und weiter produzieren – auf Vorrat. Denn Bremsbeläge werden irgendwann wieder gebraucht – nicht nur in neuen Autos, auch in den alten.
„Die Autos werden gefahren, die Leute bremsen damit, die Bremsbeläge gehen irgendwann kaputt und müssen ersetzt werden. Ein Auto bleibt nicht stehen, nur weil es keine Reibbeläge mehr gibt. Der Markt wird damit versorgt werden. Und ich könnte natürlich jetzt – unter vernünftigen Marktgesichtspunkten – könnte ich Rohstoffe einkaufen und die jetzt schön kontinuierlich durcharbeiten.“
Wenn Egon Heger dafür keinen Kredit bekommt, dann können er und seine fünf Mitarbeiter nur hoffen, dass Bremsbeläge möglichst schnell knapp werden, damit neue Flachsfasern gebraucht werden und bei Holstein Flachs wieder voll gearbeitet werden kann.