Wenn der Leser mitschreibt

Leser finanzieren Bücher, Laien machen Journalismus: Die Grenze zwischen Kulturschaffenden und Publikum verschwimmt in der digitalen Welt immer mehr, glaubt Dirk von Gehlen. In seinem neuen Buch zeigt er, wie die Zusammenarbeit schon heute funktioniert.
Was hat ein Fußballspiel mit Kunstproduktion zu tun? Nicht allzu viel, möchte man meinen. Dirk von Gehlen aber sieht das völlig anders: Künstler können vom Fußball lernen, dass nicht nur das Ergebnis zählt, sondern auch das Spiel selbst. Denn was besonders fasziniert, ist die Dramatik auf dem Platz, das gemeinschaftliche Erleben, das Event. Genauso könne auch Kunst im digitalen Zeitalter funktionieren, so die These des Autors. Wer andere an der Entstehung seines Werkes teilhaben lässt, könne daraus ein einzigartiges Erlebnis kreieren - und damit Geld verdienen.

Schon seit einigen Jahren beschäftigt sich Dirk von Gehlen, der bei der "Süddeutschen Zeitung" für Soziale Medien und Innovation zuständig ist, mit der Frage, wie die Digitalisierung die Kulturbranche verändert. In seinem vorherigen Buch "Mashup - Lob der Kopie" hat er beschrieben, wie mit digitaler Technik Inhalte immer leichter (illegal) kopiert und weiterverarbeitet werden können – oft zum Leidwesen von Künstlern und Autoren, die dadurch Einbußen befürchten. In seinem neuen Buch diskutiert er jetzt mögliche Lösungen, besser gesagt, probiert sie aus: Wer bereit war, sich an der Finanzierung seines Buches zu beteiligen, erhielt regelmäßig Updates vom Fortgang des Schreibens, konnte Rückmeldung geben und wurde am Ende mit der Druckfassung belohnt. Neu ist dieser Vorgang allerdings nicht. Schon andere haben mithilfe der Internet-Community ein Projekt umgesetzt. Spannend aber ist die Frage, ob sich aus solchen Einzelbeispielen ein Grundprinzip für die digitale Kulturproduktion ableiten lässt?

Davon ist Dirk von Gehlen überzeugt. Die neue Qualität sieht er vor allem darin, dass die Grenze zwischen Autor und Publikum in der digitalen Welt verschwimmt. Damit rückt der Prozess in den Mittelpunkt. Anstelle eines fertigen Produkts werden immer wieder neue, aktualisierte Versionen geschaffen. An verschiedenen Projekten und in Interviews mit Protagonisten aus der Softwareentwicklung macht er deutlich, wie diese Zusammenarbeit schon heute funktioniert, etwa bei Wikipedia, im Open Journalism des britischen "Guardian" oder beim "Liquid Newsroom".

Auch wenn es (noch) offen ist, wie viel Geld damit tatsächlich verdient werden kann, hat von Gehlens Buch dennoch seinen Reiz. Anders als viele seiner Kollegen legt er den Fokus auf den konstruktiven Umgang mit Veränderungen. Auch wenn er damit gleichzeitig Widerspruch provoziert. Denn dass diese Art der Kollaboration mit dem User auch für fiktionale Kunst geeignet ist, darf bezweifelt werden. "Breaking Bad"-Erfinder Vince Gilligan etwa erklärte kürzlich, dass er die vielen Vorschläge aus der Fan-Community bewusst ignorierte. Und die Britin Silvia Hartmann, die ihre Leser beim Schreiben ihres Romans "The Dragon Lords" zuschauen ließ und die von Gehlen in seinem Buch interviewt hat, antwortete auf die Frage, ob sie das Projekt wiederholen würde, salomonisch: "Das Ganze war ein Versuch." Doch klare Antworten hat Dirk von Gehlen auch nicht versprochen. Die Diskussion zu befruchten, ist ihm allemal gelungen.

Besprochen von Vera Linß

Dirk von Gehlen: Eine neue Version ist verfügbar. Update. Wie die Digitalisierung Kunst und Kultur verändert
Metrolit Verlag, Berlin 2013,
144 Seiten, 12,99 Euro