Wenn der Computer Auto fährt

Von Jens Wellhöner · 20.03.2012
Auf der Autobahn fahren und dabei Zeitung lesen ist eine Zukunftsvision. Aber die Hersteller arbeiten an Assistenzsystemen, die das Auto automatisch steuern. Der Fahrer muss dabei zwar weiter den Verkehr im Auge behalten. Lenken, bremsen und Gas geben übernimmt der Computer.
Auf der Teststrecke des VW-Werks bei Wolfsburg: Der Fahrer sitzt zwar hinterm Steuer. Aber seine Hände wühlen im Handschuhfach. Der Computer steuert währenddessen das Auto. Plötzlich liegt ein Hindernis auf der Straße: Die Computerstimme warnt den Fahrer rechtzeitig. Das neue Fahrassistenzsystem hat den Test bestanden.

Ein Auto, das auch ohne Fahrer fährt: Mehrere Hersteller forschen zurzeit daran, unter ihnen Daimler, BMW und VW. Ganz ohne Kontrolle durch den Fahrer kommen die neuen Systeme noch nicht aus. Deswegen werden sie auch nur vorübergehend eingeschaltet, nicht während der ganzen Fahrt. VW nennt sein neues System "Temporary Auto Pilot", also Autopilot, der nur vorübergehend aktiv ist.

Arne Bartels hat es mit entwickelt. Er arbeitet in der Konzernforschung in Wolfsburg und lädt mich zu einer Demonstrationsfahrt ein. Es geht auf die Autobahn. Noch ist alles ganz normal. Der Fahrer lenkt und bremst. Der Computer übernimmt nur in bestimmten Situationen:

"Erstens auf der Autobahn. Und zweitens, wenn dem Fahrer langweilig ist. Also wenn er keine Freude mehr am Fahren hat. Zum Beispiel im Stau. Oder bei Langstreckenfahrten von Hamburg nach München, wenn man da noch in den Stau kommt, da wünscht m an sich dann irgendwann ein System, wo man nur aufs Knöpfchen drückt und sagt: Diese langweilige Fahraufgabe möchte ich nicht selber durchführen sondern delegiere das ein Stück weit ans Auto."

Möglich machen es mehrere Rechner, die hinten im Kofferraum liegen. Sie bilden ein Netzwerk und steuern das Auto, wenn es der Fahrer wünscht. Dieser Moment kommt: Bei Tempo 100 auf der Autobahn:

"Jetzt fahren wir automatisch. Und hat gar nicht wehgetan!"

Zweimal zieht der Fahrer an einem Hebel neben dem Lenkrad und das TAP-System ist aktiviert. Jetzt kann der Fahrer buchstäblich die Hände in den Schoß legen. Möglich machen es Kameras und Sensoren, die übers Auto verteilt sind:

"Das sind Kamerasensoren. Das sind Radarsensoren und Ultraschallsensoren. Diese Sensoren erkennen im Wesentlichen zwei Dinge. Erstens: Wo muss ich lang fahren, wo ist meine Fahrstrecke? Zweitens: Ist die Strecke auch frei, befinden sich dort Hindernisse?"

Das System sieht fast wie das menschliche Auge: Es erkennt den Mittelstreifen, Leitplanken und andere Fahrzeuge, die vor dem eigenen Auto fahren. Das Auge des Systems besteht dabei aus mehreren Teilen. Herzstück ist eine Stereokamera, eingebaut hinter den Seitenspiegeln des Autos. Sie ist eine neue Entwicklung der Ingenieure um Arne Bartels:

"Diese Stereokamera hat eben den Vorteil, dass sie eben nicht nur Markierungslinien und Verkehrszeichen erkennt, sondern sie kann eben auch andere Fahrzeuge erkennen."

Neben der Stereokamera hat das TAP-System auch einen Radarsensor. Er misst den Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen. Und einen Ultraschallsensor. Der erkennt alles, was unmittelbar vor dem Auto liegt und fährt. Diese Kameras und Sensoren liefern ihre Daten an die Rechner im Kofferraum. Die analysieren blitzschnell die Lage und schicken Befehle wie "Rechts Steuern!" oder "Links Steuern!" an den Stellmotor des Lenkrads. So bewegt sich das Auto ganz ohne Eingreifen des Fahrers. Aber: Das System hat noch Schwächen:

"Es gibt immer noch Situationen, die wir nicht beherrschen. Die Kiste fällt vom LKW. Der Fahrer muss dann notbremsen oder notausweichen. Das beherrschen wir aktuell noch nicht. Deswegen muss der Fahrer noch aufpassen und dann gegebenenfalls eingreifen, wenn so etwas passiert."

Wenn plötzlich ein Hindernis auf die Straße fällt, dann muss der Fahrer in Sekundenbruchteilen reagieren. Wenn er erst zum Bedienhebel greifen müsste, um den Autopiloten auszustellen, würde das viel zu viel Zeit kosten. Deswegen haben die Ingenieure eine Sicherung eingebaut: Sobald der Fahrer ans Lenkrad fasst, selber bremst oder Gas gibt, stellt sich das Fahrassistenzsystem von selbst aus.

So bleibt genug Zeit, um die Gefahr zu umfahren. Das heißt aber auch: Der Fahrer muss immer aufmerksam sein, langes Wühlen im Handschuhfach könnte auch mit dem neuen System fatale Folgen haben. Um zu kontrollieren, ob der Fahrer aufmerksam ist. haben die Ingenieure noch eine Kamera installiert. Die ist im Armaturenbrett eingebaut, direkt hinterm Lenkrad. Und schaut dem Fahrer in die Augen:

"Wenn der Fahrer geradeaus guckt, seinen Blick auf die Straße richtet, ist alles im grünen Bereich. Wenn er jetzt aber längere Zeit anfängt, im Handschuhfach zu kramen oder an der Navi irgendwas einzustellen: Dann weisen wir den Fahrer dezent darauf hin, dass er das bitte nicht mehr machen sollte. Und wenn er dann nicht reagiert, dann noch mal intensiver."

Sollte der Fahrer dann immer noch nicht reagieren, bremst das System selbständig und fährt auf den Seitenstreifen. Das kann Leben retten, wenn der Fahrer zum Beispiel einschläft oder einen Herzinfarkt erleidet. Noch ist das TAP-System in der Testphase.

Viele Einzelteile des neuen Fahrassistenzsystems gibt es schon serienmäßig - bei vielen Herstellern. Zum Beispiel den Radarsensor, der andere Fahrzeuge erkennt oder die Kamera, die den Fahrer beobachtet. Weltweit wird an Systemen geforscht, die immer sicherer werden. Und den Menschen als Fahrer irgendwann sogar überflüssig machen sollen. Doch das ist noch ferne Zukunft.
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