Wenn der Blitz einschlägt

Von Lutz Reidt · 27.08.2012
Jedes Jahr werden in Deutschland bis zu 50 Menschen direkt oder indirekt vom Blitz getroffen, einige von ihnen sitzen dabei auch im Auto. Was bei einem solchen Blitzschlag genau passiert und worauf Autohersteller und Autofahrer achten sollten, untersuchen Forscher der TU Darmstadt.
Krachend schlägt ein Blitz ins Dach des Autos ein. Der Strom, der nun über die Metallkarosserie abfließt und die elektromagnetischen Felder, die sich dabei aufbauen, offenbaren dem Betrachter das Kaleidoskop eines Blitzeinschlags.

Rot steht für hohe Feldstärken und bedeutet Gefahr, wie sie jetzt außen lauert, um das Auto herum. Blau dagegen signalisiert niedrige Feldstärken und ist dort zu erkennen, wo der Strom entlang der Metallkarosserie zum Boden abfließt. Die graduellen Unterschiede dazwischen sind in Farbtönen aus Grün, Gelb und Orange gehalten. Gebannt schaut Irina Munteanu auf den Monitor in ihrem Büro und beobachtet das farbenprächtige Spektakel:

"Wir wollten sehen, wie gut ein Mensch in einem Auto geschützt ist. Also, ein Blitz trifft hier auf dem Dach ein und fließt in die Erde durch die Räder ab."

Irina Munteanu ist Professorin am Institut für die Theorie Elektromagnetischer Felder an der Technischen Universität Darmstadt. Die aus Rumänien stammende Forscherin simuliert in einem Forschungsschwerpunkt die Folgen von Blitzschlägen mit Hilfe von 177 Hochleistungscomputern, die zu einem so genannte Cluster zusammengefasst sind.

Für die Simulation wird das Auto mit dem Insassen darin aufgeteilt in ein dreidimensionales Rechengitter von bis zu eine Milliarde Untervolumen – vergleichbar mit identisch großen Legosteinen, durch die der Blitz fährt. Bei dieser quaderförmigen Aufteilung muss der Rechnerverbund sechs Milliarden Zahlenwerte für die Feldstärke berechnen – und das an bis zu 150.000 Zeitpunkten immer wieder aufs Neue, wenn der Blitz ins Auto einschlägt und sich die Energie ihren Weg zum Boden bahnt.

Irina Munteanu schleudert in ihrer Simulation jetzt einen Blitz auf ein Auto mit großen Fenstern und einem transparenten Panorama-Schiebedach. Das beruhigende Blau an der virtuellen Metallkarosserie signalisiert, wie ein Großteil der Blitzenergie zum Boden abfließt. Doch im Bereich des Schiebedaches wölbt sich eine große rote Beule mit orangefarbenem Rand tief hinein in den Fahrgastraum und umschließt den Kopf des Fahrers:

"Wenn man ein Schiebedach hat und entweder das Schiebedach ist auf - was man normalerweise bei Sturm nicht machen würde - oder aber es ist ein Schiebedach aus Glas ohne Metalldeckel oder ein metallisches Netz, das in diesem Plastikteil eingebaut ist, dann sieht man, dass das elektrische Feld relativ groß wird und insbesondere im Bereich des Kopfes des Fahrers. In dem Fall kann es gefährlich für den Menschen werden."

Das Auto bildet also keinen perfekten Faradayschen Käfig - das ist ein Metallkörper, der nach Michael Faraday benannt ist. Der englische Naturforscher fand im 19. Jahrhundert heraus, dass das elektrische Feld im Inneren eines geschlossenen und leitfähigen Körpers verschwindet.

Allerdings sollte dieser Körper - anders als ein Auto - keine Glasfenster haben. Deutlich ist in der Simulation zu erkennen, dass nicht nur unterhalb des Schiebedaches die leuchtend rote Farbe ein starkes elektrisches Feld signalisiert, sondern auch hinter der Fenstern, vorn zum Beispiel im Bereich des Lenkrades. Der Faradaysche Käfig offenbart also große Lücken, räumt der Elektrotechniker Stephan Koch ein:

"Im wesentlichen ist es natürlich so, dass der Blitz im Dach einschlägt und sich seinen Weg zum Boden sucht, so dass natürlich in jedem Fall in den metallischen Teilen ein Strom fließt und der Strom als solcher erzeugt wiederum ein magnetisches Feld, was natürlich jetzt ungehindert durch die Fenster eindringen kann und wiederum elektrische Ströme im menschlichen Körper erzeugen kann. Das ist das, was man dort sehen kann. Das ist der Effekt, warum das in den Innenraum vordringen kann, das Feld."

Der Schutz vor einem Blitzschlag ist im Auto allerdings deutlich größer als außerhalb, betont Stephan Koch und deutet auf den Bereich um den Wagen herum, der grellrot aufleuchtet.

"Dennoch ist es so, dass man natürlich - wie man hier auch sieht - sicherer ist im Auto. Sicherer als wenn man mit einem Meter Schritt auf dem Feld steht."

Für Frischluftfreunde unter den Autofahrern müssen die Erkenntnisse der Darmstädter Blitz-Simulationsforschung nicht zwangsläufig bedeuten, auf Schiebedächer beim Autokauf zu verzichten. Nur sollten die Hersteller einen Rat beherzigen:

"Es reicht aus, wenn in dem Schiebedach ein metallisches Netz eingebettet ist. Das reicht aus. Das würde dann wiederum unseren Faradayschen Käfig vervollständigen - wenigstens im Bereich des Autodaches."

Eine metallbeschichtete Jalousie unterhalb des Glasdaches würde ebenfalls guten Schutz bieten - gleiches gilt für Metalldrähte, die engmaschig in die Stoffverdecke von Cabriolets eingewoben sind. Unabhängig davon raten die Darmstädter Forscher dringend, bei Gewittern den nächsten Parkplatz anzusteuern. Denn die empfindliche Bordelektronik, die Servolenkung, Bremskraftverstärker und vieles mehr im Auto steuert, kann durch einen Blitzeinschlag ebenfalls geschädigt werden, so dass der Wagen nur noch schwer oder überhaupt nicht mehr seinem Fahrer gehorcht:

"Davon würde ich ausgehen, dass wenn ein Blitz einschlägt und entsprechend die Ströme fließen und die elektromagnetischen Felder sehr hoch sind, dass dort sicherlich auch die Bordelektronik entweder Schaden nimmt oder zumindest resetted werden muss."

Das Interesse der Darmstädter Forscher gilt auch den Auswirkungen von Blitzeinschlägen in Flugzeugen. Außerdem werden virtuelle Menschen in Simulationen den Blitzen ausgesetzt, um mehr darüber zu erfahren, was bei einem Blitzschlag passiert:
"Diese Forschungen, diese Simulation wollen wir ein bisschen weiter verfolgen, um genaue Werte des Stromes und des elektrischen Feldes im Menschen zu bestimmen und sie mit den Standards zu vergleichen, mit den Sicherheitsschwellen zu vergleichen."
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