Wenn der alte Indianer wieder lächelt

Von Jürgen König · 16.10.2013
Wie präsentiert man eine ethnologische Sammlung zeitgemäß? In Berlin-Dahlem wurde dazu eine Art Versuchslabor eingerichtet. Es soll Ideen für das neue Humboldtforum liefern. Ein erstes Ergebnis: Historische Fotografien der indigenen Bevölkerung Südamerikas sind hier lebensgroß und animiert auf Leinwand zu sehen.
Seit es die Idee gibt, mit dem "Humboldtforum" in der Mitte Berlins im neu zu errichtenden alten Stadtschloss ein "Zentrum der Weltkulturen" entstehen zu lassen, muss sich das Unternehmen mit dem Vorwurf inhaltlicher Unschärfe herumschlagen.

Diese Vorhaltungen waren zumindest während der ersten Jahre mehr als berechtigt – seit knapp drei Jahren indes arbeitet der Schweizer Kulturmanager und Ausstellungsmacher Martin Heller daran, die eher diffusen Konzepte der Frühzeit auf konkretere Füße zu stellen. Vor allem mit dem Humboldt Lab: Es ist Labor, Ideenschmiede, Probebühne. Mit Versuchsausstellungen wird getestet, auf welche Weise die ethnologischen und außereuropäischen Kunstsammlungen im Humboldtforum anders als im Stil klassischer Museumspräsentationen gezeigt werden können. Zu nennen wäre etwa das Projekt "Fotografien berühren" des Ethnologen Michael Kraus, der im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem im Rahmen eines Forschungsprojektes die historischen Sammlungen mit Porträtfotografien der indigenen Bevölkerung Südamerikas aufarbeitete.

"Bei der Bearbeitung habe ich über zwei Jahre hinweg quasi Tag für Tag diese Bilder zu Gesicht bekommen, und was aufgefallen ist, ist eben, dass wir ganz stark diese typisierenden Informationen haben. Ethnien, Volkszugehörigkeiten, viele Informationen manchmal über den Fotografen, ganz wenig eigentlich über Biografien, über konkrete Einzelpersonen."

Wer waren diese Menschen, die uns da auf den Fotos stumm ansehen? Viele Informationen fand Michael Kraus nicht, einige aber schon. Da manche der fotografierenden Forscher ihre "Modelle" bei späteren Reisen gezielt immer wieder aufsuchten, schrieben sie auch einige Details über sie auf, machten damit Lebensläufe zumindest grob erkennbar.

"Die Idee war, diese Einzelpersonen in den Fokus einer Ausstellung zu stellen. Nicht DIE Camayorah, nicht DIE Chip Ibob, obwohl das auch interessante Ausstellungen sein können – also was Neues zu entwickeln heißt nicht, dass man das andere nicht mehr mag, sondern eine Zentrierung zu finden, die auch von diesem exotisierenden Blick: Wir und die anderen. Oder die Exotikfalle: 'Guck, Amazonas-Indianer!' - die mich faszinieren, mir aber trotzdem fremd bleiben. Ein Stück weit wegzukommen, das zu überwinden und zu zeigen, das sind Menschen wie du und ich. Mit einer bestimmten Biografie, von der wir Informationen aus bestimmten Begegnungskontexten haben - und das den Besuchern zu verdeutlichen."

Die Animationen lösen Verblüffen und Neugier aus
In der Ausstellung sieht der Besucher zunächst die porträtierten Männer und Frauen in Form lebensgroßer Fotos, mittels Projektor auf eine Leinwand geworfen und - vom Gestalterbüro "chezweitz" – animiert. Ein enormer Effekt: Hier hebt sich plötzlich eine Augenbraue, dort zeigt sich ein Lächeln – mit kleinen Gesten werden einzelne Amazonas-Indianer des späten 19. Jahrhunderts lebendig.

"Der Gewinn im Projekt ist tatsächlich die Zusammenarbeit, die sehr gut funktioniert hat zwischen den Gestaltern und dem Kurator. Wenn ich nur die Geschichten erzähle, laufe ich Gefahr, dass es irgendwann doch statisch bleibt oder vielleicht überfrachtet ist, langweilt. Wen n ich nur die Bilder zeige, fehlt die Information dahinter. Was das Gestalterbüro 'chezweitz' hier geschafft hat, ist: durch diese Animation tatsächlich dieses Verblüffen auszulösen, diese Neugier zu erzeugen, diese Offenheit, die wir dann versuchen, mit den Geschichten, mit den Geschichtsfragmenten, die wir besitzen, zu füllen."

In Hörstationen werden dem Besucher diese "Geschichtsfragmente" erzählt. Mit Tageslichtprojektoren kann er Folien an die Wand werfen mit Fotos und Informationen, anhand derer Lebensläufe rekonstruiert werden können. Das waren:

"Teilweise Karrieren interessanterweise – durch den Kontakt mit Wissenschaftlern, weil sie dafür bezahlt wurden, weil sie einen ökonomischen Vorteil hatten, weil sie auf einmal im Besitz von Schusswaffen waren, die andere nicht hatten und dass auch ausnutzen konnten im Sinne des Erringens einer Vormachtstellung in der eigenen Region. Teilweise waren es tragische Lebensläufe, da wir Ende des 19. Jahrhunderts diesen Kautschuk-Boom in Südamerika hatten, also durch das aufkommende Fahrrad und die Autoindustrie - und in Südamerika unter brutalen Bedingungen Menschen versklavt wurden, in die Wälder gezwungen wurden, um diesen Rohstoff zu besorgen und auch das ist im Bild festgehalten."

Es sind dies tatsächlich neue Möglichkeiten, die Sammlungen ethnologischer Museen publikumswirksam zu erschließen. Martin Heller ist mit derlei Ideen sehr zufrieden. Was ins Humboldtforum übernommen wird, steht noch nicht fest. Humboldt-Universität und Zentral- und Landesbibliothek inhaltlich einzubinden, ist nicht Aufgabe des Humboldt Labs - fürs "große Ganze", so Martin Heller, müsste 2015 eine Gründungsintendanz geschaffen werden.

"Gerade wenn man einen Mitarbeiterstab zusammenstellen muss, der dann das Humboldtforum betreiben muss, braucht es eine Lead-Persönlichkeit, die auch weiß, warum sie welche Leute auswählt. Und das Zweite ist, dass das Humboldtforum natürlich nie ein Autorenprojekt werden wird, dazu gibt es zu viele Mitspieler. Die Kunst ist – und dazu braucht es eine Generalintendanz – diese verschiedenen Mitspieler dennoch auf ein Gemeinsames zu verpflichten und mit ihnen auch Dinge herauszuarbeiten, die dann für das Humboldtforum als gesamte Institution von Wert sein können – das ist das, was die Straße, der Weg des Humboldtforums sein wird."

Womit die oder der neue Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gleich eine schöne Herausforderung zu meistern hätte.