Wenn das Postfach explodiert

Von Tarik Ahmia |
Unerwünschte Werbung - kurz Spam - kommt mittlerweile per Fax, Telefon und Handy. Und die Spammer rüsten immer weiter auf. Nun holen Verbraucherschützer, Juristen und Techniker zum Gegenschlag aus.
SPAM - einst nur als Markenname für Dosenfleisch aus den USA bekannt - steht heute für eine Plage der modernen Kommunikationsgesellschaft: unerwünschte, nervige Werbung, meist per E-Mail oder Telefon.

Am schlimmsten ist bislang die elektronische Post betroffen. Werbung für Potenzmittel, Aktien oder Glücksspiele nerven nicht nur die Kunden, sondern belasten auch die Infrastruktur der Internet-Provider, sagt René Wienholtz, Technikvorstand beim Webhoster Strato:

"Man kann sagen, deutlich über 90 Prozent, eigentlich so um die 95 Prozent dessen, was im Internet an E-Mails bewegt wird, ist SPAM, ist Werbemüll. Fünf Prozent dessen ist also der Nutzanteil. Aus dem Grund ist es bei 200 bis 250 Millionen Mails, die bei uns täglich aufschlagen ein sehr großes Problem."

Rund 30 Hochleistungsserver und mehrere Techniker sind bei Strato ausschließlich damit beschäftigt, die unerwünschte Post herauszufiltern. Spammer und Provider spielen dabei ständig Katz und Maus, um mit den neusten Tricks dem Gegner einen Schritt voraus zu sein. Dafür arbeitet Strato mit der Humboldt Universität und der Max-Planck Gesellschaft zusammen.

Die Methoden der Spam-Versender, werden immer raffinierter. Einige der Werbe-Mails sollen etwa gezielt Aktienkurse in die Höhe treiben, sagt der Berliner Medienrechtler Christlieb Klages.

"Man nennt das Pump & Dump-Kampagnen. Dadurch sollen Aktienkurse künstlich hochgetrieben werden. Dann werden die Aktien selber veräußert und sinken daraufhin wieder ins Bodenlose: Pump & Dump."

Häufig wird die Werbung auch in angehängten Bildern versteckt. Die neuste Spammer-Masche ist jedoch, unerwünschte Werbung als Sprachnachricht einer E-Mail anzuhängen. In schlechter und stark verzerrter Tonqualität wird etwa für Aktien geworben.

"MP3-Spam ist eine relativ neue Art. So seit dem Sommer sehen wir die ersten Testläufe und das nimmt jetzt deutlich Fahrt auf."

Doch dank der Erkenntnisse aus der Wissenschaft sind die Spamfilter mittlerweile so schlau, dass sie auch Werbung in den E-Mail-Anhängen erkennen.

"Der Spammer versucht immer den Spamfilter darüber auszutricksen, dass er die Bilder ein klein wenig verändert, die Audiodateien anders abspielen lässt. Der Filter muss noch genügend unscharf eingestellt sein, als dass wir auch leichte Varianzen noch erkennen können. Das heißt eigentlich sind wir für zukünftige Arten wie Videospam gut gerüstet."

Weltweit stammen die meisten unerwünschten E-Mails aus den USA, China und Polen. Doch während beim Computer Spam-Filter die meisten Schrott-Mails von den Nutzern fernhalten, ist man am Telefon den unerwünschten Anrufen bislang schutzlos ausgeliefert - denn Spam-Filter für das Telefon gibt es nicht. Dabei haben auch die Telefon-Spammer technisch längst aufgerüstet. Vollautomatisch wählen ihre Computer pro Minute Tausende Anschlüsse nach dem Zufallsprinzip an und laden zu angeblichen Umfragen oder Gewinnspielen ein.

"Schön das Sie mitmachen! Bitte hören Sie sich die Frage jeweils bis zum Ende an und drücken dann für JA die 1 und für NEIN die Taste 2 Ihres Telefons. Als Dankeschön für die Teilnahme verlosen wir 7500 Euro. Die Befragung startet jetzt."

Allein im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 300 Millionen unaufgeforderte Werbe- und Verkaufsanrufe. Auch wenn diese so genannten Cold Calls nach heutiger Rechtslage illegal sind und mit Strafen bis zu 50.000 Euro geahndet werden können, ist den telefonischen Drückerkolonnen in der Praxis nur schwer beizukommen. Das liegt nicht nur an der Anonymität der Anrufer, sondern auch an der Rechtslage.

Noch immer herrscht etwa die paradoxe Situation, dass Anrufe ohne Einwilligung zwar verboten sind, ein dabei geschlossener Vertrag aber rechtskräftig ist. Es reicht, wenn der Telefonverkäufer behauptet, der angerufene Kunde hätte etwa dem Kauf eines Zeitschriften-Abos oder von Lotterielosen zugestimmt - eine schriftliche Bestätigung des Kunden ist nicht nötig. Auch das sonst übliche 14-tägige Rücktrittsrecht entfällt. Die Bundesregierung arbeitet zurzeit zwar an gesetzlichen Nachbesserungen. Wann die aber in Kraft treten, kann das Justizministerium zurzeit nicht sagen.

Zumindest für Telefonate über das Internet, sogenanntes Voice-Over-IP, könnte es in Zukunft Spamfilter geben. An der Universität Potsdam forschen Informatiker an Filtern gegen diese spezielle Plage.

"So ein Call Center hat ein ganz anderes Anrufverhalten als eine Privatperson oder als ein Kind, was ständig SMS durch die Gegend sendet. Wenn man das betrachtet und signifikante Abweichungen feststellt, dann kann man annehmen, dass es sich um ungewollte Anrufer handelt."

Der Informatiker Stefan Liske hat dafür eine Prognosetechnik entwickelt, die nach Bewertungssystem funktioniert, wie man es von ebay kennt: der Telefonnetz-Betreiber ermittelt aus dem individuellen Telefonverhalten eine Bewertung für die Vertrauenswürdigkeit des Anrufers. Wer etwa sehr viele Gespräche gleichzeitig führt, der macht sich als Telefon-Spammer verdächtig.

Aber auch mit der besten Technik wird uns der Werbemüll noch lange erhalten bleiben, da ist sich der Potsdamer Spam-Forscher ganz sicher.

"Wir müssen mit diesem Problem immer leben, weil Menschen dahinter stehen, die damit Geld verdienen. Solange sich damit Geld verdienen lässt, wird der Aufwand gerechtfertigt sein, weil sich damit mehr Geld verdienen lässt, als es kostet. Damit muss man leben."