Wenn das Leder im Kasten klingelt

Von Tobias Wenzel |
Wenn der Sprachwissenschaftler Armin Burkhardt, selbst Hobby-Kicker, ein Fußballstadion betritt, läuten die linguistischen Alarmglocken. Er analysiert Gesänge der Fans, Rufe, die Informationen der Anzeigetafel und die Durchsagen des Stadionsprechers. Zurzeit schreibt er an einem "Lexikon der Fußballsprache".
Armin Burkhardt liebt die Fangesänge seines Vereins: der Braunschweiger Löwen. Seit über 40 Jahren dreht sich Armin Burkhardts Leben um Fußball. Begeisterter Hobby-Kicker und treuer Braunschweig-Fan - das ist er. Und Träger eines blau-gelben Schals, bedruckt mit dem Namen des Fan-Clubs: "Im Zeichen des Löwen". Der Schal steht im Kontrast zu Burkhardts feiner Kleidung: zum edlen Hemd und zur Krawatte. Armin Burkhardt steht in seinem Büro an der Universität Magdeburg, neben einem Gettoblaster, der Fangesänge von sich gibt:

" Ich bin mit der Sportsprache eigentlich aufgewachsen, habe immer weiter Sport getrieben. Und dann bin ich Linguist geworden. Und eines Tages kam mir der Gedanke, ganz unabhängig von sportlichen Ereignissen wie jetzt der Confederations Cup, mich mal mit dem Ausschnitt aus der deutschen Sprache zu beschäftigen, mit dem ich mich in meiner Freizeit eben sehr viel beschäftigt habe."

Und das hat er getan, auch mit dem Mikrofon im Stadion:

Fangesänge (Dortmund): Jetzt geht's los, jetzt geht's los.

Wenn der Sprachwissenschaftler ein Fußballstadion betritt, läuten die linguistischen Alarmglocken. Überall wimmelt es von Sprache und Zeichen: Gesänge und Diskussionen der Fans, Rufe, die Informationen der Anzeigetafel, die Durchsagen des Stadionsprechers:

" Es ist ein Riesenfeld der Kommunikation. Deshalb habe ich auch gesagt: Der Sport, besonders Fußball, ist der Superdiskurs unserer Zeit."
Dieses Sprechen über Fußball nimmt auch deshalb solche Ausmaße an, weil wir oft darüber reden, um überhaupt über etwas zu reden:

" Damit ist gemeint, dass das eine ähnliche Rolle im Gemeinschaftsleben spielt wie das Reden über das Wetter. Man kann sich, man kann fast sagen: weltweit, mit allen möglichen Leuten, mit denen man sonst vielleicht nicht so viele Bezugspunkte hat, auf jeden Fall über Fußball unterhalten. "

Mit fast allen. Denn eine oft vergessene Minderheit findet den Fußball-"Superdiskurs" gar nicht super, weil er für sie schlicht Fachchinesisch ist:

Radioreporter Günter Koch (1989): Man hat nicht unbedingt durch eigene Kraft die Klasse erhalten. Das gilt für Frankfurt und auch für die Clubberer.

Ein Vereinsspitzname wie "Clubberer" reicht aus, um den Fußball-Laien zur Verzweiflung zu bringen, besonders, wenn ein klärendes Fernsehbild fehlt und ihm nur die Information aus dem Radio oder der Zeitung zur Verfügung steht:

" Man muss wissen, wer die Löwen sind, man muss wissen, wer die Geißböcke sind, man muss wissen, wer die Zebras sind, man muss wissen, wer die Galaktischen sind. Man muss wissen, wer der deutsche Rekordmeister ist. Sonst weiß man gar nicht, von welcher Mannschaft die Rede ist."

So ergeht es auch Armin Burkhardts Frau, die ihrem Mann zufolge überhaupt keine Ahnung von Sport hat. Deshalb sieht Armin Burkhardt die Fußballsprache bewusst mit ihren Augen und stellt fest, dass nicht nur komplexe Begriffe wie "Abseits" auf Unverständnis stoßen können, sondern auch scheinbar einfache Ausdrücke: Was bedeutet "abstauben", wieso "klingelt das Leder im Kasten"?

Reporter: Halbfinale Confed. Cup (Deutschland-Brasilien): Ganz starker Versuch des zukünftigen Schalkers. Und es gibt Eckball.

" Die Flugbahn des Balles wird gleich mitgedacht, sodass der ganze Ball, der durch die Luft fliegt, heißt: ein Eckball. Nun ist es aber gar kein eckiger Ball, sondern nur ein Ball, der von der Ecke getreten wurde."

Reporter: Halbfinale Confed. Cup (Deutschland-Brasilien): Erst die Chance von Ernst. Und dann der Eckball von Lukas Podolski verwandelt.

" Der Ball selbst wird dann noch als Eckball oder auch als Ecke bezeichnet. Und nur, weil es sich dann zum Glück um den Ball handelt, kann man dann die Ecke ins Tor köpfen."

Der gewöhnliche Fußball-Fan zuckt bei solchen Analysen mit den Schultern. Der Sprachwissenschaftler aber weiß: Ohne vieldeutige Wörter wie "Ecke" müssten Fußball-Reporter so viel reden, dass sie gar nicht mehr zum Luftholen kämen.