Wenn das Gaspedal mitdenkt

Von Thomas Wagner |
Der LKW ist zu einer High-Tech-Maschine geworden: Das moderne Führerhaus ähnelt mit den vielen digitalen Anzeigen verdächtig dem Cockpit eines Flugzeuges. Der Fahrer, der dort vor dem Lenkrad Platz genommen hat, ist darüber hinaus nie alleine: Unsichtbare Beifahrer, so genannte elektronische Fahrassistenz-Systeme, fahren immer häufiger mit - und sorgen für mehr Sicherheit im Brummi.
Selda Bulut, eine junge Frau Anfang 20, hat ein wenig Herzklopfen. Das Gebilde, das sie am Stand von Renault-Nutzfahrzeuge besteigt, ist eine Art Mischung aus LKW-Führerhaus und Formel-1-Cockpit: Sportlenkrad, Schalensitz, davor ein Riesenbildschirm, auf dem sich viele LKW bewegen. Das Ganze ist ein Simulator eines Race-Trucks, also eines für richtige Rennen umgebauten LKW.

"Jetzt kann's losgehen. Ich bin schon bei 140 km/h. Oh, eine Riesenkurve. Ein Gedrängel zwischen den ganzen Trucks. Man wird hin- und hergeschleudert. Und die Kurven! Dass man nicht aus den Kurven kommt. Man wird von den anderen Trucks weggedrängt..."

Wenige Augenblicke später: Game over. Selda Bulut ist mitsamt ihrem Truck aus der Kurve geschleudert - ein Glück, das Ganze ist nur eine Simulation. Damit so etwas in der Praxis nicht passiert, hat der Automobilzulieferer Conti einen elektronischen Beifahrer entwickelt - das "mitdenkende Gaspedal", das in der Fachsprache aber ganz anders heißt.

"Das ist ein Exzellerator-Force-Feedback-Paddel, also ein Gaspedal, das eine haptische Rückmeldung geben kann,"

so Elektronik-Experte Rolf Iserlohe von Continental. Der Kniff an dem System: Das mitdenkende Gaspedal hat Augen, die viel weiter nach vorne schauen können als der Fahrer. Das System ist mit einem GPS-Empfängerverbunden, das die Topographie hunderte Meter vor dem LKW analysiert: Steuert der LKW auf enge Kurven zu? Geht's nach 50 Meter überraschend steil bergab?

"Der elektronische Horizont sieht über die Kurve hinaus oder über die Kuppe hinaus schon, was vor Ihnen liegt: Er kann frühzeitig warnen oder frühzeitig Hinweise geben, dass ich rauf oder runter schalte."

In diesem Fall funktioniert das über ein heftiges Vibrieren des Gaspedals. In einer weiteren Entwicklungsstufe wäre es aber auch denkbar, dass das mitdenkende Gaspedal bei Gefahr im Verzug die Geschwindigkeit selbstständig drosselt, um ein mögliches Unfallszenario zu vermeiden. Das ist das Ziel vieler Fahrassistenz-Systeme.

"Drücken Sie während der Fahrt auf den push-button des Lenkrades..."

Ein weiterer Fahrsimulator am Stand des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen. Dort stellt Matthias Raulf CDC vor. Das steht für. "Continous Damping Control." Dabei verfügen alle Stossdämpfer über Sensoren. Die nehmen war, welche Kräfte gerade auf das Fahrzeug wirken - und stellen die Stossdämpfer in Abhängigkeit davon mal hart, mal weicher ein.

"In erster Linie sorgt das für Stabilität bei plötzlichem Fahrspurwechsel. Also wenn der Fahrer einem anderen Fahrzeug ausweichen muss und dann auf die andere Fahrspur geht...dadurch schwankt er weniger und verhindert im Prinzip ein Ausbrechen des Fahrzeuges."

Manchmal greift die Elektronik sogar direkt ins Lenkrad. Dazu gehört "Servo-Twin", eine elektrohydraulische Lenkung der ZF-Lenksysteme Schwäbisch-Gmünd. Das Szenario hier: Ein LKW mit Anhänger ist bei heftigen Herbstwinden unterwegs. Eine Böe trifft seitlich das Fahrzeug.

"Stichwort Spurhaltefunktion, Stichwort Seitenwindkompensation. Das ist ein unsichtbares Helferlein: In Sekundenbruchteilen greift die Elektronik, die aufgrund seines Radwinkel-Sensors die Veränderung der Fahrrichtung feststeht, ein und bewirkt eine Gegenlenkung."

Womit, weiss Götz Klausenburger von ZF-Lenksysteme, ein Abdriften des Lastzuges von der Fahrbahn vermieden werden kann.

Spannende Szenen auf dem Freigelände: Eine Zugmaschine mit einem riesigen Aufleger hintendran in Rückwärtsfahrt - für den Fahrer ein schwieriges Manöver.

"Die meisten Unfälle beim LKW-Fahren passieren beim Rückwärtsfahren."

sagt Simon Eggert von der Universität Koblenz-Landau. Die Hochschule stellt in Hannover ein System vor, dass gerade solche Unfälle beim Rückwärts-Fahren vermeiden soll- und zwar dann, wenn es sich um einen LKW mit Anhänger handelt. Bei solchen Manövern kommen selbst erfahrene Brummi-Fahrer ins Schwitzen. Die Lösung der Universität Koblenz-Landau: Eine Kamera auf dem Dach des LKW, die nach hinten, auf den Anhänger, ausgerichtet ist. Simon Eggert:

"Und zwar scannen wir mit der Kamera drei passive Marker-Punkte. Die sind auf dem Anhänger. Und wir können daraus zurück rechnen, welcher Winkel zwischen Deichsel und Fahrzeug anliegt, um daraus ein Fahrassistenzsystem zu entwickeln. Ziel ist, dem LKW eine Hilfe zu geben, wenn er beispielsweise rückwärts an eine Rampe fahren soll."

Damit wird in Zukunft selbst das Rückwärtsfahren zum Kinderspiel für den Fahrer. Das neue System erkennt sofort, wenn sich der Anhänger in die falsche Richtung bewegt und kann sogar automatisch bremsen oder die Lenkbewegung verändern - je nach dem, wie die Tüftler der Universität Koblenz-Landau ihr System weiter entwickeln. Auf der IAA in Hannover hoffen sie, mit einem Hersteller in Kontakt zu kommen, der ihr System irgendwann einmal in Serie fertigen wird - ein weiterer Zugewinn an Sicherheit in den Führerhäusern der LKW.
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