Wenn Bürokraten Freundschaft spielen

13.12.2006
Sie trafen sich im Hochsommer, im Urlaub, am Schwarzen Meer. Nach einem Tag am Strand oder einer Badetour über die Krim fanden die Generalsekretäre der beiden "Bruderparteien" für einen Abend zueinander. Immer war Großes zu erörtern - die Lage der Welt.
"Teurer Genosse Honecker!", begann der eine, und der andere erwiderte: "Ich freue mich sehr, lieber Genosse Leonid Iljitsch, deine Stimme zu hören."

Und schon durchpflügten sie das weite Feld der internationalen Beziehungen - Leonid Breschnew (1906-82) samt Beraterstab, Erich Honecker (1912-94) oft nur in Begleitung eines Vertrauten. Was machen die Polen, die Chinesen, die Araber? Breschnew, drei Monate vor seinem Tod: "Aber ich sage dir offen, Erich, bei weitem nicht immer verhalten sich die Araber aufrichtig." Wie steht's um den Ölpreis und wie um die "progressiven Staaten" in Afrika?

Das jährliche Tête-à-tête - anfangs in Moskau, von 1976 bis 1982 auf der Halbinsel Krim - war ein Ritual "deutsch-sowjetischer Freundschaft". Etwa drei Stunden debattierten die Herren; zum Schluss gab es den "gemeinsamen Fernsehempfang über das Treffen". Sie sahen sich selbst beim Plaudern zu, beim Lächeln und Händeschütteln. Später ließen sie ein Protokoll schreiben, für die Genossen daheim.

Wer mag, kann die Berichte nun nachlesen. Trockener Stoff, leblos, fade? In der Tat, dies fällt bei der Lektüre als erstes auf: die Steifheit der Genossen, die maschinenhafte Rhetorik, ihr Unvermögen, sich von den Floskeln der Parteisprache zu lösen. Als verlören die kommunistischen Staatslenker ohne ideologisches Geländer jeden Halt. Immer ging es um die "Festigung der Sache des Sozialismus", um "Einheit und Geschlossenheit im Kampf gegen den Imperialismus". So tönten sie heiser vor Parteitagen, so sprachen sie in die Mikrofone der Parteimedien, genauso - nun wissen wir es - zeigten sie sich sommers in Strandnähe: politbürokratisch, durchdrungen von der "Mission der Arbeiterklasse".

Im vorliegenden Band werden die geheimen Aufzeichnungen der Dialoge zum ersten Mal vollständig dokumentiert. Fünfzig Seiten Kommentar öffnen dem Leser den Zugang zu dieser Quelle. Bedauerlich: der spröde, angestaubte Stil der Kommentare. Die Herausgeber - zwei Historiker - beschreiben das zeitgeschichtliche Umfeld, die Stimmung der Gespräche, Besonderheiten im Ablauf, den Werdegang der Protagonisten.

Was die Autoren versäumten (oder nicht leisten konnten) ist eine psychologische Bewertung von Gegenstand und Gegenspielern. Wie viel verraten die Papiere über das Wesen dieser Herrscher, hier der Stahlarbeitersohn, ein Apparatschik und Alkoholiker, da der ehemalige Dachdecker? Verhandelten die Kommunisten von gleich zu gleich, oder sprach da ein Lehnsherr mit einem Vasallen?

Bei den Treffen vom Beginn der Siebziger herrschte noch eine irrationale Siegesgewissheit. Doch nur wenige Jahre später spürte man die Krise des "sozialistischen Weltsystems" auch auf der Krim. Der Einfluss schwand, viele Staaten des Ostens waren bankrott. Es gab Streit zwischen Breschnew und Honecker - über das zweiseitige Warengeschäft, über Kredite, Laufzeiten und Zinsen, vor allem aber über die deutsch-deutschen Beziehungen. Moskau wünschte eine Eiszeit, Ost-Berlin verweigerte sich. 1980 kam es zur offenen Auseinandersetzung. Das SED-Parteiorgan "Neues Deutschland" feierte zwar weiterhin die "unverbrüchliche Freundschaft", doch die Risse im Bruderbund waren nicht mehr zu kitten.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Hans-Hermann Hertle, Konrad H. Jarausch (Hg.): "Risse im Bruderbund. Die Gespräche Honecker-Breschnew 1974-1982"
Ch. Links Verlag, Berlin 2006
240 S., 24,90Euro