Wenn aus Satirikern Politiker werden

Schluss mit lustig?

29:59 Minuten
Martin Sonneborn (Die PARTEI), Vorsitzender, und Nico Semsrott halten anlässlich des EU-Wahlkampfs 2019 Plakate in den Händen, auf denen steht: "für Europa reicht's" und "Besser als Nix"
Martin Sonneborn (Die PARTEI, links) sitzt schon die zweite Legislaturperiode im EU-Parlament, 2019 kam ein Parlamentssitz für Nico Semsrott hinzu. © picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa
Von Christoph Spittler · 24.02.2020
Audio herunterladen
Martin Sonneborn, Nico Semsrott, Jan Böhmermann: Comedians und Satiriker scheint es in den letzten Jahren vermehrt zur Politik zu ziehen. Sonneborn etwa sitzt seit 6 Jahren für "Die PARTEI" im EU-Parlament - und macht dort ernst. Manchmal zumindest.
Auf die Absurditäten des Politikbetriebs hinweisen - mit diesem Ziel kam der ehemalige "Titanic"-Chefredakteur Martin Sonneborn 2014 ins Europäische Parlament. Bei den Wählern fand das offenbar Anklang: Jedenfalls kam bei der EU-Wahl 2019 ein zweiter Sitz für die Partei hinzu, den Nico Semsrott, ebenfalls Satiriker, innehat.
Sonneborn und Semsrott sind zwei Beispiele dafür, wie Satiriker und Comedians in letzter Zeit in der Politik Karriere machen – und sie sind dabei zwei vergleichsweise kleine Lichter. Beppe Grillos populistische 5-Sterne-Bewegung etwa war zeitweise die stärkste Fraktion im italienischen Parlament, und Wolodymyr Selenskyj brachte es gar zum ukrainischen Staatspräsidenten.

"Was jetzt kommt, ist wirklich ernst gemeint: Ich, Jan Böhmermann, möchte Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands werden." So Jan Böhmermann im Herbst 2019.

Porträtaufnahme Jan Böhmermann, TV-Entertainer, der mit erhobenem Zeigefinger spricht.
© picture alliance/Matthias Balk/dpa
"Ein schon sehr auffallendes und seltsames Phänomen", sagt der Literaturwissenschaftler Burkhard Meyer-Sickendiek zum Clown-Trend in der Politik. "Ich würde sagen, das zeugt nicht von größter Stabilität des Systems, in dem solche Karrieren möglich sind."

Kann der Satiriker in der Politik Satiriker bleiben?

"Wenn es zu dieser Koalition von Satire und Politik kommt – was geschieht dann mit der Satire?", fragt Literaturwissenschaftler Meyer-Sickendiek. "Und da ist natürlich jeder Satiriker im politischen Amt wie eben Selenskjy, schnell damit konfrontiert, eine neue Sprache zu lernen, ernst zu sprechen und zuverlässig und berechenbar zu werden, und damit auch die Position des Satirikers aufzugeben."

"Liebe Frau von der - ähm – Leyen, herzlich willkommen! Es freut mich sehr, dass ich ab sofort nicht mehr der unseriöseste Vertreter der europäischen Demokratie bin." (Martin Sonneborn, Die PARTEI)

Der Satiriker, Journalist und Politiker Martin Sonneborn auf der Buchmesse in Frankfurt 2019.
© picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Martin Sonneborn hat zumindest eine Zeitlang versucht, auch als Politiker Satiriker zu bleiben:
"Ich habe lange Zeit abwechselnd mit Ja und Nein gestimmt in den Abstimmungen – es gab ja eine GroKo Haram, genau wie in Deutschland, eine unselige Große Koalition aus Konservativen und noch Konservativeren, und die konnten praktisch alles durchwinken im Parlament."
Sodass es letztlich auch völlig egal war, wie Sonneborn abstimmte. Und wenn es doch mal eng wurde, war dann auch Schluss mit lustig:
"Bei knappen Abstimmungen bin ich informiert worden von den progressiven Parteien, und dann habe ich meine Stimme auch ganz gewählt gelegt."

Politik und Satire - zwei diametral entgegengesetzte Systeme?

"Sobald Satire wirklich politisch in dem Sinne wird, dass sie die Welt verändern will, geht dann auch das Komische oft verloren", konstatiert der Literaturwissenschaftler Burkhard Meyer-Sickendiek.
Weil, um dem Philosophen Sören Kierkegaard zu folgen, der Ironiker der Geist ist, der stets verneint:
"Hier haben wir also die Ironie als die unendliche absolute Negativität. Sie ist Negativität, denn sie negiert nur; sie ist unendlich, denn sie negiert nicht dieses oder jenes Phänomen; sie ist absolut, denn das, in dessen Kraft sie negiert, ist ein Höheres, das doch nicht ist. Die Ironie etabliert das Nichts; denn das, was etabliert werden soll, liegt hinter ihr."
Satire sei zunächst einmal destruktiv, räumt auch Martin Sonneborn ein. Dennoch könne sie konstruktiv wirken - "dadurch, dass man auf Übel und Missstände aufmerksam macht".

Wie viel political correctness verträgt Satire?

"Ich würde sagen, wenn Satire gut ist, dann ist sie immer unkorrekt und undiszipliniert", sagt Burkhard Meyer-Sickendiek.
"Ich glaube, dass Satire immer von einem moralischen Standpunkt aus fabriziert wird", meint Martin Sonneborn. Genauer: "Satire arbeitet immer von unten nach oben." Sie tritt gegen die, die den Ton angeben.
"Man muss immer schauen, wer redet: Wer sagt was und in welche Richtung geht das?", so Comedian und Nicht-Politikerin Denice Bourbon. "Und dass jemand sich über PC-ness beschwert - da muss man nur schauen, wo auf der Privilegienleiter diese Person ist. Natürlich sind das die weißen Heteromänner, die am allermeisten schreien, dass PC scheiße ist, weil, jetzt können die nicht einfach durch die Welt gehen und jeden Scheiß machen, ohne dass es Konsequenzen hat."
(Onlinetext: uko)
Mehr zum Thema