Wenn Alphörner auf Jodelgesang treffen

Von Anja Penner-Wenz · 29.07.2009
Der Musiker Balthasar Streiff gründete 1996 zusammen mit dem Stimmperformer Christian Zehnder das Duo "stimmhorn". Der Name ist Programm: Alphörner treffen auf Oberton- und Jodelgesang. Man vermutet Alpenländisches, und doch hat die Musik etwas ganz eigenes: musiksoziologische Grenzen verschwimmen, gängige Genre-Kategorien greifen nicht mehr.
Eine karge Bühne in warmem Licht: Auf der linken Seite sind Naturhörner wie Alphorn, Zink und Büchel aufgereiht. Aus der Ferne wirken sie wie archaische Dinosaurierknochen - Überreste aus einer vergangenen Zeit. Im Zentrum der Bühne steht breitbeinig Balthasar Streiff, ein dunkelhaariger, südländisch wirkender Mann mittleren Alters - vor ihm zwei Alphörner, in die er in schnellem Wechsel bläst.

Blasinstrumente waren jedoch schon Zeit seines Lebens eine Leidenschaft. Balthasar Streiff wurde im schweizerischen Städtchen Baden geboren. Schon mit neun Jahren begann er Trompete zu spielen. Er habe das Glück gehabt, immer Musik machen zu dürfen und niemals zu müssen – die Eltern, beide Nicht-Musiker, hatten sein Trompetenspiel immer unterstützt.
Streiffs Tante - eine Geige spielende Grafikerin - hatte ihn in die Welt der Klänge eingeführt, aber möglicherweise wurde seine Musikverbundenheit schon viel früher entfacht:

"Es gibt eine Theorie, dass eben der Klang der Hörner allgemein dem Klang entspricht, den wir als ungeborene Wesen im Mutterleib am meisten gehört haben – deshalb seien wir so berührt von diesen Klängen."

Nach dem Studium der Jazztrompete wechselte der heute 45-Jährige an die Freien Kunstklassen der Hochschule für Gestaltung Basel – und kam so über die Bildhauerei zum Alphorn. Initialzündung war der Einfluss des britischen Land-Art-Künstlers Richard Long, der Skulpturen geschaffen hatte, die mit der Zeit wieder verschwanden.

Streiff wollte dieses Konzept in Klang übersetzen – so entdeckte er das Alphorn als Land-Art-Instrument. Ein Instrument, das seit jeher draußen in der Natur, in den Bergen gespielt wird, und - durch das Klangskulpturen in der Natur entstehen und wieder vergehen.

1996 lernte Streiff den Sänger Christian Zehnder kennen.

"Wir haben uns zufälligerweise getroffen in einem Großprojekt, er hat das seine auf eine ähnliche Art und Weise gemacht, mehr zwischen Theater und Musik."
Der Stimmperformer Christian Zehnder hatte in verschiedenen Projekten mit Obertongesang und Jodeln und anderen Ausdrucksformen der Stimme experimentiert.

"...und dann haben wir gemerkt, dass die Stimme und die Hörner, eigentlich seit jeher ganz eng verwandt sind miteinander. So ist dann Stimmhorn entstanden."
Eine Musik, die in kein Genre-Schublade passt – zu diesem Höreindruck tragen die von Streiff selbst entworfenen, aus Holz gefertigten Naturhörner bei. Namen und Aussehen weisen schon auf die Instrumente hin, deren Bauweise er auf das Alphorn übertragen hatte: das Alpofon als Kreuzung zwischen Alphorn und Saxofon, das Alperidoo als alpenländische Variante des australischen Digeridoo.

"Früher hat man – zu Zeiten von Bach und Telemann, Vivaldi, alles auf solchen Naturtrompeten gespielt, die eigentlich viel näher beim Alphorn sind als bei der modernen Trompete."

Streiff versteht das Alphorn als reduzierte Trompete – als ein simples Naturhorn ohne Ventile. Diesen Mangel empfinde er als Ansporn zur Kreativität und gebe ihm die Möglichkeit, neue Töne und Klänge zu erfinden.

"Das ist eben das Schöne, ich bin immer der Meinung, ich möchte eigentlich Sachen machen, von denen ich jetzt noch gar nicht weiß, dass es sie gibt."

Balthasar Streiff lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Basel. An der Musikhochschule Luzern gibt er Seminare über den Zusammenhang zwischen Klang und Akustik und leitet Alphorn-Workshops.

Neben Stimmhorn spielt er im Alphornquartett "hornroh" und arbeitet in Literatur- und Theaterprojekten. Streiff ist ein umtriebiger Mensch, doch dies mit Freude, und lässt sich daher - typisch schweizerisch - nie aus der Ruhe bringen.

Während des Konzerts in Berlin durchbricht ein schrilles Handyklingeln den warmen Hörnerklang. Mit weit aufgerissenen Augen richtet Streiff sein Horn auf das Publikum und bläst mit voller Kraft, um das hässliche Geräusch mundtot zu machen. Das Instrument wird zur Waffe. In solchen Momenten ist Stimmhorn ganz nah am Theater.

"Wir erzählen uns Geschichten oder streiten miteinander, also: Es ist einfach mehr als nur die Musik - die Geschichten entstehen eigentlich mehr bei den Leuten, bei den Zuschauern im Kopf (als bei uns) – das ist eigentlich das Wichtige, oder?"